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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Die kriegerischen Vorgänge in und um Mainz während der letzten Kata¬
strophe bieten manches Eigenthümliche, das näherer Beleuchtung werth ist.
Was hier vorgegangen, giebt klares Zeugniß von dem Zerfall der morschen
Bundesinstitutionen, namentlich des Reichskriegswesens. Die traurige Wirth¬
schaft der alten seligen Reichsarmee war nur insofern modernisirt, als das Ma¬
terial, lebendes wie fabricirtes, bei weitem besser geworden ist. Denn unter
anderen Umständen wäre bei dem guten Willen und der Ausbildung der meisten
Truppen, auch der kleineren Kontingente, schon jetzt ein gutes Resultat zu er¬
zielen gewesen. Die spätere Kriegsgeschichte wird über die ungenügenden Zu¬
stände noch strengeres Urtheil fällen, als wir uns hier herausnehmen. Denn
in schlichter Schilderung soll zwar berichtet werden, was wir während zweier
verhängnisvoller Monde in der ersten Festung des verlebten Bundes sahen und
hörten, aber patriotische Pflicht gebietet noch manches zu verschweigen.

Die feindselige Stellung der beiden Großmächte, die seit einem halben
Jahrhundert die Festung besetzt hielten, war documentirt, die Besatzung von
Mainz sollte also gewechselt, Preußen und Oestreicher herausgezogen werden,
obgleich durch wunderliche Fügung die von Oestreich hierher gelegten Truppen
Italiener, also eigentlich mehr Bundesgenossen der Preußen als deren Gegner
waren. Nach der Bundesmatrikel waren die Kontingente des Reservecorps, das
aus den kleineren deutschen Staaten gebildet wurde, zur Besatzung bestimmt,
und damit waren Oestreich und Preußen einverstanden. Letzteres gab -- wohl¬
gemerkt! -- seine Zustimmung, als es noch dem deutschen Bunde angehörte.
Die Festung und deren Gebiet wurde bekanntlich für neutral erklärt. Aber
bald sollte alles anders werden. Preußen schied aus dem deutschen Bunde,
die Auflösung des Bundes brachte hier täglich größere Wirren hervor. Mehre
Staaten folgten dem Beispiele Preußens, andere wurden unschlüssig. So kam
es , daß nur der kleinere'Theil der nach Mainz bestimmten Truppen dieser
Weisung nachkam. Einige schlüpften noch vor Thorschluß herein, andere machten
auf dem Wege Halt oder Kehrt, wie z. B. die Schwarzburg-Rudolstädtcr, die
plötzlich aus Bundesgenossen Gegner wurden und als solche bei Mainz ihren
Nachbarn auf den Leib rückten. Der Embarras war von Anbeginn des Krieges
vollkommen fix und fertig. -- Die ersten Besatzungstruppen, die in Mainz um
Mitte Juni einrückten, waren Bayern. Weimaraner. Meininger und Bückeburger,
'n Summa etwa 5.000 Mann, also kaum zwei Drittel der Friedensstärke unserer
Besatzung. Dabei waren noch einige Ueberbleibsel der Oestreicher und Preußen,
da jenes bis dahin die Artillerie-, letzteres die Geniedircction gegeben hatte.
Zur Besetzung des Platzes in Kriegszeiten sind mindestens 35--40,000 Mann
erforderlich. wenn man ihn mit Festigkeit behaupten will. Wer den stunden¬
weiter Umfang der Werke einigermaßen kennt, wird diese Zahl nicht zu hoch
Segriffen, finden.


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Die kriegerischen Vorgänge in und um Mainz während der letzten Kata¬
strophe bieten manches Eigenthümliche, das näherer Beleuchtung werth ist.
Was hier vorgegangen, giebt klares Zeugniß von dem Zerfall der morschen
Bundesinstitutionen, namentlich des Reichskriegswesens. Die traurige Wirth¬
schaft der alten seligen Reichsarmee war nur insofern modernisirt, als das Ma¬
terial, lebendes wie fabricirtes, bei weitem besser geworden ist. Denn unter
anderen Umständen wäre bei dem guten Willen und der Ausbildung der meisten
Truppen, auch der kleineren Kontingente, schon jetzt ein gutes Resultat zu er¬
zielen gewesen. Die spätere Kriegsgeschichte wird über die ungenügenden Zu¬
stände noch strengeres Urtheil fällen, als wir uns hier herausnehmen. Denn
in schlichter Schilderung soll zwar berichtet werden, was wir während zweier
verhängnisvoller Monde in der ersten Festung des verlebten Bundes sahen und
hörten, aber patriotische Pflicht gebietet noch manches zu verschweigen.

