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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Ueberfluß an Fleisch besitze, so kann man sich denken, daß ich mich auf diesem
harten Gestelle halb wund lag und um so schlechter schlief, als die Nachtruhe
noch durch einen zweiten sehr erschwerenden Umstand sehr wesentlich beeinträch¬
tigt war. Die Wahrheitsliebe verpflichtet mich, ihn zu schildern. Wem die
Sache etwas bedenklich vorkommt, der mag jetzt und überhaupt so lange von
dieser Pritsche und diesem Pott die Rede ist, die Augen zuhalten.

In dem Schmutze des Fußbodens und der Wände "schwarz wimmelten da
in grausem Gemisch" allerlei dem menschlichen Blut feindselige Gewalten; und
wenn Altvater Goethe während seiner italienischen Reise, in einem Rückfalle
in den burschikosen Uebermuth von Leipzig und Straßburg, singt:


"Die Flöhe und die Wanzen
Gehören mit zum Ganzen,"

so erlaube ich mir hierin entgegengesetzter Meinung zu sein, und würde sogar
hoffen, die alte Excellenz zu meiner Ansicht zu bekehren, wenn ich dieselbe ver¬
anlassen könnte, einige Nächte in der prachtvollen Jägcrkaserne zu Bibrich Zelle
No. 2 zuzubringen. Ich kann dieses Geprickel und Gezwickel, dieses Streben
und Leben nicht beschreiben. Es war so arg, daß ich oft Nachts aufsprang
und in der dunkeln Zelle -- von Licht oder Feuerzeug war natürlich keine
Rede -- vor Schmerz, Wuth und Verzweiflung herumstolperte. Endlich am
dritten Abend erhielt ich, nachdem ich mir bis dahin auf der blanken Pritsche
die alten Glieder lahm und krumm gelegen, auf vieles Bitten einen Strohsack.
Er war sehr, sehr schmutzig, -- und noch vor wenigen Tagen würde ich mich
um keinen Preis darauf gelegt haben. Jetzt aber half ich mir, wie Sancho
Pansa seligen Andenkens mit einigen Sprichwörtern, wie "Noth bricht Eisen"
-- "Noth kennt kein Gebot" -- und "Man muß Gott für alles danken", und
leate mich, als es begann zu dunkeln, still und gefaßt, auf das schmutzige Un¬
geheuer. Wie wohl that das schwellende Stroh den von dem harten Gegen¬
drucke der Pritsche geräderten Gliedern. Ich hatte wieder einen leisen Anklang
an das Gefühl häuslicher Behäbigkeit. Aber ich mußte schwer dafür büßen.
Als ich eben in süßer Erinnerung an Virgils schönen Vers:


"?0INMS ors,t, ciuo xrima yuiös mortalibus asgris
Inoixit, -- --"

beginnen wollte, den Schlaf des Gerechten zu schlafen, da brachen sie los aus
dem Strohsack -- die höllischen Heerschaaren. In diesem strohernen Ruhebett
war eine ganze stechende Reichsarmee verborgen, zusammengesetzt aus allen mög¬
lichen Kontingenten, eins ausgehungerter, eins blutdürstiger, als das andere.
Ich sprang auf, schleuderte das Folterinstrumcnt Strohsack in die äußerste 'Ecke
des Zimmers und legte mich wieder auf die harte, blanke Pritsche, obgleich mir
jeder Knochen im Leibe wehe that.

Meine Haut war förmlich entzündet und brannte, wie im heftigsten Fieber.


Ueberfluß an Fleisch besitze, so kann man sich denken, daß ich mich auf diesem
harten Gestelle halb wund lag und um so schlechter schlief, als die Nachtruhe
noch durch einen zweiten sehr erschwerenden Umstand sehr wesentlich beeinträch¬
tigt war. Die Wahrheitsliebe verpflichtet mich, ihn zu schildern. Wem die
Sache etwas bedenklich vorkommt, der mag jetzt und überhaupt so lange von
dieser Pritsche und diesem Pott die Rede ist, die Augen zuhalten.

In dem Schmutze des Fußbodens und der Wände „schwarz wimmelten da
in grausem Gemisch" allerlei dem menschlichen Blut feindselige Gewalten; und
wenn Altvater Goethe während seiner italienischen Reise, in einem Rückfalle
in den burschikosen Uebermuth von Leipzig und Straßburg, singt:


„Die Flöhe und die Wanzen
Gehören mit zum Ganzen,"

