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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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und Interessen der Genuesen geschehen solle. Castlereagh war beauftragt, dem
Marchese Brignole den Beschluß der Mächte mitzutheilen. Brignole war aufs
heftigste erregt. Ich Protestire. sagte er. förmlich bei allen Souveränen, und
auf der Stelle werde ich zu meinen Mitbürgern abreisen, um ihnen zu berichten,
daß England uns dem feindlichen Schicksal preisgegeben hat. Gott allein weiß,
zu welchen verzweifelten Entschlüssen sie sich werden hinreißen lassen, aber alle
Verantwortung wird auf die wahren Urheber der Leiden fallen, die sich für
mein armes Vaterland vorbereiten. Den britischen Lord ließ natürlich diese
Aufwallung des empörten Genuesen überaus kalt, lächelnd ergriff er seine Hand,
bat ihn sich zu beruhigen und in Wien zu bleiben, wo man seinen Rath brauche,
um die Privilegien der Genuesen und die Bedingungen des Anschlusses fest,
zustellen. Brignole sah auch bald ein. daß er auf seinem Posten ausharren
müsse. Freilich nur als einfacher Privatmann. Denn nicht blos hatten die
Alliirten beschlossen, Brignole gar nicht als legitimirten Bevollmächtigten zu
betrachten, sondern die provisorische Regierung von Genua selbst hatte, sobald
die Entscheidung der Mächte bekannt wurde, in der ersten Hitze den unüber¬
legten Beschluß gefaßt, ihrem eigenen Gesandten zu verbieten, von den Voll¬
machten Gebrauch zu machen, mit denen sie ihn zur Verhandlung der Anschlu߬
bedingungen bekleidet hatte. Damit, sagte die provisorische Regierung, wird
jeder Vorwand für die Behauptung entzogen sein, daß von Seite des genuesischen
Volks oder seiner provisorischen Negierung irgendeine freiwillige Zustimmung
zum Verlust der Freiheit erfolgt sei. Ein Beschluß, der natürlich nur die
genuesischen Interessen traf, da ihre Vertretung des Nachdrucks officieller Auto-
risation entbehrte.

Gewissenhaft suchte indessen Brignole von der Freiheit seiner Heimath zu
retten, was noch möglich schien. Im Anfang schmeichelte er sich sogar, eine Art
Personalunion durchsetzen zu können. Schon Anfangs November hatte er in
Voraussicht des Unabänderlichen einen constitutionellen Vertrag aufgesetzt, dem
folgende Motive vorausgeschickt waren: Die Ligurer würden sich niemals ruhig
darein ergeben, in der Botmäßigkeit eines fremden Königs (r<z "tramoro) zu
leben, ohne im Besitz solcher Bürgschaften zu sein, welche sie gegen jede könig-
liche Willkür sicher stellen. Und da bereits Frankreich, England und Ungarn
verfassungsmäßige Freiheiten besäßen und das Streben der aufgeklärtesten Völker
nach demselben Ziel gerichtet sei, mögen die verbündeten Monarchen den Genuß
derselben auch den Genuesen zusichern und verbürgen, welche Jahrhunderte lang
unter der Herrschaft republikanischer Gesetze gelebt hätten. Dies sei das einzige
wirksame Mittel, welches bewirken könnte, daß zwischen den neuen Unterthanen
und dem neuen Souverän die Bande heiliger Achtung sich knüpften. Der Ent¬
wurf des Vertrags selbst stellte fest, daß dem König die Executive, dem Senat
bie gesetzgebende Gewalt, die Handhabung, der Gerechtigkeit einer unabsetzbaren


und Interessen der Genuesen geschehen solle. Castlereagh war beauftragt, dem
Marchese Brignole den Beschluß der Mächte mitzutheilen. Brignole war aufs
heftigste erregt. Ich Protestire. sagte er. förmlich bei allen Souveränen, und
auf der Stelle werde ich zu meinen Mitbürgern abreisen, um ihnen zu berichten,
daß England uns dem feindlichen Schicksal preisgegeben hat. Gott allein weiß,
zu welchen verzweifelten Entschlüssen sie sich werden hinreißen lassen, aber alle
Verantwortung wird auf die wahren Urheber der Leiden fallen, die sich für
mein armes Vaterland vorbereiten. Den britischen Lord ließ natürlich diese
Aufwallung des empörten Genuesen überaus kalt, lächelnd ergriff er seine Hand,
bat ihn sich zu beruhigen und in Wien zu bleiben, wo man seinen Rath brauche,
um die Privilegien der Genuesen und die Bedingungen des Anschlusses fest,
zustellen. Brignole sah auch bald ein. daß er auf seinem Posten ausharren
müsse. Freilich nur als einfacher Privatmann. Denn nicht blos hatten die
Alliirten beschlossen, Brignole gar nicht als legitimirten Bevollmächtigten zu
betrachten, sondern die provisorische Regierung von Genua selbst hatte, sobald
die Entscheidung der Mächte bekannt wurde, in der ersten Hitze den unüber¬
legten Beschluß gefaßt, ihrem eigenen Gesandten zu verbieten, von den Voll¬
machten Gebrauch zu machen, mit denen sie ihn zur Verhandlung der Anschlu߬
bedingungen bekleidet hatte. Damit, sagte die provisorische Regierung, wird
jeder Vorwand für die Behauptung entzogen sein, daß von Seite des genuesischen
Volks oder seiner provisorischen Negierung irgendeine freiwillige Zustimmung
zum Verlust der Freiheit erfolgt sei. Ein Beschluß, der natürlich nur die
genuesischen Interessen traf, da ihre Vertretung des Nachdrucks officieller Auto-
risation entbehrte.

Gewissenhaft suchte indessen Brignole von der Freiheit seiner Heimath zu
retten, was noch möglich schien. Im Anfang schmeichelte er sich sogar, eine Art
Personalunion durchsetzen zu können. Schon Anfangs November hatte er in
Voraussicht des Unabänderlichen einen constitutionellen Vertrag aufgesetzt, dem
folgende Motive vorausgeschickt waren: Die Ligurer würden sich niemals ruhig
darein ergeben, in der Botmäßigkeit eines fremden Königs (r<z »tramoro) zu
leben, ohne im Besitz solcher Bürgschaften zu sein, welche sie gegen jede könig-
liche Willkür sicher stellen. Und da bereits Frankreich, England und Ungarn
verfassungsmäßige Freiheiten besäßen und das Streben der aufgeklärtesten Völker
nach demselben Ziel gerichtet sei, mögen die verbündeten Monarchen den Genuß
derselben auch den Genuesen zusichern und verbürgen, welche Jahrhunderte lang
unter der Herrschaft republikanischer Gesetze gelebt hätten. Dies sei das einzige
wirksame Mittel, welches bewirken könnte, daß zwischen den neuen Unterthanen
und dem neuen Souverän die Bande heiliger Achtung sich knüpften. Der Ent¬
wurf des Vertrags selbst stellte fest, daß dem König die Executive, dem Senat
bie gesetzgebende Gewalt, die Handhabung, der Gerechtigkeit einer unabsetzbaren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/23>, abgerufen am 22.07.2024.