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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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nicht irre, wenn wir aufstellten, daß die größeren Mächte sich von der Noth¬
wendigkeit, unsere Staaten zu vergrößern, überzeugen müßten. Ihre Ausdehnung
ist keineswegs im Verhältniß zu den Kosten der Aufrechthaltung einer Monarchie,
die zum Gleichgewicht Europas nothwendig ist. Die von der französischen Re-
gierung zurückgelassenen Spuren werden noch lange in Piemont fühlbar sein.
Die Militärorganisation. die uns unsere Lage auferlegt, ist äußerst kostspielig.
Es wird uns alle Mühe kosten, die Einkünfte des Staats mit den Aufgaben
im Gleichgewicht zu halten. Und woher die Summen zum Wiederaufbau der
fünfzehn zerstörten Festungen nehmen, welche die Frucht so vieler Jahre des
Friedens und der Arbeit waren? Wenn wir keine Mauern von Backsteinen
bauen können, so müssen wir im Stande sein, Wälle von Soldaten dem Feind
entgegenzustellen. Die ganze Lombardei wünscht kein höheres Glück, als ein
Glied am Leibe der Nation zu bilden, und dieser ihr Wunsch kann nur erfüllt
werden durch ihre Vereinigung mit unseren Staaten. Dieser Wink wird Ihnen
genügen, um mit Klugheit und Geschicklichkeit bei jedem Anlaß jene Ideen zu
entwickeln und dem Ehrgeiz der Staatsmänner zu schmeicheln, die zur Verwirk¬
lichung eines so eminent politischen Plans beitragen werden.

Infolge dieser Jnstructionen verfaßte Brusasco eine ausführliche Denk¬
schrift über den moralischen und politischen Zustand Italiens nach dem
wiener Congreß, die er im März der russischen Regierung vorlegte. Dieselbe
enthält zunächst einen historischen Ueberblick und verweilt besonders bei dem
Zustand der öffentlichen Meinung, wie sie durch die Wechselfälle der französischen
Zeit hervorgerufen wurde; ein lebendiges Gefühl für die Sache der italienischen
Nationalität bricht überall durch. Dann wird die Lage der einzelnen Staaten
der Halbinsel geschildert, die ungünstige Position gegenüber von Oestreich, die
Uebel der Fremdherrschaft in den Oestreich unterworfenen Ländern. Von diesen
heißt es: Vom administrativen, finanziellen, militärischen, commerziellen Gesichts¬
punkt sind sie gleichmäßig zu beklagen. Es ist nicht eine grausame Tyrannei,
es ist ein dumpfer Druck, der auf ihnen lastet. Sie fühlen sich entmuthigt, ge¬
drückt, fortgeschleppt, in einem Zustand des Verfalls und der Erniedrigung.
Während zweier Jahre hat jeder Act der Verwaltung, jede Maßregel der Re¬
gierung irgendeine Einrichtung abgeschafft, irgendwelche Interessen verletzt,
irgendeine Hoffnung zertrümmert. Der Verlust ihrer Unabhängigkeit hat sie
nicht einmal das vergangene Glück der Zustände vor der Revolution wieder
finden lassen. Wenn sie die Blicke von ihrem Land nach dem übrigen Europa
richten, so sehen sie Deutschland und Holland frei geworden. Polen wieder auf¬
erstehend, Frankreich mit Europa wieder ausgesöhnt und unter seine legitime
Regierung gestellt, die Schweiz glücklich, die Universalmonarchie abgeschafft und
jede Nation wieder im Besitz ihrer Unabhängigkeit -- sie allein sind aus¬
genommen. Das Gemälde, das ich hier aufgerollt habe, wird diejenigen nicht


Grenzboten III. 1866. 28

nicht irre, wenn wir aufstellten, daß die größeren Mächte sich von der Noth¬
wendigkeit, unsere Staaten zu vergrößern, überzeugen müßten. Ihre Ausdehnung
ist keineswegs im Verhältniß zu den Kosten der Aufrechthaltung einer Monarchie,
die zum Gleichgewicht Europas nothwendig ist. Die von der französischen Re-
gierung zurückgelassenen Spuren werden noch lange in Piemont fühlbar sein.
Die Militärorganisation. die uns unsere Lage auferlegt, ist äußerst kostspielig.
Es wird uns alle Mühe kosten, die Einkünfte des Staats mit den Aufgaben
im Gleichgewicht zu halten. Und woher die Summen zum Wiederaufbau der
fünfzehn zerstörten Festungen nehmen, welche die Frucht so vieler Jahre des
Friedens und der Arbeit waren? Wenn wir keine Mauern von Backsteinen
bauen können, so müssen wir im Stande sein, Wälle von Soldaten dem Feind
entgegenzustellen. Die ganze Lombardei wünscht kein höheres Glück, als ein
Glied am Leibe der Nation zu bilden, und dieser ihr Wunsch kann nur erfüllt
werden durch ihre Vereinigung mit unseren Staaten. Dieser Wink wird Ihnen
genügen, um mit Klugheit und Geschicklichkeit bei jedem Anlaß jene Ideen zu
entwickeln und dem Ehrgeiz der Staatsmänner zu schmeicheln, die zur Verwirk¬
lichung eines so eminent politischen Plans beitragen werden.

