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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Warum die Frankfurter so schlachtenmuthig sind? Ich glaube ein Theil
von ihnen aus Angst! Das lautet paradoxer, als es in Wirklichkeit ist. Man
glaubt nämlich den Frieden durch den Anschein einer äußersten Berserkerwuth,
die den Krieg bis zum Messer droht, zu erhalten. Man zählt Ihnen alle Fälle
auf, in welchen, wie der Minister v. Manteuffel 18S0 oder 1851 sagte, "der
Starke muthig zurückwich", -- die Fälle Von Olmütz und Warschau, das Nach¬
geben gegenüber der bregenzer Coalition in Sachen Kurhesseus und der Union,
gegenüber der darmstädter Coalition in Sachen des Zollvereins und des Handels¬
vertrages und der anzustrebenden Zolleinigung mit Oestreich u. s. w.; man sagt
ihnen, Preußen wird, wenn wir Muth zeigen, wenn wir am Bunde die Majo¬
rität haben, wenn wir ihm Demüthigung oder gar Zertrümmerung androhen,
den Schimmel von Bronzell besteigen, um nach Hause zu reiten. Daß dieser
Calcül falsch war, haben die Ereignisse gezeigt, welche dem Bundesbeschlusse
vom 14. Juni gefolgt sind. Daß er aber vielleicht grade bei den Wüthigsten
mit ein Motiv der an den Tag gelegten Wuth war, ist mir aus verschiedenen
Gründen nicht unwahrscheinlich. Jedenfalls aber konnte das Geschrei nach
Parteinahme für Oestreich, das Anathema von "Feigheit und Verrath", das die
frankfurter Volksversammlung im Circus und die Volksvereine (in Nachahmung
des Anfang Mai in Bamberg, dem Sitze der südwestdeutschen Liga, versammelt
gewesenen hochcvnservativen Ausschusses des großdeutschen Reformvereins) über
jedes Befürworter einer auch nur zeitweisen oder bedingten Neutralität herab¬
rieselt, dem Cours der östreichischen Papiere, welche sich in süddeutschen und
namentlich in frankfurter Händen massenhaft vorfinden, gewiß vorübergehend
eher nützen als schaden. Denn auch die Börse wird von dem Scheine und
nicht von der Wirklichkeit der Dinge regiert.

Dem Norddeutschen sind die in Süddeutschland auftauchenden Volksvereine
vielfach ein Räthsel. Er begreift nicht, wie jemand sich für einen Liberalen,
Radicalen, Demokraten, Socialdemokraten oder gar Föderativrepublikaner aus¬
geben und zugleich doch für Oestreich schwören, oder Hand in Hand mit den
Ultramontanen und den Particularisten gehen kann. Ohne uns auf den for¬
mellen Gemeinplatz, daß die Extreme sich berühren, zurückzuziehen, wollen wir
einen Versuch machen, dieses Räthsel sachlich zu lösen. Wir glauben nicht zu
irren, wenn wir die nur in dem Haß gegen Preußen oder den Nationalverein
oder die sogenannten "Gothaer" übereinstimmende Coalition an sich heterogener
Elemente, welche sich in den "Volksvereinen", oder, um es präciser auszu¬
drücken, in einem Theile derselben, zusammengethan hat, erläutern aus der Ab¬
neigung der Staatenlosigkeit gegen den Staat als solchen, gegen den einheit¬
lichen modernen Culturstaat, welche Abneigung stellenweise sich so sehr verdich¬
tet hat. daß man beginnt für das "Bundesrecht" zu schwärmen, nach welchem
doch dieses ganze "Demagvgenthum" (so heißt es in der Sprache des Bundes-


Warum die Frankfurter so schlachtenmuthig sind? Ich glaube ein Theil
von ihnen aus Angst! Das lautet paradoxer, als es in Wirklichkeit ist. Man
glaubt nämlich den Frieden durch den Anschein einer äußersten Berserkerwuth,
die den Krieg bis zum Messer droht, zu erhalten. Man zählt Ihnen alle Fälle
auf, in welchen, wie der Minister v. Manteuffel 18S0 oder 1851 sagte, „der
Starke muthig zurückwich", — die Fälle Von Olmütz und Warschau, das Nach¬
geben gegenüber der bregenzer Coalition in Sachen Kurhesseus und der Union,
gegenüber der darmstädter Coalition in Sachen des Zollvereins und des Handels¬
vertrages und der anzustrebenden Zolleinigung mit Oestreich u. s. w.; man sagt
ihnen, Preußen wird, wenn wir Muth zeigen, wenn wir am Bunde die Majo¬
rität haben, wenn wir ihm Demüthigung oder gar Zertrümmerung androhen,
den Schimmel von Bronzell besteigen, um nach Hause zu reiten. Daß dieser
Calcül falsch war, haben die Ereignisse gezeigt, welche dem Bundesbeschlusse
vom 14. Juni gefolgt sind. Daß er aber vielleicht grade bei den Wüthigsten
mit ein Motiv der an den Tag gelegten Wuth war, ist mir aus verschiedenen
Gründen nicht unwahrscheinlich. Jedenfalls aber konnte das Geschrei nach
Parteinahme für Oestreich, das Anathema von „Feigheit und Verrath", das die
frankfurter Volksversammlung im Circus und die Volksvereine (in Nachahmung
des Anfang Mai in Bamberg, dem Sitze der südwestdeutschen Liga, versammelt
gewesenen hochcvnservativen Ausschusses des großdeutschen Reformvereins) über
jedes Befürworter einer auch nur zeitweisen oder bedingten Neutralität herab¬
rieselt, dem Cours der östreichischen Papiere, welche sich in süddeutschen und
namentlich in frankfurter Händen massenhaft vorfinden, gewiß vorübergehend
eher nützen als schaden. Denn auch die Börse wird von dem Scheine und
nicht von der Wirklichkeit der Dinge regiert.

Dem Norddeutschen sind die in Süddeutschland auftauchenden Volksvereine
vielfach ein Räthsel. Er begreift nicht, wie jemand sich für einen Liberalen,
Radicalen, Demokraten, Socialdemokraten oder gar Föderativrepublikaner aus¬
geben und zugleich doch für Oestreich schwören, oder Hand in Hand mit den
Ultramontanen und den Particularisten gehen kann. Ohne uns auf den for¬
mellen Gemeinplatz, daß die Extreme sich berühren, zurückzuziehen, wollen wir
einen Versuch machen, dieses Räthsel sachlich zu lösen. Wir glauben nicht zu
irren, wenn wir die nur in dem Haß gegen Preußen oder den Nationalverein
oder die sogenannten „Gothaer" übereinstimmende Coalition an sich heterogener
Elemente, welche sich in den „Volksvereinen", oder, um es präciser auszu¬
drücken, in einem Theile derselben, zusammengethan hat, erläutern aus der Ab¬
neigung der Staatenlosigkeit gegen den Staat als solchen, gegen den einheit¬
lichen modernen Culturstaat, welche Abneigung stellenweise sich so sehr verdich¬
tet hat. daß man beginnt für das „Bundesrecht" zu schwärmen, nach welchem
doch dieses ganze „Demagvgenthum" (so heißt es in der Sprache des Bundes-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/58>, abgerufen am 22.07.2024.