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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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land war bisher nur ein "Staatenbund". Kein Gesammtstaat. kein Gesammt-
staatsbürgerrecht, souveräne Staaten, keine Bundesregierung, an der Stelle der
letzteren nur eine Gesandtenconferenz ohne Executive, gebunden an Jnstructionen
ihrer Auftraggeber, so daß das Ganze hinter dem Einzelnen zurücktreten, daß
man vor Bäumen keinen Wald, vor lauter engen, engeren und engsten Vater¬
ländern kein Deutschland sah!

Als nun alle diese einzelnen Staaten in dem Vollgefühle ihrer jungen
Souveränetät und "unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes schützenden
Privilegien" sich 1816 einzurichten begannen, Zolle etablirten, Grenzpfähle und
Schlagbäume pflanzten, ein Heer von "Zöllner" und Sündern" (sit venia
verbo!) anstellten, da wurde es sehr enge und unheimlich bei uns. Deutschland
wurde arm. Anfangs wußte es nicht, woran das lag. Ans einmal merkte es.
daß ihm die wirthschaftliche Einheit fehle. Aber wie sie schaffen? Bei dieser
Politischen Zerrissenheit! War das nicht eine Ausgabe, schwierig wie die Qua¬
dratur des Zirkels, oder das Perpetuum mobile?

Die Art. wie man diese Aufgabe, unter Anwendung des äußersten Maßes
von Scharfsinn, Geschichtskenntniß und Patriotismus -- man denke an Nebe-
nius in Karlsruhe und Kühne in Berlin! -- zu lösen wußte, erinnert uns
gleichwohl stets -- vielleicht sehr unpassender Weise, aber leider doch immerhin
zutreffender Weise -- an eine alte schnurrige Studentcngeschichte.

An einigen kleinen deutschen Hochschulen herrscht die Unsitte, daß man die
Studenten, welche ihre Schulden nicht bezahlen, mit Stadtarrcst belegt und da¬
durch zwingt, auch fernerhin "fremdes Erz zusammenzuziehen". Ein mit sol¬
chem Banne belegter unglücklicher Musensohn erhält Nachricht aus der Heimath,
sein Vater liege bedenklich krank, er möge eiligst nach Hause kommen. Aber,
er hat Stadtarrest. Er eilt zum Prorector, einem wohlwollenden, gutherzigen
Theologen. Er zeigt ihm den Brief. "Eilen Sie nach Hause!" sagt der Pro-
rector. "Ich kann nicht," erwiedert der Student, "ich habe Stadtarrest, hebe"
Sie meinen Stadtarrcst auf." -- "Ich kann nicht," sagt nun der Prorector.
"das kann nur das Universitätsgericht und dieses tritt erst übermorgen zu¬
sammen!" -- "Aber um Himmels willen, was thun?" ruft verzweifelnd der
Student. Der Prorector sinnt nach, er sinnt lange nach. Anfangs bange, trüb
und ernst, endlich immer heiterer, sagt er zuletzt: "Jetzt hab ich es. reisen Sie
ab, reisen Sie sogleich nach Hause, aber unter strengster Beibehaltung
des Stadtarrestes!" -

Die Abreise mit Beibehaltung des Stadtarrestes -- die wirthschaftliche
Einheit mit Beibehaltung des Uebermaßes politischer Zersplitterung und Spal¬
tung -- das ist der Zollverein. Wir geben bereitwillig zu, eine schul-
Kerechte Definition ist das nicht, aber es ist die einfache reale Wahr¬
heit. Kein Wunder, daß die politische Vielheit und die wirthschaft! e Einheit


Grenzboten III. 18VK. 49

land war bisher nur ein „Staatenbund". Kein Gesammtstaat. kein Gesammt-
staatsbürgerrecht, souveräne Staaten, keine Bundesregierung, an der Stelle der
letzteren nur eine Gesandtenconferenz ohne Executive, gebunden an Jnstructionen
ihrer Auftraggeber, so daß das Ganze hinter dem Einzelnen zurücktreten, daß
man vor Bäumen keinen Wald, vor lauter engen, engeren und engsten Vater¬
ländern kein Deutschland sah!

Als nun alle diese einzelnen Staaten in dem Vollgefühle ihrer jungen
Souveränetät und „unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes schützenden
Privilegien" sich 1816 einzurichten begannen, Zolle etablirten, Grenzpfähle und
Schlagbäume pflanzten, ein Heer von „Zöllner» und Sündern" (sit venia
verbo!) anstellten, da wurde es sehr enge und unheimlich bei uns. Deutschland
wurde arm. Anfangs wußte es nicht, woran das lag. Ans einmal merkte es.
daß ihm die wirthschaftliche Einheit fehle. Aber wie sie schaffen? Bei dieser
Politischen Zerrissenheit! War das nicht eine Ausgabe, schwierig wie die Qua¬
dratur des Zirkels, oder das Perpetuum mobile?

Die Art. wie man diese Aufgabe, unter Anwendung des äußersten Maßes
von Scharfsinn, Geschichtskenntniß und Patriotismus — man denke an Nebe-
nius in Karlsruhe und Kühne in Berlin! — zu lösen wußte, erinnert uns
gleichwohl stets — vielleicht sehr unpassender Weise, aber leider doch immerhin
zutreffender Weise — an eine alte schnurrige Studentcngeschichte.

