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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Zeit kasernirte Besatzung wieder in Bürgerquartiere gelegt werden. Die stif-
tischen Kammercvllegien zu Merseburg und Zeitz sind- aufgehoben; täglich ereignen
sich Veränderungen, welche darthun, daß unsre Gouvernementsbureaux nichts
sind als Rcvolutionstribunale. Die Sage, daß wir an Preußen kommen, ist
in aller Mund; aber der König schreibt öfter tröstlich ins Land, und da man
hört und liest, daß die Herrschaft immer bei heiterer Stimmung ist, so wollen
wir uns durch dies Possenspiel nicht irre machen lassen. Freilich, die Versamm¬
lung der Landstände in Leipzig ist noch vor Unterzeichnung ihrer Resolution
verscheucht worden.

6. 14, Juli 1814. Die bösen Zeichen mehren sich. Ein von den vor¬
nehmsten Landständen und den Stadträthen von Dresden und Bautzen.unter¬
zeichnetes Gesuch zur Absendung einer ständischen Deputation an die Verbün-
deten ist abgewiesen, nur Berichterstattung zugesagt. Dabei hat man durch die
Kreishauvtmannschüsten erklärt, daß 60,000 Russen im Lande stehen bleiben
würden, wenn die Bewegungen nicht aufhörten. Man fängt an unsre Gesin¬
nungen in bonaparteschem Stile zu bearbeiten. In öffentlichen Blättern sind
Aufsätze verbreitet unter dem Titel: ,.S a es s e n s Pflicht und Recht".")
"Von einer Darlegung der Lage Sachsens, die es nur zum Tummelplatze fremder
Heere mache, seine Bewohner aber zu einem unvernünftigen Nationalhasse gegen
seine Nachbarn zwänge, geht der Verfasser zu den vermeintlichen Vortheilen
einer Vereinigung mit Preußen über, die dasselbe durchaus begehren müsse, und
glaubt sie vornehmlich in einem geschlossenen Vertheidigungssystem, größeren
Vorzügen der preußischen Negierung, dem Eroberungsrechte und dem Benehmen
unsres Königs gegen die Alliirten zu finden. Diese Maxime, die Bewohner
eines Landes auf das ihnen zugedachte Schicksal vorzubereiten, hätte, sowie die
Convenienzpolitik, die Arrondirungsprojecte und das Aufwiegeln der Soldaten
und Unterthanen eines andern Fürsten durch Proclamationen, im Friedenstractat
als Greuel der französischen Revolution verdammt werden sollen." (Aber unser
Kritiker gesteht, es giebt leider catilinarische Existenzen genug im Lande, denen
solche Argumente zusagen; jedoch nur in den großen Städten fänden sich diese
verdorbenen Elemente.)

ä. 10. August 1814. Der Bankräuber Davoust und der blutdürstige Van-
damme sind in Freiheit gesetzt; aber unsre Herrschaften schmachten noch immer:
das ist die Epoche der Verträge! Wieder ist ein pöbelhaftes Annexionspasquill
ans Licht getreten: Friedrich August und sein Volk im Jahre 1813.
"Seine Absicht ist, die Sachse" zu trösten, daß sie, so Gott will, zu der Ehre
gelangen, für ein abgesondertes sächsisches Nationchen wieder ein innigst mit- .
fühlender und mitleidender Theil des deutschen Volkes zu werden." Friedrich



") Erschienen im Rheinischen Merkur 1814.
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Zeit kasernirte Besatzung wieder in Bürgerquartiere gelegt werden. Die stif-
tischen Kammercvllegien zu Merseburg und Zeitz sind- aufgehoben; täglich ereignen
sich Veränderungen, welche darthun, daß unsre Gouvernementsbureaux nichts
sind als Rcvolutionstribunale. Die Sage, daß wir an Preußen kommen, ist
in aller Mund; aber der König schreibt öfter tröstlich ins Land, und da man
hört und liest, daß die Herrschaft immer bei heiterer Stimmung ist, so wollen
wir uns durch dies Possenspiel nicht irre machen lassen. Freilich, die Versamm¬
lung der Landstände in Leipzig ist noch vor Unterzeichnung ihrer Resolution
verscheucht worden.

6. 14, Juli 1814. Die bösen Zeichen mehren sich. Ein von den vor¬
nehmsten Landständen und den Stadträthen von Dresden und Bautzen.unter¬
zeichnetes Gesuch zur Absendung einer ständischen Deputation an die Verbün-
deten ist abgewiesen, nur Berichterstattung zugesagt. Dabei hat man durch die
Kreishauvtmannschüsten erklärt, daß 60,000 Russen im Lande stehen bleiben
würden, wenn die Bewegungen nicht aufhörten. Man fängt an unsre Gesin¬
nungen in bonaparteschem Stile zu bearbeiten. In öffentlichen Blättern sind
Aufsätze verbreitet unter dem Titel: ,.S a es s e n s Pflicht und Recht".")
„Von einer Darlegung der Lage Sachsens, die es nur zum Tummelplatze fremder
Heere mache, seine Bewohner aber zu einem unvernünftigen Nationalhasse gegen
seine Nachbarn zwänge, geht der Verfasser zu den vermeintlichen Vortheilen
einer Vereinigung mit Preußen über, die dasselbe durchaus begehren müsse, und
glaubt sie vornehmlich in einem geschlossenen Vertheidigungssystem, größeren
Vorzügen der preußischen Negierung, dem Eroberungsrechte und dem Benehmen
unsres Königs gegen die Alliirten zu finden. Diese Maxime, die Bewohner
eines Landes auf das ihnen zugedachte Schicksal vorzubereiten, hätte, sowie die
Convenienzpolitik, die Arrondirungsprojecte und das Aufwiegeln der Soldaten
und Unterthanen eines andern Fürsten durch Proclamationen, im Friedenstractat
als Greuel der französischen Revolution verdammt werden sollen." (Aber unser
Kritiker gesteht, es giebt leider catilinarische Existenzen genug im Lande, denen
solche Argumente zusagen; jedoch nur in den großen Städten fänden sich diese
verdorbenen Elemente.)

ä. 10. August 1814. Der Bankräuber Davoust und der blutdürstige Van-
damme sind in Freiheit gesetzt; aber unsre Herrschaften schmachten noch immer:
das ist die Epoche der Verträge! Wieder ist ein pöbelhaftes Annexionspasquill
ans Licht getreten: Friedrich August und sein Volk im Jahre 1813.
»Seine Absicht ist, die Sachse» zu trösten, daß sie, so Gott will, zu der Ehre
gelangen, für ein abgesondertes sächsisches Nationchen wieder ein innigst mit- .
fühlender und mitleidender Theil des deutschen Volkes zu werden." Friedrich



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/399>, abgerufen am 22.07.2024.