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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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fleischen, auf einen äußeren Gegenstand zu fixiren. Schadet denn das der
Gefängnißordnung etwas, wenn der Mann statt zu brüten und zu wüthen,
liest und denkt? Warum zwingt man denn bei uns die Kinder, lesen zu
lernen, wenn man es später Männern verbietet. Und könnte nicht durch eine
zweckmäßige Auswahl und Leitung der Gefangencnlectüre unendlich viel genützt
werden?

Endlich klagte ich meinem ehrlichen Gefangenwärter die Schmerzen meiner
Einsamkeit. Er versprach nach Kräften zu helfen. Er brachte mir das Heft
einer von O. W. Horn herausgegebenen Zeitschrift "Die Maje", welche für die
Unteroffiziere gehalten wurde, wahrscheinlich weil sie in einem recht süßlich
frömmelnden und hyperloyalen Stile gehalten ist. Man kann sich kaum denken,
mit welchem Heißhunger ich diese Kost verschlang, die ich sonst verschmäht haben
würde.

Der Gefängnißaufseher stand übrigens unendliche Angst aus ob seiner Hu¬
manität. Er bat mich, das Heft sorgfältig zu verstecken. Das that ich auch.
Ich verbarg es unter dem Kopfbret der hölzernen Pritsche, auf welcher ich zu
liegen verurtheilt war. Da man mich schließlich aus meiner Zelle plötzlich ab¬
führte, so hatte ich keine Gelegenheit, das Heft meinem Wohlthäter wiederzugeben.
Entweder steckt es noch unter dem Pritschenbrete oder es ist mit allem Anderen
in die Hände der Preußen gefallen, welche am 18. Juli, nachdem der Herzog
von Nassau schon am 13. geflohen war, von der Kaserne Besitz ergriffen, ohne
auf den geringsten Widerstand der Bundestagstruppen zu stoßen.

Ich erwähnte soeben die Putsche. Dies erinnert mich an die Verpflich¬
tung, das Mobiliar meiner Zelle zu schildern. Es bestand aus zwei Stück,
nämlich erstens aus der Pritsche und zweitens aus einem Topf mit einem
Deckel. Sonst war alles wüst und leer, abgesehen von dem Schmutz und Staub,
der alles bedeckte und sich in den vier Ecken zu ansehnlichen Häuflein angesam¬
melt hatte. Die Wasserflasche sollte nur einmal täglich gefüllt werden. Allein
mein Gefangenwärterunterossizier that es aus freien Stücken öfter. Die ge¬
nannte Flasche diente zugleich als Waschschüssel. Ich mußte mir beim Waschen
den woäus vivLvvli der Affen und der Katzen zum Muster nehmen und mich
dann mit meinem eigenen Taschentuch abtrocknen. Ein Handtuch gab es nicht.
Dagegen waren die Ofsiziergemächer in der Kaserne, wie man mir erzählte, mit
der größten Raumverschwendung und dem äußersten Grade von Comfort und
Luxus eingerichtet. Betrachtete man doch in gewissen Kreisen die Offiziere nur
als Mitverschworene gegen das eigene Land, die man durch Zuckerbrod, viel
Geld und schöne Kleider an sich fesseln müsse!

Doch zurück zur Pritsche und zum Topf. Erstere war eine mannslange
schiefe Ebene aus hartem Holz, worauf ich, in Ermangelung von was Anderem,
sitzen und liegen mußte. Da ich grade kein Jüngling mehr bin und keinen


fleischen, auf einen äußeren Gegenstand zu fixiren. Schadet denn das der
Gefängnißordnung etwas, wenn der Mann statt zu brüten und zu wüthen,
liest und denkt? Warum zwingt man denn bei uns die Kinder, lesen zu
lernen, wenn man es später Männern verbietet. Und könnte nicht durch eine
zweckmäßige Auswahl und Leitung der Gefangencnlectüre unendlich viel genützt
werden?

Endlich klagte ich meinem ehrlichen Gefangenwärter die Schmerzen meiner
Einsamkeit. Er versprach nach Kräften zu helfen. Er brachte mir das Heft
einer von O. W. Horn herausgegebenen Zeitschrift „Die Maje", welche für die
Unteroffiziere gehalten wurde, wahrscheinlich weil sie in einem recht süßlich
frömmelnden und hyperloyalen Stile gehalten ist. Man kann sich kaum denken,
mit welchem Heißhunger ich diese Kost verschlang, die ich sonst verschmäht haben
würde.

Der Gefängnißaufseher stand übrigens unendliche Angst aus ob seiner Hu¬
manität. Er bat mich, das Heft sorgfältig zu verstecken. Das that ich auch.
Ich verbarg es unter dem Kopfbret der hölzernen Pritsche, auf welcher ich zu
liegen verurtheilt war. Da man mich schließlich aus meiner Zelle plötzlich ab¬
führte, so hatte ich keine Gelegenheit, das Heft meinem Wohlthäter wiederzugeben.
Entweder steckt es noch unter dem Pritschenbrete oder es ist mit allem Anderen
in die Hände der Preußen gefallen, welche am 18. Juli, nachdem der Herzog
von Nassau schon am 13. geflohen war, von der Kaserne Besitz ergriffen, ohne
auf den geringsten Widerstand der Bundestagstruppen zu stoßen.

Ich erwähnte soeben die Putsche. Dies erinnert mich an die Verpflich¬
tung, das Mobiliar meiner Zelle zu schildern. Es bestand aus zwei Stück,
nämlich erstens aus der Pritsche und zweitens aus einem Topf mit einem
Deckel. Sonst war alles wüst und leer, abgesehen von dem Schmutz und Staub,
der alles bedeckte und sich in den vier Ecken zu ansehnlichen Häuflein angesam¬
melt hatte. Die Wasserflasche sollte nur einmal täglich gefüllt werden. Allein
mein Gefangenwärterunterossizier that es aus freien Stücken öfter. Die ge¬
nannte Flasche diente zugleich als Waschschüssel. Ich mußte mir beim Waschen
den woäus vivLvvli der Affen und der Katzen zum Muster nehmen und mich
dann mit meinem eigenen Taschentuch abtrocknen. Ein Handtuch gab es nicht.
Dagegen waren die Ofsiziergemächer in der Kaserne, wie man mir erzählte, mit
der größten Raumverschwendung und dem äußersten Grade von Comfort und
Luxus eingerichtet. Betrachtete man doch in gewissen Kreisen die Offiziere nur
als Mitverschworene gegen das eigene Land, die man durch Zuckerbrod, viel
Geld und schöne Kleider an sich fesseln müsse!

Doch zurück zur Pritsche und zum Topf. Erstere war eine mannslange
schiefe Ebene aus hartem Holz, worauf ich, in Ermangelung von was Anderem,
sitzen und liegen mußte. Da ich grade kein Jüngling mehr bin und keinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/453>, abgerufen am 22.07.2024.