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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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jedoch einen genügenden Ersatz bieten zu können. Dieser Verein, gegründet
1839, hat unter den schwankenden politischen Conjuncturen der jüngsten Ver¬
gangenheit quantitativ und qualitativ gelitten. Zur Zeit seiner Entstehung war
die Lage in Preußen und die Parteigruppirung im Süden eine andere als
jetzt. In Preußen standen damals Schwerin, Patow, Auerswald an der Spitze
der Geschäfte. Sie schonten Oestreich und bedrohten nur die Regierungen
der Kleinstaaten, und auch diese nur mit "moralischen" Eroberungen, wodurch
diese Gouvernements zwar unter Umständen, d. h. bei hastigem und hartnäckigem
Andrängen der eigenen Bevölkerung, gezwungen wurden, liberal zu werden,
aber grade wenn sie dies wurden, um so weniger Anlaß fanden, national zu
sein, d. h. sich einer preußischen oder irgendeiner anderen Reichsgewalt zu
unterwerfen. Denn je mehr sie liberal wurden, desto mehr nahm das Drängen
der einheimischen Bevölkerung ab, welche über dem Schein der Freiheit oder
über dem vorübergehenden widerruflichen und unverbürgten Besitz und Genuß
eines Stückchens Freiheit nur allzu leicht die Einheit vergaß, welche allein der
Freiheit Dauer. Gewähr und Werth verleihen kann, weil sie das Recht
und die Macht identificirt. In Süddeutschland hatte sich damals, 18S9,
noch nicht jener Preußenhaß, jener centrifugale Sanct-Veitstanz entwickelt, zu
welchem auch damals, bei der liberalen, friedfertigen, weder gegen die Klein¬
staaterei, noch gegen Oestreich aggressiven Haltung des preußischen Ministeriums,
der Stimulus und die Musik fehlten.

Nachdem in Preußen an die Stelle eines liberal-friedfertigen ein conserva-
tiv-aggressives Ministerium getreten war, welches auch die Gouvernements der
Mittel- und Kleinstaaten ermunterte, in konservative (oder richtiger gesagt in
Pseudo-conservative, klerikale, bureaukratisch-particularistische, östreichelnde, wel-
fische u. s. w.) Bahnen einzulenken, weil sie sich vor moralischen Eroberungen
nicht mehr fürchteten und an kriegerische Eroberungen im Köhlerglauben an die
Allmacht der östreichischen Waffen gar nicht dachten, änderte sich das alles. In
Preußen fraß sich das Gift des "inneren Conflictes" immer tiefer ein. Man
vergaß darüber den nationalen Beruf des Staats. Im Süden machten die
Particularistischen. klerikalen und antinationalen Parteien Front gegen Preußen,
weil es nationalen Beruf hat. Die liberalen Fractionen machten Front
gegen Peußen, weil es eine konservative Regierung hatte. Die Kon¬
servativen im Süden haßten den Grafen Bismarck, weil er national, die
Liberalen haßten ihn, weil er conservativ war. Dadurch rückten die
Schwarzen und die Rothen, früher durch einen Abgrund getrennt, einander
so nahe, daß in demselben Moment der damals noch der Fortschrittspartei
ungehörige bayerische Abgeordnete Cramer-Doos in Nürnberg und der der
äußersten Rückschrittspartei ""gehörige klerikale "Volksbote" in München Preußen
und dem ganzen Norden die Freundschaft kündigten, indem sie wie der Pha-


jedoch einen genügenden Ersatz bieten zu können. Dieser Verein, gegründet
1839, hat unter den schwankenden politischen Conjuncturen der jüngsten Ver¬
gangenheit quantitativ und qualitativ gelitten. Zur Zeit seiner Entstehung war
die Lage in Preußen und die Parteigruppirung im Süden eine andere als
jetzt. In Preußen standen damals Schwerin, Patow, Auerswald an der Spitze
der Geschäfte. Sie schonten Oestreich und bedrohten nur die Regierungen
der Kleinstaaten, und auch diese nur mit „moralischen" Eroberungen, wodurch
diese Gouvernements zwar unter Umständen, d. h. bei hastigem und hartnäckigem
Andrängen der eigenen Bevölkerung, gezwungen wurden, liberal zu werden,
aber grade wenn sie dies wurden, um so weniger Anlaß fanden, national zu
sein, d. h. sich einer preußischen oder irgendeiner anderen Reichsgewalt zu
unterwerfen. Denn je mehr sie liberal wurden, desto mehr nahm das Drängen
der einheimischen Bevölkerung ab, welche über dem Schein der Freiheit oder
über dem vorübergehenden widerruflichen und unverbürgten Besitz und Genuß
eines Stückchens Freiheit nur allzu leicht die Einheit vergaß, welche allein der
Freiheit Dauer. Gewähr und Werth verleihen kann, weil sie das Recht
und die Macht identificirt. In Süddeutschland hatte sich damals, 18S9,
noch nicht jener Preußenhaß, jener centrifugale Sanct-Veitstanz entwickelt, zu
welchem auch damals, bei der liberalen, friedfertigen, weder gegen die Klein¬
staaterei, noch gegen Oestreich aggressiven Haltung des preußischen Ministeriums,
der Stimulus und die Musik fehlten.

