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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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geheimen politischen oder mystischen Gesellschaften überzeugte. Aber die piemon¬
tesischen Staatsmänner thaten selbst ihr Möglichstes, um sich mit gebundenen
Händen an die Politik der heiligen Allianz auszuliefern.

Man stand noch immer gegen Oestreich, in allen Instructionen an die Ge¬
sandten wiederholte San Marzano den Gedanken, daß das Uebergewicht Oestreichs
eine Gefahr für Europa sei, und in einer bemerkenswerthen Instruction, die im
März 1820 der nach Berlin ernannte Graf Sales erhielt, wurde diesem auf¬
getragen, alle Anstrengungen zu machen, um den König von Preußen für die
Interessen Sardiniens einzunehmen, welche identisch seien mit denen Italiens
und deshalb aufs innigste verknüpft mit denen Preußens und Europas über¬
haupt. Aber gleichzeitig war die Abneigung gegen freisinnige Einrichtungen
nicht geringer als die gegen Oestreich. Die Censur wurde strenger gehandhabt
als in der Lombardei, und niemand beschwerte sich lauter über den Mailänder
Conciliatore als das turiner Cabinet. Was half es, wenn man bei den Höfen
die Hinterlist Oestreichs denuncirte und von dem Gewinn von Provinzen
träumte? Wenn durch Tradition und Beruf, sagt Farini, die Richtung der
Negierung Victor Emanuels italienisch war, so verwickelte sie sich, indem sie
thatsächlich dem politischen Fortschritt entgegen war, in einen Widerspruch und
verursachte dem Staat, den sie größer und stärker machen wollte, eine innerliche
Schwäche. Nur die Erinnerung an die kriegerischen Tugenden und die n,atio-
nalen Strebungen der alten Fürsten von Savoyen hielt die Freunde der Frei¬
heit in der Hoffnung aufrecht, daß die Nachkommen doch einmal die günstige
Gelegenheit zu nationalen Unternehmungen ergreifen würden.

Unter diesen Umständen bedürfte es nur eines Ereignisses, wie die neapo'-
litauische Revolution von 1820, um die piemontesische Politik vollends aus dem
Geleise zu bringen. Die konstitutionellen Ideen verabscheuend warfen sich die
Piemontesischen Staatsmänner jetzt kopfüber in die Arme Oestreichs, halfen mit
eigener Hand den Liberalismus in Italien ersticken und wütheten damit blind¬
lings wider ihre eigenen Interessen. Noch entschiedener war der Rückschlag der
Piemontesischen Revolution, um so mehr, als der träge Karl Felix nicht einmal
mehr den persönlichen Ehrgeiz und selbst den häuslichen Haß gegen Oestreich
weit nicht in dem Grade besaß, als sein Bruder Victor Emanuel.

In der piemontesischen Diplomatie selbst ist eine auffallende Abnahme be¬
merklich. Anfangs läuft noch eine weniger liberale als entschieden nationale
Strömung her, zu ihr gehören d'Aglio und Brusasco, welche am längsten die
ruhmvolle Tradition der piemontesischen Politik bewahren, "der die .östreichische
Partei, geführt von San Marzano und in Wien durch den ganz beschränken
Grafen Pralormo vertreten, trägt auf der ganzen Linie den Sieg davon.
Man wird in kleineren Dingen den östreichischen Eingriffen in den "eigenen
Staat noch immer einen eifersüchtigen Widerstand entgegensetzen, aber man


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geheimen politischen oder mystischen Gesellschaften überzeugte. Aber die piemon¬
tesischen Staatsmänner thaten selbst ihr Möglichstes, um sich mit gebundenen
Händen an die Politik der heiligen Allianz auszuliefern.

Man stand noch immer gegen Oestreich, in allen Instructionen an die Ge¬
sandten wiederholte San Marzano den Gedanken, daß das Uebergewicht Oestreichs
eine Gefahr für Europa sei, und in einer bemerkenswerthen Instruction, die im
März 1820 der nach Berlin ernannte Graf Sales erhielt, wurde diesem auf¬
getragen, alle Anstrengungen zu machen, um den König von Preußen für die
Interessen Sardiniens einzunehmen, welche identisch seien mit denen Italiens
und deshalb aufs innigste verknüpft mit denen Preußens und Europas über¬
haupt. Aber gleichzeitig war die Abneigung gegen freisinnige Einrichtungen
nicht geringer als die gegen Oestreich. Die Censur wurde strenger gehandhabt
als in der Lombardei, und niemand beschwerte sich lauter über den Mailänder
Conciliatore als das turiner Cabinet. Was half es, wenn man bei den Höfen
die Hinterlist Oestreichs denuncirte und von dem Gewinn von Provinzen
träumte? Wenn durch Tradition und Beruf, sagt Farini, die Richtung der
Negierung Victor Emanuels italienisch war, so verwickelte sie sich, indem sie
thatsächlich dem politischen Fortschritt entgegen war, in einen Widerspruch und
verursachte dem Staat, den sie größer und stärker machen wollte, eine innerliche
Schwäche. Nur die Erinnerung an die kriegerischen Tugenden und die n,atio-
nalen Strebungen der alten Fürsten von Savoyen hielt die Freunde der Frei¬
heit in der Hoffnung aufrecht, daß die Nachkommen doch einmal die günstige
Gelegenheit zu nationalen Unternehmungen ergreifen würden.

