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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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dacht werden kann. Cultus und Unterricht sind zurückgegangen, nur wenige
neue katholische Gotteshäuser sind seit vierzig Jahren trotz der Zunahme der
Bevölkerung entstanden; vermehrt aber haben sich die Klöster und Stiftsein¬
künfte. DieVotivlirche muß durch Laienbciträge mühselig zusammengebaut werden,
in der ärmsten Hütte wird der nach Rom bestimmte Peterspfennig gesammelt,
härter als die Requisition aller politischen Behörden trifft die unbarmherzig",
unerbittliche Eintreibung der Kirchengelder und Zehnten; wer aber hätte schon
gehört, daß, um der Noth der Gegend abzuhelfen, ein Kloster seinen Weinkeller
geleert hätte?

Bei einer Uebersicht des geistlichen Vermögens wenden wir uns nun zuerst
zu dem Religions- und Studicnfond, der sich jetzt wieder, nachdem ihn Joseph
der Zweite unter die Verwaltung des Staates gestellt, größtenteils in den
Händen des Klerus befindet. Als Joseph der Zweite die Kirchengüter einzog,
wurde aus einem Theil derselben ein Studien- und Neligionsfond gegründet,
aus dessen Zinsen gute Schulen, für deren Unterhaltung die Geistlichkeit zu
sorgen hatte, errichtet und gehalten werden sollten, während die fortbestehenden
begüterten Klöster angehalten wurden, Normalschulen auf den ihnen gehörigen
Ortschaften anzulegen, die vorhandenen Schulgebäude mit den erforderlichen
Gerathen zu versehen, den Gehalt der Lehrer zu besorgen, die schulpflichtigen
Kinder zur Schule und zur Anschaffung der nöthigste" Bücher zu veranlassen,
und in entfernteren Ortschaften neue Schulen zu gründen. Der Fond erhielt aus
den ihm zugewiesenen Reichthümern der einzelnen Klöstern so viel, daß er im
Stande war, alljährlich 2,300,000 Fi. für Schule und Kirche zu verwenden,
und doch konnte das Kirchenvermögen den entlassenen Geistlichen und Gliedern
der aufgehobenen Orden Pensionen und Reisegcbühren unter der Verwaltung
des Staates gewähren. Wie kommt es, daß bei der enorme" Summe, die
diese Fonds heute repiäscntiren, da notorisch die Zunahme an Schulen unter
der Herrschaft des Klerus verschwindend klein ist, der geldarme Staat, der
42 Procent seiner sämmtlichen Ausgaben schon vor dem Kriege lediglich für
Zinsen der Staatsschuld verbrauchte, für den Cultus einen Zuschuß von circa
drei Millionen Fi.. für Armenpflege von einer Million FI.. für Wissenschaft
und Kunst von fünf Millionen Fi. zu zahlen hat? Bei einer guten Verwal¬
tung des Staats könnten jene Fonds einen großen Theil des Cultusbudgets.
Bedürfnisse des Unterrichts, der Wissenschaft und der Künste decken. Dem Klerus
gebührt von Seiten des Staates vor allem das strengste, keinen Augenblick
außer Acht zu lassende Mißtrauen und nur das Bewußtsein, daß die Lehrer
uruer der exaktesten Aufsicht des Staates stehen, daß jede Überschreitung nach
dem Gesetz abgeurtheilt wird, vermag dann den großen Nachtheil, daß die Geist¬
liche" überhaupt Lehrer aller Fächer sein lönnen und sind, in etwas auszugleichen.


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dacht werden kann. Cultus und Unterricht sind zurückgegangen, nur wenige
neue katholische Gotteshäuser sind seit vierzig Jahren trotz der Zunahme der
Bevölkerung entstanden; vermehrt aber haben sich die Klöster und Stiftsein¬
künfte. DieVotivlirche muß durch Laienbciträge mühselig zusammengebaut werden,
in der ärmsten Hütte wird der nach Rom bestimmte Peterspfennig gesammelt,
härter als die Requisition aller politischen Behörden trifft die unbarmherzig«,
unerbittliche Eintreibung der Kirchengelder und Zehnten; wer aber hätte schon
gehört, daß, um der Noth der Gegend abzuhelfen, ein Kloster seinen Weinkeller
geleert hätte?

Bei einer Uebersicht des geistlichen Vermögens wenden wir uns nun zuerst
zu dem Religions- und Studicnfond, der sich jetzt wieder, nachdem ihn Joseph
der Zweite unter die Verwaltung des Staates gestellt, größtenteils in den
Händen des Klerus befindet. Als Joseph der Zweite die Kirchengüter einzog,
wurde aus einem Theil derselben ein Studien- und Neligionsfond gegründet,
aus dessen Zinsen gute Schulen, für deren Unterhaltung die Geistlichkeit zu
sorgen hatte, errichtet und gehalten werden sollten, während die fortbestehenden
begüterten Klöster angehalten wurden, Normalschulen auf den ihnen gehörigen
Ortschaften anzulegen, die vorhandenen Schulgebäude mit den erforderlichen
Gerathen zu versehen, den Gehalt der Lehrer zu besorgen, die schulpflichtigen
Kinder zur Schule und zur Anschaffung der nöthigste» Bücher zu veranlassen,
und in entfernteren Ortschaften neue Schulen zu gründen. Der Fond erhielt aus
den ihm zugewiesenen Reichthümern der einzelnen Klöstern so viel, daß er im
Stande war, alljährlich 2,300,000 Fi. für Schule und Kirche zu verwenden,
und doch konnte das Kirchenvermögen den entlassenen Geistlichen und Gliedern
der aufgehobenen Orden Pensionen und Reisegcbühren unter der Verwaltung
des Staates gewähren. Wie kommt es, daß bei der enorme» Summe, die
diese Fonds heute repiäscntiren, da notorisch die Zunahme an Schulen unter
der Herrschaft des Klerus verschwindend klein ist, der geldarme Staat, der
42 Procent seiner sämmtlichen Ausgaben schon vor dem Kriege lediglich für
Zinsen der Staatsschuld verbrauchte, für den Cultus einen Zuschuß von circa
drei Millionen Fi.. für Armenpflege von einer Million FI.. für Wissenschaft
und Kunst von fünf Millionen Fi. zu zahlen hat? Bei einer guten Verwal¬
tung des Staats könnten jene Fonds einen großen Theil des Cultusbudgets.
Bedürfnisse des Unterrichts, der Wissenschaft und der Künste decken. Dem Klerus
gebührt von Seiten des Staates vor allem das strengste, keinen Augenblick
außer Acht zu lassende Mißtrauen und nur das Bewußtsein, daß die Lehrer
uruer der exaktesten Aufsicht des Staates stehen, daß jede Überschreitung nach
dem Gesetz abgeurtheilt wird, vermag dann den großen Nachtheil, daß die Geist¬
liche» überhaupt Lehrer aller Fächer sein lönnen und sind, in etwas auszugleichen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/507>, abgerufen am 22.07.2024.