An einigen kleinen deutschen Hochschulen herrscht die Unsitte, daß man die
Studenten, welche ihre Schulden nicht bezahlen, mit Stadtarrcst belegt und da¬
durch zwingt, auch fernerhin „fremdes Erz zusammenzuziehen". Ein mit sol¬
chem Banne belegter unglücklicher Musensohn erhält Nachricht aus der Heimath,
sein Vater liege bedenklich krank, er möge eiligst nach Hause kommen. Aber,
er hat Stadtarrest. Er eilt zum Prorector, einem wohlwollenden, gutherzigen
Theologen. Er zeigt ihm den Brief. „Eilen Sie nach Hause!" sagt der Pro-
rector. „Ich kann nicht," erwiedert der Student, „ich habe Stadtarrest, hebe»
Sie meinen Stadtarrcst auf." — „Ich kann nicht," sagt nun der Prorector.
»das kann nur das Universitätsgericht und dieses tritt erst übermorgen zu¬
sammen!" — „Aber um Himmels willen, was thun?" ruft verzweifelnd der
Student. Der Prorector sinnt nach, er sinnt lange nach. Anfangs bange, trüb
und ernst, endlich immer heiterer, sagt er zuletzt: „Jetzt hab ich es. reisen Sie
ab, reisen Sie sogleich nach Hause, aber unter strengster Beibehaltung
des Stadtarrestes!" -

Die Abreise mit Beibehaltung des Stadtarrestes — die wirthschaftliche
Einheit mit Beibehaltung des Uebermaßes politischer Zersplitterung und Spal¬
tung — das ist der Zollverein. Wir geben bereitwillig zu, eine schul-
Kerechte Definition ist das nicht, aber es ist die einfache reale Wahr¬
heit. Kein Wunder, daß die politische Vielheit und die wirthschaft! e Einheit


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[0413] land war bisher nur ein „Staatenbund". Kein Gesammtstaat. kein Gesammt- staatsbürgerrecht, souveräne Staaten, keine Bundesregierung, an der Stelle der letzteren nur eine Gesandtenconferenz ohne Executive, gebunden an Jnstructionen ihrer Auftraggeber, so daß das Ganze hinter dem Einzelnen zurücktreten, daß man vor Bäumen keinen Wald, vor lauter engen, engeren und engsten Vater¬ ländern kein Deutschland sah! Als nun alle diese einzelnen Staaten in dem Vollgefühle ihrer jungen Souveränetät und „unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes schützenden Privilegien" sich 1816 einzurichten begannen, Zolle etablirten, Grenzpfähle und Schlagbäume pflanzten, ein Heer von „Zöllner» und Sündern" (sit venia verbo!) anstellten, da wurde es sehr enge und unheimlich bei uns. Deutschland wurde arm. Anfangs wußte es nicht, woran das lag. Ans einmal merkte es. daß ihm die wirthschaftliche Einheit fehle. Aber wie sie schaffen? Bei dieser Politischen Zerrissenheit! War das nicht eine Ausgabe, schwierig wie die Qua¬ dratur des Zirkels, oder das Perpetuum mobile? Die Art. wie man diese Aufgabe, unter Anwendung des äußersten Maßes von Scharfsinn, Geschichtskenntniß und Patriotismus — man denke an Nebe- nius in Karlsruhe und Kühne in Berlin! — zu lösen wußte, erinnert uns gleichwohl stets — vielleicht sehr unpassender Weise, aber leider doch immerhin zutreffender Weise — an eine alte schnurrige Studentcngeschichte. An einigen kleinen deutschen Hochschulen herrscht die Unsitte, daß man die Studenten, welche ihre Schulden nicht bezahlen, mit Stadtarrcst belegt und da¬ durch zwingt, auch fernerhin „fremdes Erz zusammenzuziehen". Ein mit sol¬ chem Banne belegter unglücklicher Musensohn erhält Nachricht aus der Heimath, sein Vater liege bedenklich krank, er möge eiligst nach Hause kommen. Aber, er hat Stadtarrest. Er eilt zum Prorector, einem wohlwollenden, gutherzigen Theologen. Er zeigt ihm den Brief. „Eilen Sie nach Hause!" sagt der Pro- rector. „Ich kann nicht," erwiedert der Student, „ich habe Stadtarrest, hebe» Sie meinen Stadtarrcst auf." — „Ich kann nicht," sagt nun der Prorector. »das kann nur das Universitätsgericht und dieses tritt erst übermorgen zu¬ sammen!" — „Aber um Himmels willen, was thun?" ruft verzweifelnd der Student. Der Prorector sinnt nach, er sinnt lange nach. Anfangs bange, trüb und ernst, endlich immer heiterer, sagt er zuletzt: „Jetzt hab ich es. reisen Sie ab, reisen Sie sogleich nach Hause, aber unter strengster Beibehaltung des Stadtarrestes!" - Die Abreise mit Beibehaltung des Stadtarrestes — die wirthschaftliche Einheit mit Beibehaltung des Uebermaßes politischer Zersplitterung und Spal¬ tung — das ist der Zollverein. Wir geben bereitwillig zu, eine schul- Kerechte Definition ist das nicht, aber es ist die einfache reale Wahr¬ heit. Kein Wunder, daß die politische Vielheit und die wirthschaft! e Einheit Grenzboten III. 18VK. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/413>, abgerufen am 22.07.2024.