Unter diesen Umständen bedürfte es nur eines Ereignisses, wie die neapo'-
litauische Revolution von 1820, um die piemontesische Politik vollends aus dem
Geleise zu bringen. Die konstitutionellen Ideen verabscheuend warfen sich die
Piemontesischen Staatsmänner jetzt kopfüber in die Arme Oestreichs, halfen mit
eigener Hand den Liberalismus in Italien ersticken und wütheten damit blind¬
lings wider ihre eigenen Interessen. Noch entschiedener war der Rückschlag der
Piemontesischen Revolution, um so mehr, als der träge Karl Felix nicht einmal
mehr den persönlichen Ehrgeiz und selbst den häuslichen Haß gegen Oestreich
weit nicht in dem Grade besaß, als sein Bruder Victor Emanuel.

In der piemontesischen Diplomatie selbst ist eine auffallende Abnahme be¬
merklich. Anfangs läuft noch eine weniger liberale als entschieden nationale
Strömung her, zu ihr gehören d'Aglio und Brusasco, welche am längsten die
ruhmvolle Tradition der piemontesischen Politik bewahren, «der die .östreichische
Partei, geführt von San Marzano und in Wien durch den ganz beschränken
Grafen Pralormo vertreten, trägt auf der ganzen Linie den Sieg davon.
Man wird in kleineren Dingen den östreichischen Eingriffen in den »eigenen
Staat noch immer einen eifersüchtigen Widerstand entgegensetzen, aber man


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[0239] geheimen politischen oder mystischen Gesellschaften überzeugte. Aber die piemon¬ tesischen Staatsmänner thaten selbst ihr Möglichstes, um sich mit gebundenen Händen an die Politik der heiligen Allianz auszuliefern. Man stand noch immer gegen Oestreich, in allen Instructionen an die Ge¬ sandten wiederholte San Marzano den Gedanken, daß das Uebergewicht Oestreichs eine Gefahr für Europa sei, und in einer bemerkenswerthen Instruction, die im März 1820 der nach Berlin ernannte Graf Sales erhielt, wurde diesem auf¬ getragen, alle Anstrengungen zu machen, um den König von Preußen für die Interessen Sardiniens einzunehmen, welche identisch seien mit denen Italiens und deshalb aufs innigste verknüpft mit denen Preußens und Europas über¬ haupt. Aber gleichzeitig war die Abneigung gegen freisinnige Einrichtungen nicht geringer als die gegen Oestreich. Die Censur wurde strenger gehandhabt als in der Lombardei, und niemand beschwerte sich lauter über den Mailänder Conciliatore als das turiner Cabinet. Was half es, wenn man bei den Höfen die Hinterlist Oestreichs denuncirte und von dem Gewinn von Provinzen träumte? Wenn durch Tradition und Beruf, sagt Farini, die Richtung der Negierung Victor Emanuels italienisch war, so verwickelte sie sich, indem sie thatsächlich dem politischen Fortschritt entgegen war, in einen Widerspruch und verursachte dem Staat, den sie größer und stärker machen wollte, eine innerliche Schwäche. Nur die Erinnerung an die kriegerischen Tugenden und die n,atio- nalen Strebungen der alten Fürsten von Savoyen hielt die Freunde der Frei¬ heit in der Hoffnung aufrecht, daß die Nachkommen doch einmal die günstige Gelegenheit zu nationalen Unternehmungen ergreifen würden. Unter diesen Umständen bedürfte es nur eines Ereignisses, wie die neapo'- litauische Revolution von 1820, um die piemontesische Politik vollends aus dem Geleise zu bringen. Die konstitutionellen Ideen verabscheuend warfen sich die Piemontesischen Staatsmänner jetzt kopfüber in die Arme Oestreichs, halfen mit eigener Hand den Liberalismus in Italien ersticken und wütheten damit blind¬ lings wider ihre eigenen Interessen. Noch entschiedener war der Rückschlag der Piemontesischen Revolution, um so mehr, als der träge Karl Felix nicht einmal mehr den persönlichen Ehrgeiz und selbst den häuslichen Haß gegen Oestreich weit nicht in dem Grade besaß, als sein Bruder Victor Emanuel. In der piemontesischen Diplomatie selbst ist eine auffallende Abnahme be¬ merklich. Anfangs läuft noch eine weniger liberale als entschieden nationale Strömung her, zu ihr gehören d'Aglio und Brusasco, welche am längsten die ruhmvolle Tradition der piemontesischen Politik bewahren, «der die .östreichische Partei, geführt von San Marzano und in Wien durch den ganz beschränken Grafen Pralormo vertreten, trägt auf der ganzen Linie den Sieg davon. Man wird in kleineren Dingen den östreichischen Eingriffen in den »eigenen Staat noch immer einen eifersüchtigen Widerstand entgegensetzen, aber man 28 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/239>, abgerufen am 03.07.2024.