Die feindselige Stellung der beiden Großmächte, die seit einem halben
Jahrhundert die Festung besetzt hielten, war documentirt, die Besatzung von
Mainz sollte also gewechselt, Preußen und Oestreicher herausgezogen werden,
obgleich durch wunderliche Fügung die von Oestreich hierher gelegten Truppen
Italiener, also eigentlich mehr Bundesgenossen der Preußen als deren Gegner
waren. Nach der Bundesmatrikel waren die Kontingente des Reservecorps, das
aus den kleineren deutschen Staaten gebildet wurde, zur Besatzung bestimmt,
und damit waren Oestreich und Preußen einverstanden. Letzteres gab — wohl¬
gemerkt! — seine Zustimmung, als es noch dem deutschen Bunde angehörte.
Die Festung und deren Gebiet wurde bekanntlich für neutral erklärt. Aber
bald sollte alles anders werden. Preußen schied aus dem deutschen Bunde,
die Auflösung des Bundes brachte hier täglich größere Wirren hervor. Mehre
Staaten folgten dem Beispiele Preußens, andere wurden unschlüssig. So kam
es , daß nur der kleinere'Theil der nach Mainz bestimmten Truppen dieser
Weisung nachkam. Einige schlüpften noch vor Thorschluß herein, andere machten
auf dem Wege Halt oder Kehrt, wie z. B. die Schwarzburg-Rudolstädtcr, die
plötzlich aus Bundesgenossen Gegner wurden und als solche bei Mainz ihren
Nachbarn auf den Leib rückten. Der Embarras war von Anbeginn des Krieges
vollkommen fix und fertig. — Die ersten Besatzungstruppen, die in Mainz um
Mitte Juni einrückten, waren Bayern. Weimaraner. Meininger und Bückeburger,
'n Summa etwa 5.000 Mann, also kaum zwei Drittel der Friedensstärke unserer
Besatzung. Dabei waren noch einige Ueberbleibsel der Oestreicher und Preußen,
da jenes bis dahin die Artillerie-, letzteres die Geniedircction gegeben hatte.
Zur Besetzung des Platzes in Kriegszeiten sind mindestens 35—40,000 Mann
erforderlich. wenn man ihn mit Festigkeit behaupten will. Wer den stunden¬
weiter Umfang der Werke einigermaßen kennt, wird diese Zahl nicht zu hoch
Segriffen, finden.


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[0365] Die kriegerischen Vorgänge in und um Mainz während der letzten Kata¬ strophe bieten manches Eigenthümliche, das näherer Beleuchtung werth ist. Was hier vorgegangen, giebt klares Zeugniß von dem Zerfall der morschen Bundesinstitutionen, namentlich des Reichskriegswesens. Die traurige Wirth¬ schaft der alten seligen Reichsarmee war nur insofern modernisirt, als das Ma¬ terial, lebendes wie fabricirtes, bei weitem besser geworden ist. Denn unter anderen Umständen wäre bei dem guten Willen und der Ausbildung der meisten Truppen, auch der kleineren Kontingente, schon jetzt ein gutes Resultat zu er¬ zielen gewesen. Die spätere Kriegsgeschichte wird über die ungenügenden Zu¬ stände noch strengeres Urtheil fällen, als wir uns hier herausnehmen. Denn in schlichter Schilderung soll zwar berichtet werden, was wir während zweier verhängnisvoller Monde in der ersten Festung des verlebten Bundes sahen und hörten, aber patriotische Pflicht gebietet noch manches zu verschweigen. Die feindselige Stellung der beiden Großmächte, die seit einem halben Jahrhundert die Festung besetzt hielten, war documentirt, die Besatzung von Mainz sollte also gewechselt, Preußen und Oestreicher herausgezogen werden, obgleich durch wunderliche Fügung die von Oestreich hierher gelegten Truppen Italiener, also eigentlich mehr Bundesgenossen der Preußen als deren Gegner waren. Nach der Bundesmatrikel waren die Kontingente des Reservecorps, das aus den kleineren deutschen Staaten gebildet wurde, zur Besatzung bestimmt, und damit waren Oestreich und Preußen einverstanden. Letzteres gab — wohl¬ gemerkt! — seine Zustimmung, als es noch dem deutschen Bunde angehörte. Die Festung und deren Gebiet wurde bekanntlich für neutral erklärt. Aber bald sollte alles anders werden. Preußen schied aus dem deutschen Bunde, die Auflösung des Bundes brachte hier täglich größere Wirren hervor. Mehre Staaten folgten dem Beispiele Preußens, andere wurden unschlüssig. So kam es , daß nur der kleinere'Theil der nach Mainz bestimmten Truppen dieser Weisung nachkam. Einige schlüpften noch vor Thorschluß herein, andere machten auf dem Wege Halt oder Kehrt, wie z. B. die Schwarzburg-Rudolstädtcr, die plötzlich aus Bundesgenossen Gegner wurden und als solche bei Mainz ihren Nachbarn auf den Leib rückten. Der Embarras war von Anbeginn des Krieges vollkommen fix und fertig. — Die ersten Besatzungstruppen, die in Mainz um Mitte Juni einrückten, waren Bayern. Weimaraner. Meininger und Bückeburger, 'n Summa etwa 5.000 Mann, also kaum zwei Drittel der Friedensstärke unserer Besatzung. Dabei waren noch einige Ueberbleibsel der Oestreicher und Preußen, da jenes bis dahin die Artillerie-, letzteres die Geniedircction gegeben hatte. Zur Besetzung des Platzes in Kriegszeiten sind mindestens 35—40,000 Mann erforderlich. wenn man ihn mit Festigkeit behaupten will. Wer den stunden¬ weiter Umfang der Werke einigermaßen kennt, wird diese Zahl nicht zu hoch Segriffen, finden. 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/365>, abgerufen am 22.07.2024.