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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Thätigkeit. "Ich sehe wohl," fuhr er in seiner drastischen Art fort, "so gut als
irgendein anderer das Uebel von Seiten Frankreichs. Aber dieses Uebel ist vor¬
übergehend, zufällig; von Seiten Oestreichs ist es eingeboren und unveränder¬
lich. Während der ganzen schrecklichen Revolution hat die alte Schlange schnöde von
uns gesagt: Das Volk da ist viel zu ehrlich, um sich mit den Verbrechern zu
Verbunden, prosttiren wir also von den Umständen, um sie zu verspeisen. Jetzt,
da das Blatt sich gewandt, zischt die Schlange in anderer Weise und sagt:
Frankreich ist müde und unschädlich gemacht. -- also nur fortgemacht, wer
kann uns stören? Wahrhaftig es ist schwer, kaltes Blut bei dieser sauberen
Aufführung zu behalten."

Wir kommen zu zwei der interessantesten Actenstücke. An de Maistres
Stelle wurde im Januar 1817 der Graf Coeli ti Brusasco zum Vertreter am
Hof von Se. Petersburg ernannt, und da Rußland in erster Linie die Macht
war, an welcher Piemont Anhalt suchte und fand, so gaben die Jnstructionen:
die der neue Gesandte erhielt, Gelegenheit, die Hauptgrundsätze der piemonte-
sischen Politik kurz und bestimmt zu resumiren. Es heißt in diesem Actenstück,
Kürzlich noch waren wir den wiederholten Zumuthungen Oestreichs ausgesetzt,
das nichts weniger begehrte, als uns eines Theils unserer Staaten zu berauben,
während es uns gleichzeitig vorschlug, in einen italienischen Bund einzutreten,
der unter dem Verwände, Italien gegen mögliche Einfälle Frankreichs zu ver¬
theidigen, direct unsere Unabhängigkeit angriff und uns den östreichischen Inter¬
essen unterwarf. Der turiner Hof habe standhaften Widerstand geleistet und
gleichzeitig die guten Dienste Rußlands angerufen, die auch nicht versagt wur¬
den. Bei der gegenwärtigen Schwäche und Parteizerfahrenheit in Frankreich
sei Rußland die Hauptstütze Piemonts gegen die östreichischen Jnvasionsplane.
Wir sind uns, hieß es serner, vollkommen der angesehenen Stellung be¬
wußt, die wir in Italien erlangt, sowohl durch die Festigkeit, die wir in den
letzten Kämpfen und den darauf gefolgten Verhandlungen gezeigt, als auch
durch die Thätigkeit, mit welcher wir die öffentliche Verwaltung organisirt und
unter den schwierigsten Verhältnissen ein Heer geschaffen haben. Gleichwohl
können wir es nur für eine verfrühte Bewegung, hervorgegangen aus dem ge¬
rechten Wunsch nach nationaler Unabhängigkeit, erachten, wenn die Italiener
uns Sympathien entgegengetragen und kundgegeben haben, aus welchen her¬
vorzugehen scheint, daß sie müde der Fremdherrschaft, bei der sie ihr Glück nicht
finden können, geneigt wären, in die Herrschaft eines italienischen Fürsten zu
willigen, der nicht etwa darauf ausgeht, ihre Gefühle zu mißachten und ihre
Einrichtungen zu vernichten, sondern vielmehr den Willen hat, sie zu jenem
nationalen Dasein, das sie verloren, zurückzuführen. -- Dann wird die orien¬
talische Frage berührt und die Eventualität einer Theilung der Türkei zwischen
Rußland und Oestreich ins Auge gefaßt: In diesem Falle gingen wir wohl


Thätigkeit. „Ich sehe wohl," fuhr er in seiner drastischen Art fort, „so gut als
irgendein anderer das Uebel von Seiten Frankreichs. Aber dieses Uebel ist vor¬
übergehend, zufällig; von Seiten Oestreichs ist es eingeboren und unveränder¬
lich. Während der ganzen schrecklichen Revolution hat die alte Schlange schnöde von
uns gesagt: Das Volk da ist viel zu ehrlich, um sich mit den Verbrechern zu
Verbunden, prosttiren wir also von den Umständen, um sie zu verspeisen. Jetzt,
da das Blatt sich gewandt, zischt die Schlange in anderer Weise und sagt:
Frankreich ist müde und unschädlich gemacht. — also nur fortgemacht, wer
kann uns stören? Wahrhaftig es ist schwer, kaltes Blut bei dieser sauberen
Aufführung zu behalten."

Wir kommen zu zwei der interessantesten Actenstücke. An de Maistres
Stelle wurde im Januar 1817 der Graf Coeli ti Brusasco zum Vertreter am
Hof von Se. Petersburg ernannt, und da Rußland in erster Linie die Macht
war, an welcher Piemont Anhalt suchte und fand, so gaben die Jnstructionen:
die der neue Gesandte erhielt, Gelegenheit, die Hauptgrundsätze der piemonte-
sischen Politik kurz und bestimmt zu resumiren. Es heißt in diesem Actenstück,
Kürzlich noch waren wir den wiederholten Zumuthungen Oestreichs ausgesetzt,
das nichts weniger begehrte, als uns eines Theils unserer Staaten zu berauben,
während es uns gleichzeitig vorschlug, in einen italienischen Bund einzutreten,
der unter dem Verwände, Italien gegen mögliche Einfälle Frankreichs zu ver¬
theidigen, direct unsere Unabhängigkeit angriff und uns den östreichischen Inter¬
essen unterwarf. Der turiner Hof habe standhaften Widerstand geleistet und
gleichzeitig die guten Dienste Rußlands angerufen, die auch nicht versagt wur¬
den. Bei der gegenwärtigen Schwäche und Parteizerfahrenheit in Frankreich
sei Rußland die Hauptstütze Piemonts gegen die östreichischen Jnvasionsplane.
Wir sind uns, hieß es serner, vollkommen der angesehenen Stellung be¬
wußt, die wir in Italien erlangt, sowohl durch die Festigkeit, die wir in den
letzten Kämpfen und den darauf gefolgten Verhandlungen gezeigt, als auch
durch die Thätigkeit, mit welcher wir die öffentliche Verwaltung organisirt und
unter den schwierigsten Verhältnissen ein Heer geschaffen haben. Gleichwohl
können wir es nur für eine verfrühte Bewegung, hervorgegangen aus dem ge¬
rechten Wunsch nach nationaler Unabhängigkeit, erachten, wenn die Italiener
uns Sympathien entgegengetragen und kundgegeben haben, aus welchen her¬
vorzugehen scheint, daß sie müde der Fremdherrschaft, bei der sie ihr Glück nicht
finden können, geneigt wären, in die Herrschaft eines italienischen Fürsten zu
willigen, der nicht etwa darauf ausgeht, ihre Gefühle zu mißachten und ihre
Einrichtungen zu vernichten, sondern vielmehr den Willen hat, sie zu jenem
nationalen Dasein, das sie verloren, zurückzuführen. — Dann wird die orien¬
talische Frage berührt und die Eventualität einer Theilung der Türkei zwischen
Rußland und Oestreich ins Auge gefaßt: In diesem Falle gingen wir wohl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/236>, abgerufen am 22.07.2024.