so erlaube ich mir hierin entgegengesetzter Meinung zu sein, und würde sogar
hoffen, die alte Excellenz zu meiner Ansicht zu bekehren, wenn ich dieselbe ver¬
anlassen könnte, einige Nächte in der prachtvollen Jägcrkaserne zu Bibrich Zelle
No. 2 zuzubringen. Ich kann dieses Geprickel und Gezwickel, dieses Streben
und Leben nicht beschreiben. Es war so arg, daß ich oft Nachts aufsprang
und in der dunkeln Zelle — von Licht oder Feuerzeug war natürlich keine
Rede — vor Schmerz, Wuth und Verzweiflung herumstolperte. Endlich am
dritten Abend erhielt ich, nachdem ich mir bis dahin auf der blanken Pritsche
die alten Glieder lahm und krumm gelegen, auf vieles Bitten einen Strohsack.
Er war sehr, sehr schmutzig, — und noch vor wenigen Tagen würde ich mich
um keinen Preis darauf gelegt haben. Jetzt aber half ich mir, wie Sancho
Pansa seligen Andenkens mit einigen Sprichwörtern, wie „Noth bricht Eisen"
— „Noth kennt kein Gebot" — und „Man muß Gott für alles danken", und
leate mich, als es begann zu dunkeln, still und gefaßt, auf das schmutzige Un¬
geheuer. Wie wohl that das schwellende Stroh den von dem harten Gegen¬
drucke der Pritsche geräderten Gliedern. Ich hatte wieder einen leisen Anklang
an das Gefühl häuslicher Behäbigkeit. Aber ich mußte schwer dafür büßen.
Als ich eben in süßer Erinnerung an Virgils schönen Vers:


„?0INMS ors,t, ciuo xrima yuiös mortalibus asgris
Inoixit, — —"

beginnen wollte, den Schlaf des Gerechten zu schlafen, da brachen sie los aus
dem Strohsack — die höllischen Heerschaaren. In diesem strohernen Ruhebett
war eine ganze stechende Reichsarmee verborgen, zusammengesetzt aus allen mög¬
lichen Kontingenten, eins ausgehungerter, eins blutdürstiger, als das andere.
Ich sprang auf, schleuderte das Folterinstrumcnt Strohsack in die äußerste 'Ecke
des Zimmers und legte mich wieder auf die harte, blanke Pritsche, obgleich mir
jeder Knochen im Leibe wehe that.

Meine Haut war förmlich entzündet und brannte, wie im heftigsten Fieber.


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[0454] Ueberfluß an Fleisch besitze, so kann man sich denken, daß ich mich auf diesem harten Gestelle halb wund lag und um so schlechter schlief, als die Nachtruhe noch durch einen zweiten sehr erschwerenden Umstand sehr wesentlich beeinträch¬ tigt war. Die Wahrheitsliebe verpflichtet mich, ihn zu schildern. Wem die Sache etwas bedenklich vorkommt, der mag jetzt und überhaupt so lange von dieser Pritsche und diesem Pott die Rede ist, die Augen zuhalten. In dem Schmutze des Fußbodens und der Wände „schwarz wimmelten da in grausem Gemisch" allerlei dem menschlichen Blut feindselige Gewalten; und wenn Altvater Goethe während seiner italienischen Reise, in einem Rückfalle in den burschikosen Uebermuth von Leipzig und Straßburg, singt: „Die Flöhe und die Wanzen Gehören mit zum Ganzen," so erlaube ich mir hierin entgegengesetzter Meinung zu sein, und würde sogar hoffen, die alte Excellenz zu meiner Ansicht zu bekehren, wenn ich dieselbe ver¬ anlassen könnte, einige Nächte in der prachtvollen Jägcrkaserne zu Bibrich Zelle No. 2 zuzubringen. Ich kann dieses Geprickel und Gezwickel, dieses Streben und Leben nicht beschreiben. Es war so arg, daß ich oft Nachts aufsprang und in der dunkeln Zelle — von Licht oder Feuerzeug war natürlich keine Rede — vor Schmerz, Wuth und Verzweiflung herumstolperte. Endlich am dritten Abend erhielt ich, nachdem ich mir bis dahin auf der blanken Pritsche die alten Glieder lahm und krumm gelegen, auf vieles Bitten einen Strohsack. Er war sehr, sehr schmutzig, — und noch vor wenigen Tagen würde ich mich um keinen Preis darauf gelegt haben. Jetzt aber half ich mir, wie Sancho Pansa seligen Andenkens mit einigen Sprichwörtern, wie „Noth bricht Eisen" — „Noth kennt kein Gebot" — und „Man muß Gott für alles danken", und leate mich, als es begann zu dunkeln, still und gefaßt, auf das schmutzige Un¬ geheuer. Wie wohl that das schwellende Stroh den von dem harten Gegen¬ drucke der Pritsche geräderten Gliedern. Ich hatte wieder einen leisen Anklang an das Gefühl häuslicher Behäbigkeit. Aber ich mußte schwer dafür büßen. Als ich eben in süßer Erinnerung an Virgils schönen Vers: „?0INMS ors,t, ciuo xrima yuiös mortalibus asgris Inoixit, — —" beginnen wollte, den Schlaf des Gerechten zu schlafen, da brachen sie los aus dem Strohsack — die höllischen Heerschaaren. In diesem strohernen Ruhebett war eine ganze stechende Reichsarmee verborgen, zusammengesetzt aus allen mög¬ lichen Kontingenten, eins ausgehungerter, eins blutdürstiger, als das andere. Ich sprang auf, schleuderte das Folterinstrumcnt Strohsack in die äußerste 'Ecke des Zimmers und legte mich wieder auf die harte, blanke Pritsche, obgleich mir jeder Knochen im Leibe wehe that. Meine Haut war förmlich entzündet und brannte, wie im heftigsten Fieber.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/454>, abgerufen am 22.07.2024.