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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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So viel von der Pritsche, nun vom Pott, der mit einem Deckel versehen
war und zu Verrichtungen diente, die man sonst nicht im Zimmer vornimmt.
Der Hauptmann befahl mir, diesen Pott eigenhändig dreimal an jedem Tag an
einen dritten Ort zu tragen, dort auszuleeren und ihn mittelst eines Stroh¬
wisches gründlich zu reinigen. Mein guterUntcroffizier und Gefangenwärter hat mir
diese schauderhaften Gänge erspart, sogar ohne daß ich ihn darum ansprach. Die
übrigen "politischen Kriegsgefangenen" aber haben sie, wenigstens zum Theil,
selber verrichten müssen.

Ich litt schweren Mangel an frischer Luft und Bewegung. Das Fenster
der Zelle konnte man wegen des dahinter genagelten Eisenstabs nur einen hal¬
ben Zoll weit aufklemmen. Ein Spaziergang im Kasernenhofe, von wo doch-
jede Flucht unmöglich war, wurde nicht gestattet. Nur zuweilen, wenn er
glaubte, es unentdeckt und unbestraft thun zu könne", öffnete mir der Gefangen¬
wärter die Thüre der Zelle. Das war die einzige Art, wie ich Lust schöpfen
konnte.

In der vierten Nacht -- es war die vom 16. auf den 17. Juli -- weckte
mich mein Gefangenwärter in aller Frühe mit der Schreckensbotschaft, um halb
Vier Uhr Morgens würden wir. ich und die übrigen "politischen Kriegsgefangenen",
in die Festung Mainz abgeführt. Mein erster Gedanke war an den Herzog
von Modena, welcher 1859 seine politischen Gefangenen in zwei Menagerie-
Wagen packte und mit auf die Flucht nach Oestreich nahm. Mein Landtags¬
college B. hatte die Unglücklichen noch 1861 auf der Festung Kufstein in Tirol
in Eisen geschmiedet Schanzen sehn und mir von ihnen erzählt.

Im Laufe des Tages hörte ich auch, daß der Herzog, mit Hinterlassung
einer Proklamation, entflohen sei. In der Proclamation sagte er, er "sei ge¬
nöthigt, auf kurze Zeit das Land zu verlassen, um nicht nach einem in der
Geschichte der Civilisation einzig dastehenden Beispiel der letzten Wochen in'
Kriegsgefangenschaft zu gerathen" (wie der Kurfürst von Hessen). "Ach." dachte
ich, "wenn du eine so leichte Kriegsgefangenschaft so sehr fürchtest, warum lässest
du mich in einer so schweren schmachten? Bin ich doch auch ein Mensch gleich
dir, und i es wenigstens habe diesen Bruderkrieg nicht heraufbeschworen und an
dem Feuer nicht schüren helfen, aus dem er entbrannt ist!"

Vor vier Uhr Morgens wurden wir (nämlich ich und die anderen neun Ge¬
fangenen, darunter der amerikanische Arzt ol^ Davey in einem Krankheits¬
zustande, der Schlimmes besorgen ließ) auf ein kleines Dampfschiff gebracht, das
im Hafen von Bibrich vor Anker lag. Es war das nämliche Boot, das als
Traject der rechts- und linksrheinischen Bahn zwischen dem preußischen Bingen-
brück und dem nassauischen Nüdesheim gedient hatte. Obgleich Eigenthum der
linksrheinischen preußischen Gesellschaft, nahm es Nassau weg. Darauf holten
die Preußen den nassauischen Domanialwein in Rüdesheim. Hierdurch erbittert


Grenzboten III. 186". S4

So viel von der Pritsche, nun vom Pott, der mit einem Deckel versehen
war und zu Verrichtungen diente, die man sonst nicht im Zimmer vornimmt.
Der Hauptmann befahl mir, diesen Pott eigenhändig dreimal an jedem Tag an
einen dritten Ort zu tragen, dort auszuleeren und ihn mittelst eines Stroh¬
wisches gründlich zu reinigen. Mein guterUntcroffizier und Gefangenwärter hat mir
diese schauderhaften Gänge erspart, sogar ohne daß ich ihn darum ansprach. Die
übrigen „politischen Kriegsgefangenen" aber haben sie, wenigstens zum Theil,
selber verrichten müssen.

Ich litt schweren Mangel an frischer Luft und Bewegung. Das Fenster
der Zelle konnte man wegen des dahinter genagelten Eisenstabs nur einen hal¬
ben Zoll weit aufklemmen. Ein Spaziergang im Kasernenhofe, von wo doch-
jede Flucht unmöglich war, wurde nicht gestattet. Nur zuweilen, wenn er
glaubte, es unentdeckt und unbestraft thun zu könne», öffnete mir der Gefangen¬
wärter die Thüre der Zelle. Das war die einzige Art, wie ich Lust schöpfen
konnte.

In der vierten Nacht — es war die vom 16. auf den 17. Juli — weckte
mich mein Gefangenwärter in aller Frühe mit der Schreckensbotschaft, um halb
Vier Uhr Morgens würden wir. ich und die übrigen „politischen Kriegsgefangenen",
in die Festung Mainz abgeführt. Mein erster Gedanke war an den Herzog
von Modena, welcher 1859 seine politischen Gefangenen in zwei Menagerie-
Wagen packte und mit auf die Flucht nach Oestreich nahm. Mein Landtags¬
college B. hatte die Unglücklichen noch 1861 auf der Festung Kufstein in Tirol
in Eisen geschmiedet Schanzen sehn und mir von ihnen erzählt.

