Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.hat. Preußen bleibt im Werdeproceß, so lange es nicht in Wirklichkeit der So hoch den harten Antithesen des preußischen Verfassungslebens gegen¬ Solche Betrachtungen sind längst Gemeinplätze geworden; die bittersten, Nicht viel anders als scheue Rehe, die dem Zweikampf ihrer mächtigen Als genau vor einem Jahre Graf Bismarck über das damals schon krie¬ hat. Preußen bleibt im Werdeproceß, so lange es nicht in Wirklichkeit der So hoch den harten Antithesen des preußischen Verfassungslebens gegen¬ Solche Betrachtungen sind längst Gemeinplätze geworden; die bittersten, Nicht viel anders als scheue Rehe, die dem Zweikampf ihrer mächtigen Als genau vor einem Jahre Graf Bismarck über das damals schon krie¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285789"/> <p xml:id="ID_606" prev="#ID_605"> hat. Preußen bleibt im Werdeproceß, so lange es nicht in Wirklichkeit der<lb/> deutsche Staat geworden. Wir empfinden auf das tiefste und schwerste, daß<lb/> unendlich viel zu andern, zu bessern, zu gestalten ist in diesem Staate, der zum<lb/> nicht geringen Theil vom Anweis auf seine Zukunft lebt. Man könnte ihn<lb/> das lebendige Programm aller politischen Probleme nennen, die das deutsche<lb/> Volk zu lösen hat. Aber sie sind angeregt und den Arbeitenden bewußt geworden,<lb/> der Kampf um ihre Auseinandersetzung zittert in jeder Muskel des großen<lb/> Körpers. Darin eben liegt die Beglaubigung seines Lebens und Schaffens,<lb/> nicht der Grund, an ihm zu zweifeln, und wären die Conflicte, die ihn er¬<lb/> schüttern, noch schwerer, als sie sind. In diesem Ringen werden alle Elemente<lb/> je in ihrer Weise zur Theilnahme am Staate herangezogen, zur Arbeit sür ihn<lb/> gebildet, und in der Regung aller Kräfte liegt Gewähr für einstige harmonische<lb/> Gestaltung im Sinne der echten Bürgerfreiheit, die weder geschenkt, noch ererbt<lb/> sondern nur erobert, und zwar täglich erobert werden muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_607"> So hoch den harten Antithesen des preußischen Verfassungslebens gegen¬<lb/> über die constitutionelle Entwickelung einzelner unserer kleinen Staaten und ihr<lb/> ruhiger organischer Verlauf gepriesen werden mag, kann jemand behaupten, daß<lb/> in der Mehrzahl gleiche Energie, gleiches Bewußtsein erhabener Ziele hervor¬<lb/> tritt, wie dort? Nicht an den Strebenden liegt dies zunächst. In mancher<lb/> Kammer unserer Kleinstaaten ist straffer Kampfmuth, ernste Hingabe, gediegene<lb/> politische Einsicht zu Tage gekommen, Zeichen, die ebenso viele Verheißungen<lb/> bedeuten für gemeinsame große Arbeit der Zukunft, die aber doppelt schwer<lb/> empfinden lassen, daß dieser sittlichen Thätigkeit das alle Mühe lohnende wich¬<lb/> tigste Object fehlt: der Staat, dessen erstes Prädicat ist, Macht zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_608"> Solche Betrachtungen sind längst Gemeinplätze geworden; die bittersten,<lb/> die demüthigendsten Erfahrungen haben sie uns aufgedrängt, und dennoch hat<lb/> es den Anschein, als ginge unserm Volke das Concept jedesmal da Verloren,<lb/> wo es am nöthigsten ist. Heute und morgen wird der Kampf gekämpft, der<lb/> unsre deutsche Zukunft entscheiden wird, unser eigener heimischer Boden dröhnt<lb/> vom Sturmschritt deutscher Krieger, Bruder und Freund bluten draußen auf<lb/> der Wahlstatt in Böhmen und am Main, und doch ist es. als müßte erst ein<lb/> Geist herniedersteigen, um dem Volke Deutschlands, soweit es nicht preußisch<lb/> ist, zuzurufen: von dir ist die Rede und dir gilt der Anruf!