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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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in fortwährende Reibung und Conflicte geriethen, bei welchen die erstere, weil
sie obrigkeitlich constituirte Organe besaß, in der Regel siegte über die letztere,
welche solcher Organe entbehrte und dafür in der auftragslosen Geschäfts¬
führung Preußens und in der Zollconferenz, welche sich wieder aus einer an
Mehrheitsbeschlüsse nicht gebundenen Vielheit zusammensetzte, nur einen äußerst
mangelhaften Ersatz fand.

Und doch, wie sehr hätte der Particularismus Grund gehabt, dem Zoll¬
verein dankbar zu sein! Der letztere, indem er dem Particularismus, unter
gleichzeitiger Aufbesserung der Finanzen, jene Last der Zollschranken, mit welcher
er am schwersten auf den wirthschaftlichen Verkehr der bürgerlichen Gesellschaft
drückte und die produktiven Classen zur Unzufriedenheit aufstachelte, abnahm,
fristete demselben sein Dasein und würde ihm dasselbe noch weit länger gefristet
haben, wenn nicht der Particularismus durch die gröbsten Excesse und Fehler,
unter welchen der Undank und die Feindseligkeit gegen den Zollverein nicht die
letzte Stelle einnimmt, in arger Verblendung seinem Untergang in die Hände
gearbeitet hätte.

Statt längerer Ausführungen wollen wir einige historische und politische
Parallelen nur mit ein paar Strichen andeuten. Die Geschichte zusammen¬
gesetzter Staatencomplexe bietet solche.

Die im Jahre 1848 gegründete Einheit der Schweiz ist, trotz einzelner
Putschgelüste, trotz des Cantönligeistes, des Ultramontanism und sonstiger
feindlicher Gewalten, hauptsächlich deshalb so dauerhaft, weil man im
Innern die wirthschaftliche Einheit hergestellt und an den Anßenlinien das
Freihaudelsprincip adoptirt und damit den Samen der Zwietracht beseitigt hat.

Umgekehrt hat in der amerikanischen Union das von der Bundesregierung
im Widerspruch mit den allgemeinen Interessen und insbesondere auch derer
der Südstaaten festgehaltene und nahe bis an die Grenze des ProhibitivMems
emporgeschwindelte Princip der Schutzzölle, nächst der Frage der Sklaverei --
in dem einen Stück hatte der Süden Recht, in dem andern der Norden --,
am meisten dazu beigetragen, einen verhängnißvollen vierjährigen Bürgerkrieg,
der die Existenz des Gemeinwesens bedrohte, heraufzubeschwören. Es hindert
noch bis zur Stunde die volle Versöhnung.

In den italienischen Staaten, deren Geschichte die Idee der Einheit früher
kaum jemals in körperliche Erscheinungsform hat treten sehen, würde die Be¬
geisterung für die "Italie ura" schwerlich so rapide Fortschritte gemacht haben,
wenn nicht früher der Particularismus durch ein wahnwitziges Paß- und
Mauthsystem alle Adern des Verkehrs unterbunden hätte., Wäre in Italien bei
Zeiten ein Zollverein nach Art des deutschen zu Stande gekommen, oder hätte
der politische Particularismus in irgendeiner andern Form dem wirthschafrllchen
Einheilsbedürfniß dieses für den Handel geschaffenen Landes Concessionen ge-


in fortwährende Reibung und Conflicte geriethen, bei welchen die erstere, weil
sie obrigkeitlich constituirte Organe besaß, in der Regel siegte über die letztere,
welche solcher Organe entbehrte und dafür in der auftragslosen Geschäfts¬
führung Preußens und in der Zollconferenz, welche sich wieder aus einer an
Mehrheitsbeschlüsse nicht gebundenen Vielheit zusammensetzte, nur einen äußerst
mangelhaften Ersatz fand.

Und doch, wie sehr hätte der Particularismus Grund gehabt, dem Zoll¬
verein dankbar zu sein! Der letztere, indem er dem Particularismus, unter
gleichzeitiger Aufbesserung der Finanzen, jene Last der Zollschranken, mit welcher
er am schwersten auf den wirthschaftlichen Verkehr der bürgerlichen Gesellschaft
drückte und die produktiven Classen zur Unzufriedenheit aufstachelte, abnahm,
fristete demselben sein Dasein und würde ihm dasselbe noch weit länger gefristet
haben, wenn nicht der Particularismus durch die gröbsten Excesse und Fehler,
unter welchen der Undank und die Feindseligkeit gegen den Zollverein nicht die
letzte Stelle einnimmt, in arger Verblendung seinem Untergang in die Hände
gearbeitet hätte.

Statt längerer Ausführungen wollen wir einige historische und politische
Parallelen nur mit ein paar Strichen andeuten. Die Geschichte zusammen¬
gesetzter Staatencomplexe bietet solche.