Im Laufe des Tages hörte ich auch, daß der Herzog, mit Hinterlassung
einer Proklamation, entflohen sei. In der Proclamation sagte er, er „sei ge¬
nöthigt, auf kurze Zeit das Land zu verlassen, um nicht nach einem in der
Geschichte der Civilisation einzig dastehenden Beispiel der letzten Wochen in'
Kriegsgefangenschaft zu gerathen" (wie der Kurfürst von Hessen). „Ach." dachte
ich, „wenn du eine so leichte Kriegsgefangenschaft so sehr fürchtest, warum lässest
du mich in einer so schweren schmachten? Bin ich doch auch ein Mensch gleich
dir, und i es wenigstens habe diesen Bruderkrieg nicht heraufbeschworen und an
dem Feuer nicht schüren helfen, aus dem er entbrannt ist!"

Vor vier Uhr Morgens wurden wir (nämlich ich und die anderen neun Ge¬
fangenen, darunter der amerikanische Arzt ol^ Davey in einem Krankheits¬
zustande, der Schlimmes besorgen ließ) auf ein kleines Dampfschiff gebracht, das
im Hafen von Bibrich vor Anker lag. Es war das nämliche Boot, das als
Traject der rechts- und linksrheinischen Bahn zwischen dem preußischen Bingen-
brück und dem nassauischen Nüdesheim gedient hatte. Obgleich Eigenthum der
linksrheinischen preußischen Gesellschaft, nahm es Nassau weg. Darauf holten
die Preußen den nassauischen Domanialwein in Rüdesheim. Hierdurch erbittert


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[0455] So viel von der Pritsche, nun vom Pott, der mit einem Deckel versehen war und zu Verrichtungen diente, die man sonst nicht im Zimmer vornimmt. Der Hauptmann befahl mir, diesen Pott eigenhändig dreimal an jedem Tag an einen dritten Ort zu tragen, dort auszuleeren und ihn mittelst eines Stroh¬ wisches gründlich zu reinigen. Mein guterUntcroffizier und Gefangenwärter hat mir diese schauderhaften Gänge erspart, sogar ohne daß ich ihn darum ansprach. Die übrigen „politischen Kriegsgefangenen" aber haben sie, wenigstens zum Theil, selber verrichten müssen. Ich litt schweren Mangel an frischer Luft und Bewegung. Das Fenster der Zelle konnte man wegen des dahinter genagelten Eisenstabs nur einen hal¬ ben Zoll weit aufklemmen. Ein Spaziergang im Kasernenhofe, von wo doch- jede Flucht unmöglich war, wurde nicht gestattet. Nur zuweilen, wenn er glaubte, es unentdeckt und unbestraft thun zu könne», öffnete mir der Gefangen¬ wärter die Thüre der Zelle. Das war die einzige Art, wie ich Lust schöpfen konnte. In der vierten Nacht — es war die vom 16. auf den 17. Juli — weckte mich mein Gefangenwärter in aller Frühe mit der Schreckensbotschaft, um halb Vier Uhr Morgens würden wir. ich und die übrigen „politischen Kriegsgefangenen", in die Festung Mainz abgeführt. Mein erster Gedanke war an den Herzog von Modena, welcher 1859 seine politischen Gefangenen in zwei Menagerie- Wagen packte und mit auf die Flucht nach Oestreich nahm. Mein Landtags¬ college B. hatte die Unglücklichen noch 1861 auf der Festung Kufstein in Tirol in Eisen geschmiedet Schanzen sehn und mir von ihnen erzählt. Im Laufe des Tages hörte ich auch, daß der Herzog, mit Hinterlassung einer Proklamation, entflohen sei. In der Proclamation sagte er, er „sei ge¬ nöthigt, auf kurze Zeit das Land zu verlassen, um nicht nach einem in der Geschichte der Civilisation einzig dastehenden Beispiel der letzten Wochen in' Kriegsgefangenschaft zu gerathen" (wie der Kurfürst von Hessen). „Ach." dachte ich, „wenn du eine so leichte Kriegsgefangenschaft so sehr fürchtest, warum lässest du mich in einer so schweren schmachten? Bin ich doch auch ein Mensch gleich dir, und i es wenigstens habe diesen Bruderkrieg nicht heraufbeschworen und an dem Feuer nicht schüren helfen, aus dem er entbrannt ist!" Vor vier Uhr Morgens wurden wir (nämlich ich und die anderen neun Ge¬ fangenen, darunter der amerikanische Arzt ol^ Davey in einem Krankheits¬ zustande, der Schlimmes besorgen ließ) auf ein kleines Dampfschiff gebracht, das im Hafen von Bibrich vor Anker lag. Es war das nämliche Boot, das als Traject der rechts- und linksrheinischen Bahn zwischen dem preußischen Bingen- brück und dem nassauischen Nüdesheim gedient hatte. Obgleich Eigenthum der linksrheinischen preußischen Gesellschaft, nahm es Nassau weg. Darauf holten die Preußen den nassauischen Domanialwein in Rüdesheim. Hierdurch erbittert Grenzboten III. 186«. S4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/455>, abgerufen am 22.07.2024.