Nachdem in Preußen an die Stelle eines liberal-friedfertigen ein conserva-
tiv-aggressives Ministerium getreten war, welches auch die Gouvernements der
Mittel- und Kleinstaaten ermunterte, in konservative (oder richtiger gesagt in
Pseudo-conservative, klerikale, bureaukratisch-particularistische, östreichelnde, wel-
fische u. s. w.) Bahnen einzulenken, weil sie sich vor moralischen Eroberungen
nicht mehr fürchteten und an kriegerische Eroberungen im Köhlerglauben an die
Allmacht der östreichischen Waffen gar nicht dachten, änderte sich das alles. In
Preußen fraß sich das Gift des „inneren Conflictes" immer tiefer ein. Man
vergaß darüber den nationalen Beruf des Staats. Im Süden machten die
Particularistischen. klerikalen und antinationalen Parteien Front gegen Preußen,
weil es nationalen Beruf hat. Die liberalen Fractionen machten Front
gegen Peußen, weil es eine konservative Regierung hatte. Die Kon¬
servativen im Süden haßten den Grafen Bismarck, weil er national, die
Liberalen haßten ihn, weil er conservativ war. Dadurch rückten die
Schwarzen und die Rothen, früher durch einen Abgrund getrennt, einander
so nahe, daß in demselben Moment der damals noch der Fortschrittspartei
ungehörige bayerische Abgeordnete Cramer-Doos in Nürnberg und der der
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und dem ganzen Norden die Freundschaft kündigten, indem sie wie der Pha-


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[0333] jedoch einen genügenden Ersatz bieten zu können. Dieser Verein, gegründet 1839, hat unter den schwankenden politischen Conjuncturen der jüngsten Ver¬ gangenheit quantitativ und qualitativ gelitten. Zur Zeit seiner Entstehung war die Lage in Preußen und die Parteigruppirung im Süden eine andere als jetzt. In Preußen standen damals Schwerin, Patow, Auerswald an der Spitze der Geschäfte. Sie schonten Oestreich und bedrohten nur die Regierungen der Kleinstaaten, und auch diese nur mit „moralischen" Eroberungen, wodurch diese Gouvernements zwar unter Umständen, d. h. bei hastigem und hartnäckigem Andrängen der eigenen Bevölkerung, gezwungen wurden, liberal zu werden, aber grade wenn sie dies wurden, um so weniger Anlaß fanden, national zu sein, d. h. sich einer preußischen oder irgendeiner anderen Reichsgewalt zu unterwerfen. Denn je mehr sie liberal wurden, desto mehr nahm das Drängen der einheimischen Bevölkerung ab, welche über dem Schein der Freiheit oder über dem vorübergehenden widerruflichen und unverbürgten Besitz und Genuß eines Stückchens Freiheit nur allzu leicht die Einheit vergaß, welche allein der Freiheit Dauer. Gewähr und Werth verleihen kann, weil sie das Recht und die Macht identificirt. In Süddeutschland hatte sich damals, 18S9, noch nicht jener Preußenhaß, jener centrifugale Sanct-Veitstanz entwickelt, zu welchem auch damals, bei der liberalen, friedfertigen, weder gegen die Klein¬ staaterei, noch gegen Oestreich aggressiven Haltung des preußischen Ministeriums, der Stimulus und die Musik fehlten. Nachdem in Preußen an die Stelle eines liberal-friedfertigen ein conserva- tiv-aggressives Ministerium getreten war, welches auch die Gouvernements der Mittel- und Kleinstaaten ermunterte, in konservative (oder richtiger gesagt in Pseudo-conservative, klerikale, bureaukratisch-particularistische, östreichelnde, wel- fische u. s. w.) Bahnen einzulenken, weil sie sich vor moralischen Eroberungen nicht mehr fürchteten und an kriegerische Eroberungen im Köhlerglauben an die Allmacht der östreichischen Waffen gar nicht dachten, änderte sich das alles. In Preußen fraß sich das Gift des „inneren Conflictes" immer tiefer ein. Man vergaß darüber den nationalen Beruf des Staats. Im Süden machten die Particularistischen. klerikalen und antinationalen Parteien Front gegen Preußen, weil es nationalen Beruf hat. Die liberalen Fractionen machten Front gegen Peußen, weil es eine konservative Regierung hatte. Die Kon¬ servativen im Süden haßten den Grafen Bismarck, weil er national, die Liberalen haßten ihn, weil er conservativ war. Dadurch rückten die Schwarzen und die Rothen, früher durch einen Abgrund getrennt, einander so nahe, daß in demselben Moment der damals noch der Fortschrittspartei ungehörige bayerische Abgeordnete Cramer-Doos in Nürnberg und der der äußersten Rückschrittspartei «„gehörige klerikale „Volksbote" in München Preußen und dem ganzen Norden die Freundschaft kündigten, indem sie wie der Pha-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/333>, abgerufen am 22.07.2024.