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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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so daß eine wörtliche Aufführung derselben nicht nöthig ist. Die Verhandlungen
waren nicht öffentlich und entziehen sich dadurch der Wiedergabe.

Prüfen wir den Werth der Beschlüsse des volkswirthschaftlichen Kongresses,
so wirft sich zunächst die Frage auf: "Was ist. oder was war. der deutsche
Zollverein?" Diese Frage zu. beantworten, politisch und wirthschaftlich cor-
rect zu beantworten, ist sehr schwer, selbst in dem allzeit zur Formulirung von
Definitionen (womit aber zuletzt in der Regel sehr wenig geholfen ist) so sehr
geneigten und geschickten Schriftgelehrten Deutschland.

Ein Institut wie der deutsche Zollverein war noch nicht da in der Ge¬
schichte und wird auch schwerlich jemals wiederkommen, weil die politische
Krankheit, woran Deutschland von 1815 bis 1865 litt, eine seltene ist. Un¬
beschadet des Respectes, den der Zollverein durch die von ihm der wirthschaft¬
lichen und nationalen Entwickelung Deutschlands in vollstem Maße geleisteten
Dienste verdient, unbeschadet der ruhmreichen Stellung, die er sich in der Ge¬
schichte unseres Vaterlandes erworben hat, dürfen wir jetzt -- auf der Schwelle
einer besseren Zukunft ---, ohne undankbar zu sein, doch sagen, er war keine
normale und bleibende, sondern eine abnorme und vorübergehende Institution.
Wir werden diesen Satz, welcher aus den ersten Blick vielleicht paradox klingt,
näher erläutern:

Es ist die Regel bei allen gesunden Nationen, daß das Gebiet der wirth¬
schaftlichen Einheit und das der nationalpolitischen Einheit einander decken.
Die politische Gesellschaft und die wirthschaftliche Gesellschaft bewegen sich unter
dem Schutze der nämlichen einen Staatsgewalt und des nämlichen Rechts und
Gesetzes auf demselben einheitlichen, ungetheilten und untheilbaren Gesammt-
staatsterritonum.

Auch die schweizer Eidgenossenschaft und die amerikanische Union liefern
kein Argument dagegen. Beide haben, obwohl in einzelne Staaten und Can-
tone getheilt und somit zusammengesetzte (und nicht einheitliche) Staaten, doch
eine wirkliche Centralregierung, eine Centralrepräsentation der Bevölkerung,
einen obersten Bundesgerichtshof, ein Gcsammtstaatsbürgerrecht. ein Gesammt-
staalswahlrecht für alle Bürger der Union und der Eidgenossenschaft, das sie
activ und passiv ausüben können in allen Orten, auch in denjenigen Staaten,
Territorien und Cantonen, wo sie nicht als specielle Cantonal- oder Territorial¬
bürger eingeschrieben sind, also ein Anrecht eines jeden Gcsammtstaatsbürgers
an das ganze Gcsammtstaatsgebiet. ohne Rücksicht auf die geographischen Unter¬
abtheilungen desselben, und an die ganze Staatsgewalt; und umgekehrt auf der
anderen Seite ein directes Anrecht der obersten Bundesgewalt auf die Personal-
und Finanzkraft des ganzen Gebietes und aller Bewohner desselben, ohne daß
es zu dessen Ausübung einer Vermittelung der einzelnen Staaten- und Cantonal-
regierungen bedarf. Die Schweiz und Nordamerika sind Bundesstaaten, Deutsch-


so daß eine wörtliche Aufführung derselben nicht nöthig ist. Die Verhandlungen
waren nicht öffentlich und entziehen sich dadurch der Wiedergabe.

Prüfen wir den Werth der Beschlüsse des volkswirthschaftlichen Kongresses,
so wirft sich zunächst die Frage auf: „Was ist. oder was war. der deutsche
Zollverein?" Diese Frage zu. beantworten, politisch und wirthschaftlich cor-
rect zu beantworten, ist sehr schwer, selbst in dem allzeit zur Formulirung von
Definitionen (womit aber zuletzt in der Regel sehr wenig geholfen ist) so sehr
geneigten und geschickten Schriftgelehrten Deutschland.

Ein Institut wie der deutsche Zollverein war noch nicht da in der Ge¬
schichte und wird auch schwerlich jemals wiederkommen, weil die politische
Krankheit, woran Deutschland von 1815 bis 1865 litt, eine seltene ist. Un¬
beschadet des Respectes, den der Zollverein durch die von ihm der wirthschaft¬
lichen und nationalen Entwickelung Deutschlands in vollstem Maße geleisteten
Dienste verdient, unbeschadet der ruhmreichen Stellung, die er sich in der Ge¬
schichte unseres Vaterlandes erworben hat, dürfen wir jetzt — auf der Schwelle
einer besseren Zukunft -—, ohne undankbar zu sein, doch sagen, er war keine
normale und bleibende, sondern eine abnorme und vorübergehende Institution.
Wir werden diesen Satz, welcher aus den ersten Blick vielleicht paradox klingt,
näher erläutern:

Es ist die Regel bei allen gesunden Nationen, daß das Gebiet der wirth¬
schaftlichen Einheit und das der nationalpolitischen Einheit einander decken.
Die politische Gesellschaft und die wirthschaftliche Gesellschaft bewegen sich unter
dem Schutze der nämlichen einen Staatsgewalt und des nämlichen Rechts und
Gesetzes auf demselben einheitlichen, ungetheilten und untheilbaren Gesammt-
staatsterritonum.

Auch die schweizer Eidgenossenschaft und die amerikanische Union liefern
kein Argument dagegen. Beide haben, obwohl in einzelne Staaten und Can-
tone getheilt und somit zusammengesetzte (und nicht einheitliche) Staaten, doch
eine wirkliche Centralregierung, eine Centralrepräsentation der Bevölkerung,
einen obersten Bundesgerichtshof, ein Gcsammtstaatsbürgerrecht. ein Gesammt-
staalswahlrecht für alle Bürger der Union und der Eidgenossenschaft, das sie
activ und passiv ausüben können in allen Orten, auch in denjenigen Staaten,
Territorien und Cantonen, wo sie nicht als specielle Cantonal- oder Territorial¬
bürger eingeschrieben sind, also ein Anrecht eines jeden Gcsammtstaatsbürgers
an das ganze Gcsammtstaatsgebiet. ohne Rücksicht auf die geographischen Unter¬
abtheilungen desselben, und an die ganze Staatsgewalt; und umgekehrt auf der
anderen Seite ein directes Anrecht der obersten Bundesgewalt auf die Personal-
und Finanzkraft des ganzen Gebietes und aller Bewohner desselben, ohne daß
es zu dessen Ausübung einer Vermittelung der einzelnen Staaten- und Cantonal-
regierungen bedarf. Die Schweiz und Nordamerika sind Bundesstaaten, Deutsch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/412>, abgerufen am 22.07.2024.