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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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unempfindlich lassen, welche für alle Menschen Gefühl haben, ihr Glück wün¬
schen, ihre Leiden beklagen. Vielleicht auch haben die Italiener ein besonderes
Anrecht auf die Theilnahme und das Mitgefühl der anderen Völker, denn in
ihrem Schoße hat sich die Fackel der Civilisation entzündet, und ihren Vor¬
fahren verdankt man das Wiederaufleben der Wissenschaften und der Künste.
Lange Leiden, eine Knechtschaft von vierzehn Jahrhunderten, selbst die Schön¬
heit der Natur und die Begabung seiner Bewohner sichern Italien die Sym¬
pathien der edlen Charaktere und der Menschen, die großer Empfindungen
fähig sind. Endlich diejenigen, welche die ewigen Grundsätze der Gerechtigkeit
und der Moral achten, werden ihre Zustimmung nicht verweigern, daß die
Italiener nicht weniger als die anderen Völker das Recht auf eine eigene Re¬
gierung und auf nationale Unabhängigkeit haben. Sodann wird ausführlich
gezeigt, wie die jetzige Gestaltung Italiens den Interessen der europäischen
Ordnung zuwider sei. So lange man nicht Italien sich selbst überlasse, so lange
nicht alle Ausländer gleichmäßig ausgeschlossen seien, werden immer Oestreich
und Frankreich auf italienischem^Boden sich eifersüchtig bekämpfen und so theils
aus Besorgniß, theils aus Eroberungssucht den Frieden Europas gefährden.
Das einzige Mittel, dieser Rivalität ein Ende zu machen, sei die Errichtung
eines starken unabhängigen Staats in Norditalien, dessen natürliche Grenzen
die Alpen und die Apenninen angeben. Dieses OberitaUen vom Mont-
Cenis bis zu den Bergen von Kärnthen hätte, Parma und Modena nicht ge¬
rechnet, eine Bevölkerung von sieben bis acht Millionen. Ein solcher Staat
könnte niemands Eifersucht erwecken, im Gegentheil wäre er selbst kaum im
Stand, seine Unabhängigkeit aufrecht zu halten. Vor 200 Jahren habe Hein¬
rich der Vierte dieselbe Wahrheit erkannt und vorgeschlagen, das Haus Savoyen
auf den Thron der lombardischen Könige zu setzen. Der natürliche Lauf der
Dinge Und die Wünsche Italiens rufen es dahin. Es sei unter den regieren¬
den Häusern in Italien das einzige italienische, und die Ruhe und das Gleich¬
gewicht Europas hänge vielleicht davon ab, daß die eiserne Krone von Fürsten
getragen werde, die weder dem Haus Oestreich, noch dem der Bourbonen an¬
gehören.

Brusascos Staatsschriften und Depeschen sind die letzten Documente, in
Welchen uns klar und selbstbewußt der nationale Staatsgedanke Piemonts ent¬
gegentritt. Schon die äußeren Umstände verboten, immer wieder auf etwas
zurückzukommen, was schlechterdings unmöglich geworden war. Die Blüthezeit
der heiligen Allianz war Veränderungen in dem durch die Verträge von 1813
geschaffenen Zustand wenig günstig. Auch die Unterstützung Rußlands war in
dem Maße lässiger geworden, als in Kaiser Alexander die liberalen Anwand¬
lungen schwächer wurden, und er, wie Metternich im Jahr 1820 triumphirend
an Consalvi schrieb, sich mehr und mehr von den gefährlichen Einflüssen der


unempfindlich lassen, welche für alle Menschen Gefühl haben, ihr Glück wün¬
schen, ihre Leiden beklagen. Vielleicht auch haben die Italiener ein besonderes
Anrecht auf die Theilnahme und das Mitgefühl der anderen Völker, denn in
ihrem Schoße hat sich die Fackel der Civilisation entzündet, und ihren Vor¬
fahren verdankt man das Wiederaufleben der Wissenschaften und der Künste.
Lange Leiden, eine Knechtschaft von vierzehn Jahrhunderten, selbst die Schön¬
heit der Natur und die Begabung seiner Bewohner sichern Italien die Sym¬
pathien der edlen Charaktere und der Menschen, die großer Empfindungen
fähig sind. Endlich diejenigen, welche die ewigen Grundsätze der Gerechtigkeit
und der Moral achten, werden ihre Zustimmung nicht verweigern, daß die
Italiener nicht weniger als die anderen Völker das Recht auf eine eigene Re¬
gierung und auf nationale Unabhängigkeit haben. Sodann wird ausführlich
gezeigt, wie die jetzige Gestaltung Italiens den Interessen der europäischen
Ordnung zuwider sei. So lange man nicht Italien sich selbst überlasse, so lange
nicht alle Ausländer gleichmäßig ausgeschlossen seien, werden immer Oestreich
und Frankreich auf italienischem^Boden sich eifersüchtig bekämpfen und so theils
aus Besorgniß, theils aus Eroberungssucht den Frieden Europas gefährden.
Das einzige Mittel, dieser Rivalität ein Ende zu machen, sei die Errichtung
eines starken unabhängigen Staats in Norditalien, dessen natürliche Grenzen
die Alpen und die Apenninen angeben. Dieses OberitaUen vom Mont-
Cenis bis zu den Bergen von Kärnthen hätte, Parma und Modena nicht ge¬
rechnet, eine Bevölkerung von sieben bis acht Millionen. Ein solcher Staat
könnte niemands Eifersucht erwecken, im Gegentheil wäre er selbst kaum im
Stand, seine Unabhängigkeit aufrecht zu halten. Vor 200 Jahren habe Hein¬
rich der Vierte dieselbe Wahrheit erkannt und vorgeschlagen, das Haus Savoyen
auf den Thron der lombardischen Könige zu setzen. Der natürliche Lauf der
Dinge Und die Wünsche Italiens rufen es dahin. Es sei unter den regieren¬
den Häusern in Italien das einzige italienische, und die Ruhe und das Gleich¬
gewicht Europas hänge vielleicht davon ab, daß die eiserne Krone von Fürsten
getragen werde, die weder dem Haus Oestreich, noch dem der Bourbonen an¬
gehören.

Brusascos Staatsschriften und Depeschen sind die letzten Documente, in
Welchen uns klar und selbstbewußt der nationale Staatsgedanke Piemonts ent¬
gegentritt. Schon die äußeren Umstände verboten, immer wieder auf etwas
zurückzukommen, was schlechterdings unmöglich geworden war. Die Blüthezeit
der heiligen Allianz war Veränderungen in dem durch die Verträge von 1813
geschaffenen Zustand wenig günstig. Auch die Unterstützung Rußlands war in
dem Maße lässiger geworden, als in Kaiser Alexander die liberalen Anwand¬
lungen schwächer wurden, und er, wie Metternich im Jahr 1820 triumphirend
an Consalvi schrieb, sich mehr und mehr von den gefährlichen Einflüssen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/238>, abgerufen am 15.01.2025.