Die im Jahre 1848 gegründete Einheit der Schweiz ist, trotz einzelner
Putschgelüste, trotz des Cantönligeistes, des Ultramontanism und sonstiger
feindlicher Gewalten, hauptsächlich deshalb so dauerhaft, weil man im
Innern die wirthschaftliche Einheit hergestellt und an den Anßenlinien das
Freihaudelsprincip adoptirt und damit den Samen der Zwietracht beseitigt hat.

Umgekehrt hat in der amerikanischen Union das von der Bundesregierung
im Widerspruch mit den allgemeinen Interessen und insbesondere auch derer
der Südstaaten festgehaltene und nahe bis an die Grenze des ProhibitivMems
emporgeschwindelte Princip der Schutzzölle, nächst der Frage der Sklaverei —
in dem einen Stück hatte der Süden Recht, in dem andern der Norden —,
am meisten dazu beigetragen, einen verhängnißvollen vierjährigen Bürgerkrieg,
der die Existenz des Gemeinwesens bedrohte, heraufzubeschwören. Es hindert
noch bis zur Stunde die volle Versöhnung.

In den italienischen Staaten, deren Geschichte die Idee der Einheit früher
kaum jemals in körperliche Erscheinungsform hat treten sehen, würde die Be¬
geisterung für die „Italie ura" schwerlich so rapide Fortschritte gemacht haben,
wenn nicht früher der Particularismus durch ein wahnwitziges Paß- und
Mauthsystem alle Adern des Verkehrs unterbunden hätte., Wäre in Italien bei
Zeiten ein Zollverein nach Art des deutschen zu Stande gekommen, oder hätte
der politische Particularismus in irgendeiner andern Form dem wirthschafrllchen
Einheilsbedürfniß dieses für den Handel geschaffenen Landes Concessionen ge-


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[0414] in fortwährende Reibung und Conflicte geriethen, bei welchen die erstere, weil sie obrigkeitlich constituirte Organe besaß, in der Regel siegte über die letztere, welche solcher Organe entbehrte und dafür in der auftragslosen Geschäfts¬ führung Preußens und in der Zollconferenz, welche sich wieder aus einer an Mehrheitsbeschlüsse nicht gebundenen Vielheit zusammensetzte, nur einen äußerst mangelhaften Ersatz fand. Und doch, wie sehr hätte der Particularismus Grund gehabt, dem Zoll¬ verein dankbar zu sein! Der letztere, indem er dem Particularismus, unter gleichzeitiger Aufbesserung der Finanzen, jene Last der Zollschranken, mit welcher er am schwersten auf den wirthschaftlichen Verkehr der bürgerlichen Gesellschaft drückte und die produktiven Classen zur Unzufriedenheit aufstachelte, abnahm, fristete demselben sein Dasein und würde ihm dasselbe noch weit länger gefristet haben, wenn nicht der Particularismus durch die gröbsten Excesse und Fehler, unter welchen der Undank und die Feindseligkeit gegen den Zollverein nicht die letzte Stelle einnimmt, in arger Verblendung seinem Untergang in die Hände gearbeitet hätte. Statt längerer Ausführungen wollen wir einige historische und politische Parallelen nur mit ein paar Strichen andeuten. Die Geschichte zusammen¬ gesetzter Staatencomplexe bietet solche. Die im Jahre 1848 gegründete Einheit der Schweiz ist, trotz einzelner Putschgelüste, trotz des Cantönligeistes, des Ultramontanism und sonstiger feindlicher Gewalten, hauptsächlich deshalb so dauerhaft, weil man im Innern die wirthschaftliche Einheit hergestellt und an den Anßenlinien das Freihaudelsprincip adoptirt und damit den Samen der Zwietracht beseitigt hat. Umgekehrt hat in der amerikanischen Union das von der Bundesregierung im Widerspruch mit den allgemeinen Interessen und insbesondere auch derer der Südstaaten festgehaltene und nahe bis an die Grenze des ProhibitivMems emporgeschwindelte Princip der Schutzzölle, nächst der Frage der Sklaverei — in dem einen Stück hatte der Süden Recht, in dem andern der Norden —, am meisten dazu beigetragen, einen verhängnißvollen vierjährigen Bürgerkrieg, der die Existenz des Gemeinwesens bedrohte, heraufzubeschwören. Es hindert noch bis zur Stunde die volle Versöhnung. In den italienischen Staaten, deren Geschichte die Idee der Einheit früher kaum jemals in körperliche Erscheinungsform hat treten sehen, würde die Be¬ geisterung für die „Italie ura" schwerlich so rapide Fortschritte gemacht haben, wenn nicht früher der Particularismus durch ein wahnwitziges Paß- und Mauthsystem alle Adern des Verkehrs unterbunden hätte., Wäre in Italien bei Zeiten ein Zollverein nach Art des deutschen zu Stande gekommen, oder hätte der politische Particularismus in irgendeiner andern Form dem wirthschafrllchen Einheilsbedürfniß dieses für den Handel geschaffenen Landes Concessionen ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/414>, abgerufen am 22.07.2024.