Infolge dieser Jnstructionen verfaßte Brusasco eine ausführliche Denk¬
schrift über den moralischen und politischen Zustand Italiens nach dem
wiener Congreß, die er im März der russischen Regierung vorlegte. Dieselbe
enthält zunächst einen historischen Ueberblick und verweilt besonders bei dem
Zustand der öffentlichen Meinung, wie sie durch die Wechselfälle der französischen
Zeit hervorgerufen wurde; ein lebendiges Gefühl für die Sache der italienischen
Nationalität bricht überall durch. Dann wird die Lage der einzelnen Staaten
der Halbinsel geschildert, die ungünstige Position gegenüber von Oestreich, die
Uebel der Fremdherrschaft in den Oestreich unterworfenen Ländern. Von diesen
heißt es: Vom administrativen, finanziellen, militärischen, commerziellen Gesichts¬
punkt sind sie gleichmäßig zu beklagen. Es ist nicht eine grausame Tyrannei,
es ist ein dumpfer Druck, der auf ihnen lastet. Sie fühlen sich entmuthigt, ge¬
drückt, fortgeschleppt, in einem Zustand des Verfalls und der Erniedrigung.
Während zweier Jahre hat jeder Act der Verwaltung, jede Maßregel der Re¬
gierung irgendeine Einrichtung abgeschafft, irgendwelche Interessen verletzt,
irgendeine Hoffnung zertrümmert. Der Verlust ihrer Unabhängigkeit hat sie
nicht einmal das vergangene Glück der Zustände vor der Revolution wieder
finden lassen. Wenn sie die Blicke von ihrem Land nach dem übrigen Europa
richten, so sehen sie Deutschland und Holland frei geworden. Polen wieder auf¬
erstehend, Frankreich mit Europa wieder ausgesöhnt und unter seine legitime
Regierung gestellt, die Schweiz glücklich, die Universalmonarchie abgeschafft und
jede Nation wieder im Besitz ihrer Unabhängigkeit — sie allein sind aus¬
genommen. Das Gemälde, das ich hier aufgerollt habe, wird diejenigen nicht


Grenzboten III. 1866. 28
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[0237] nicht irre, wenn wir aufstellten, daß die größeren Mächte sich von der Noth¬ wendigkeit, unsere Staaten zu vergrößern, überzeugen müßten. Ihre Ausdehnung ist keineswegs im Verhältniß zu den Kosten der Aufrechthaltung einer Monarchie, die zum Gleichgewicht Europas nothwendig ist. Die von der französischen Re- gierung zurückgelassenen Spuren werden noch lange in Piemont fühlbar sein. Die Militärorganisation. die uns unsere Lage auferlegt, ist äußerst kostspielig. Es wird uns alle Mühe kosten, die Einkünfte des Staats mit den Aufgaben im Gleichgewicht zu halten. Und woher die Summen zum Wiederaufbau der fünfzehn zerstörten Festungen nehmen, welche die Frucht so vieler Jahre des Friedens und der Arbeit waren? Wenn wir keine Mauern von Backsteinen bauen können, so müssen wir im Stande sein, Wälle von Soldaten dem Feind entgegenzustellen. Die ganze Lombardei wünscht kein höheres Glück, als ein Glied am Leibe der Nation zu bilden, und dieser ihr Wunsch kann nur erfüllt werden durch ihre Vereinigung mit unseren Staaten. Dieser Wink wird Ihnen genügen, um mit Klugheit und Geschicklichkeit bei jedem Anlaß jene Ideen zu entwickeln und dem Ehrgeiz der Staatsmänner zu schmeicheln, die zur Verwirk¬ lichung eines so eminent politischen Plans beitragen werden. Infolge dieser Jnstructionen verfaßte Brusasco eine ausführliche Denk¬ schrift über den moralischen und politischen Zustand Italiens nach dem wiener Congreß, die er im März der russischen Regierung vorlegte. Dieselbe enthält zunächst einen historischen Ueberblick und verweilt besonders bei dem Zustand der öffentlichen Meinung, wie sie durch die Wechselfälle der französischen Zeit hervorgerufen wurde; ein lebendiges Gefühl für die Sache der italienischen Nationalität bricht überall durch. Dann wird die Lage der einzelnen Staaten der Halbinsel geschildert, die ungünstige Position gegenüber von Oestreich, die Uebel der Fremdherrschaft in den Oestreich unterworfenen Ländern. Von diesen heißt es: Vom administrativen, finanziellen, militärischen, commerziellen Gesichts¬ punkt sind sie gleichmäßig zu beklagen. Es ist nicht eine grausame Tyrannei, es ist ein dumpfer Druck, der auf ihnen lastet. Sie fühlen sich entmuthigt, ge¬ drückt, fortgeschleppt, in einem Zustand des Verfalls und der Erniedrigung. Während zweier Jahre hat jeder Act der Verwaltung, jede Maßregel der Re¬ gierung irgendeine Einrichtung abgeschafft, irgendwelche Interessen verletzt, irgendeine Hoffnung zertrümmert. Der Verlust ihrer Unabhängigkeit hat sie nicht einmal das vergangene Glück der Zustände vor der Revolution wieder finden lassen. Wenn sie die Blicke von ihrem Land nach dem übrigen Europa richten, so sehen sie Deutschland und Holland frei geworden. Polen wieder auf¬ erstehend, Frankreich mit Europa wieder ausgesöhnt und unter seine legitime Regierung gestellt, die Schweiz glücklich, die Universalmonarchie abgeschafft und jede Nation wieder im Besitz ihrer Unabhängigkeit — sie allein sind aus¬ genommen. Das Gemälde, das ich hier aufgerollt habe, wird diejenigen nicht Grenzboten III. 1866. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/237>, abgerufen am 22.07.2024.