</p><lb/> <p xml:id="ID_609"> Nicht viel anders als scheue Rehe, die dem Zweikampf ihrer mächtigen<lb/> Gebieter zusehen, steht die Menge diesem Kriege „zwischen Oestreich und Preußen"<lb/> gegenüber; mit dem Gefühle, die Beute des Siegers zu sein, nicht mit dem<lb/> Stolz, sich Antheil zu fordern für die bessere Sache, wenigstens freies Bekenntniß<lb/> abzulegen von eigener Einsicht und eigenem Willen.</p><lb/> <p xml:id="ID_610" next="#ID_611"> Als genau vor einem Jahre Graf Bismarck über das damals schon krie¬<lb/> gerische Wendung drohende Zerwürfniß zwischen Oestreich und Preußen in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0201]
hat. Preußen bleibt im Werdeproceß, so lange es nicht in Wirklichkeit der
deutsche Staat geworden. Wir empfinden auf das tiefste und schwerste, daß
unendlich viel zu andern, zu bessern, zu gestalten ist in diesem Staate, der zum
nicht geringen Theil vom Anweis auf seine Zukunft lebt. Man könnte ihn
das lebendige Programm aller politischen Probleme nennen, die das deutsche
Volk zu lösen hat. Aber sie sind angeregt und den Arbeitenden bewußt geworden,
der Kampf um ihre Auseinandersetzung zittert in jeder Muskel des großen
Körpers. Darin eben liegt die Beglaubigung seines Lebens und Schaffens,
nicht der Grund, an ihm zu zweifeln, und wären die Conflicte, die ihn er¬
schüttern, noch schwerer, als sie sind. In diesem Ringen werden alle Elemente
je in ihrer Weise zur Theilnahme am Staate herangezogen, zur Arbeit sür ihn
gebildet, und in der Regung aller Kräfte liegt Gewähr für einstige harmonische
Gestaltung im Sinne der echten Bürgerfreiheit, die weder geschenkt, noch ererbt
sondern nur erobert, und zwar täglich erobert werden muß.
So hoch den harten Antithesen des preußischen Verfassungslebens gegen¬
über die constitutionelle Entwickelung einzelner unserer kleinen Staaten und ihr
ruhiger organischer Verlauf gepriesen werden mag, kann jemand behaupten, daß
in der Mehrzahl gleiche Energie, gleiches Bewußtsein erhabener Ziele hervor¬
tritt, wie dort? Nicht an den Strebenden liegt dies zunächst. In mancher
Kammer unserer Kleinstaaten ist straffer Kampfmuth, ernste Hingabe, gediegene
politische Einsicht zu Tage gekommen, Zeichen, die ebenso viele Verheißungen
bedeuten für gemeinsame große Arbeit der Zukunft, die aber doppelt schwer
empfinden lassen, daß dieser sittlichen Thätigkeit das alle Mühe lohnende wich¬
tigste Object fehlt: der Staat, dessen erstes Prädicat ist, Macht zu sein.
Solche Betrachtungen sind längst Gemeinplätze geworden; die bittersten,
die demüthigendsten Erfahrungen haben sie uns aufgedrängt, und dennoch hat
es den Anschein, als ginge unserm Volke das Concept jedesmal da Verloren,
wo es am nöthigsten ist. Heute und morgen wird der Kampf gekämpft, der
unsre deutsche Zukunft entscheiden wird, unser eigener heimischer Boden dröhnt
vom Sturmschritt deutscher Krieger, Bruder und Freund bluten draußen auf
der Wahlstatt in Böhmen und am Main, und doch ist es. als müßte erst ein
Geist herniedersteigen, um dem Volke Deutschlands, soweit es nicht preußisch
ist, zuzurufen: von dir ist die Rede und dir gilt der Anruf!
Nicht viel anders als scheue Rehe, die dem Zweikampf ihrer mächtigen
Gebieter zusehen, steht die Menge diesem Kriege „zwischen Oestreich und Preußen"
gegenüber; mit dem Gefühle, die Beute des Siegers zu sein, nicht mit dem
Stolz, sich Antheil zu fordern für die bessere Sache, wenigstens freies Bekenntniß
abzulegen von eigener Einsicht und eigenem Willen.
Als genau vor einem Jahre Graf Bismarck über das damals schon krie¬
gerische Wendung drohende Zerwürfniß zwischen Oestreich und Preußen in
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