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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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In einem geordneten Staat aber, der ein reich entwickeltes Städteleben, ge¬
steigerte Industrie und große Theilung der Volksarbeit umfaßt, ist ein solcher
Volkskrieg unmöglich, und wenn er möglich wäre, so verderblich für das Volk
selbst, daß dergleichen Krieg zu empfehlen ein Unsinn wird. Wenn die Bürger
von Prag. Brunn und Wien aufgefordert werden, die Gewehre, welche in ihrer
Kammer bangen, auf die einrückenden Preußen abzufeuern und Barrikaden zu
bauen, so werden diese Städte von den feindlichen Kanonen in Trümmerhaufen
Verwandelt; und wenn die Journalisten und kaiserliche Erlasse in Wien das
Landvolk zu solchem undisciplinirten Kriege aufrufen, dann wird der Feind
selbstverständlich nicht die aufständischen Bauern auf ihre Gebirgshöhen ver¬
folgen, sondern er wird den Städten und Landschaften der Ebene entgelten
lassen, was ihre Landsleute auf ihren Rath gegen civilisirte Kriegführung ge¬
than haben. Böhmen und Mähren sind in der Gewalt der preußischen Heere,
diese haben ein umfangreiches Unterpfand in Händen, wer kann sie tadeln, wenn
sie dort die Strafe vollziehen für die wüsten Aufträge, die von Wien aus in
das Land gerufen worden sind? Für jeden Schuß, der aus einem Baucrnrohr
gegen die Preußen knallt, kann das Schloß eines böhmischen Edelmanns nieder¬
gebrannt werden, für jeden Verwundeten, den fanatisirter Pöbel bei Königgrätz
ermordet, kann den Städten Brünn und Prag eine Blutsteuer auferlegt, für
jeden Proviantwagen, den bewaffnete Volkshaufen anhalten, der Schornstein
einer Fabrik eingeschossen, eine Bibliothek abgeführt, ein Museum geleert wer¬
den, für jeden Geistlichen, welcher bewaffnete Banden führen sollte, kann der
Hals seines Bischofs und die Schätze seiner Kirche bezahlen. Kurz, die Re¬
pressalien, welche in cultivirtem und dicht bevölkerten Lande der Feind gebrau¬
chen kann, sind so zahlreich und überwiegen in so furchtbarer Weise den etwaigen
Nutzen einer Jnsurrection, daß es im höchsten Interesse der gesammten östrei¬
chischen Völkerfamilie liegt, dagegen laut zu protestiren.

Aber diese Zumuthung an die Völker des Kaiserstaats ist nicht nur schäd¬
lich für Oestreich, sie macht den Eindruck vollendeter Albernheit, wenn man sie
mit den andern Phrasen vergleicht, welche in diesen Wochen durch die wiener
Blätter liefen. Denn diese Aufforderung ist nichts als eine hohle, elende
Phrase, sie wird eingegeben durch verstörtes Selbstgefühl und gedemüthigte
Großmannssucht, welche sich jetzt ohne Wahl an jeden Strohhalm klammern
möchte. Für diese wiener Lebensäußerungen haben wir Deutsche weder Gefühl,
noch Mitleid, nur Verachtung. Wir haben immer die Meinung gehabt, daß die
Herren der Donau nicht zu uns gehören, und uns wundert nicht, daß sie sich
jetzt so benehmen, wie wir von ihnen erwartet haben.

Aber unsere Nachbarn in Oberbayern mögen wohl beherzigen, was sie thun,
wenn sie sich jetzt bereit erklären, mit Joppe und Stutzen für eine verlorene
Sache einzutreten. Ihre eigene Regierung war anfänglich klüger als sie. sie


In einem geordneten Staat aber, der ein reich entwickeltes Städteleben, ge¬
steigerte Industrie und große Theilung der Volksarbeit umfaßt, ist ein solcher
Volkskrieg unmöglich, und wenn er möglich wäre, so verderblich für das Volk
selbst, daß dergleichen Krieg zu empfehlen ein Unsinn wird. Wenn die Bürger
von Prag. Brunn und Wien aufgefordert werden, die Gewehre, welche in ihrer
Kammer bangen, auf die einrückenden Preußen abzufeuern und Barrikaden zu
bauen, so werden diese Städte von den feindlichen Kanonen in Trümmerhaufen
Verwandelt; und wenn die Journalisten und kaiserliche Erlasse in Wien das
Landvolk zu solchem undisciplinirten Kriege aufrufen, dann wird der Feind
selbstverständlich nicht die aufständischen Bauern auf ihre Gebirgshöhen ver¬
folgen, sondern er wird den Städten und Landschaften der Ebene entgelten
lassen, was ihre Landsleute auf ihren Rath gegen civilisirte Kriegführung ge¬
than haben. Böhmen und Mähren sind in der Gewalt der preußischen Heere,
diese haben ein umfangreiches Unterpfand in Händen, wer kann sie tadeln, wenn
sie dort die Strafe vollziehen für die wüsten Aufträge, die von Wien aus in
das Land gerufen worden sind? Für jeden Schuß, der aus einem Baucrnrohr
gegen die Preußen knallt, kann das Schloß eines böhmischen Edelmanns nieder¬
gebrannt werden, für jeden Verwundeten, den fanatisirter Pöbel bei Königgrätz
ermordet, kann den Städten Brünn und Prag eine Blutsteuer auferlegt, für
jeden Proviantwagen, den bewaffnete Volkshaufen anhalten, der Schornstein
einer Fabrik eingeschossen, eine Bibliothek abgeführt, ein Museum geleert wer¬
den, für jeden Geistlichen, welcher bewaffnete Banden führen sollte, kann der
Hals seines Bischofs und die Schätze seiner Kirche bezahlen. Kurz, die Re¬
pressalien, welche in cultivirtem und dicht bevölkerten Lande der Feind gebrau¬
chen kann, sind so zahlreich und überwiegen in so furchtbarer Weise den etwaigen
Nutzen einer Jnsurrection, daß es im höchsten Interesse der gesammten östrei¬
chischen Völkerfamilie liegt, dagegen laut zu protestiren.

Aber diese Zumuthung an die Völker des Kaiserstaats ist nicht nur schäd¬
lich für Oestreich, sie macht den Eindruck vollendeter Albernheit, wenn man sie
mit den andern Phrasen vergleicht, welche in diesen Wochen durch die wiener
Blätter liefen. Denn diese Aufforderung ist nichts als eine hohle, elende
Phrase, sie wird eingegeben durch verstörtes Selbstgefühl und gedemüthigte
Großmannssucht, welche sich jetzt ohne Wahl an jeden Strohhalm klammern
möchte. Für diese wiener Lebensäußerungen haben wir Deutsche weder Gefühl,
noch Mitleid, nur Verachtung. Wir haben immer die Meinung gehabt, daß die
Herren der Donau nicht zu uns gehören, und uns wundert nicht, daß sie sich
jetzt so benehmen, wie wir von ihnen erwartet haben.

Aber unsere Nachbarn in Oberbayern mögen wohl beherzigen, was sie thun,
wenn sie sich jetzt bereit erklären, mit Joppe und Stutzen für eine verlorene
Sache einzutreten. Ihre eigene Regierung war anfänglich klüger als sie. sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/193>, abgerufen am 03.07.2024.