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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Diese Humanität der modernen Kriegführung beruht auf einem stillschwei¬
genden Contract zwischen der civilen Bevölkerung des Landes und dem feind¬
lichen Heere, Dem Bürger wird nichts zugemuthet, was gegen den Treu¬
eid ist, der ihn an seinen Staat und seinen Landesherrn bindet, seine Fa¬
milie, sein Haus, seine Habe, ja sein Behagen und sein Vortheil werden
auch vom Feinde nach Möglichkeit geachtet und behütet; dagegen aber über¬
nimmt er die Verpflichtung, ohne Widerstand an Geld und Verpflegung der
Truppen zu leisten, was ihm ausgelegt wird, und sich während der Occupation
jeder Handlung zu enthalten, welche dem Occupanten Kriegsschäden bereitet.
Auch der Bürger und sein Privatleben sind dadurch aus der Schutzlosigkeit
früherer Kriegszeit herausgehoben worden und genießen mit den durch den
Kriegszustand gebotenen Beschränkungen thatsächlich das Recht der Neutralen.
Wer jetzt wagt, den Bürger zu gewaltsamen Widerstand gegen ein feindliches
Heer aufzuhetzen, der nimmt ihm diesen kostbaren Schutz, er verflucht ihn zu
einem schutzlosen Opfer des Krieges, er schleudert in Städte und Dörfer die
Brandfackel, verkündet Zerstörung der Habe, des Erwerbs, der Geschäfte, aller
Errungenschaften unserer'Civilisation, und er predigt diese ungeheure Zerstörung
wahrscheinlich ohne militärischen Nutzen für seinen Staat, zuverlässig zum sitt¬
lichen und materiellen Ruin seiner Völker.

Die Humanität moderner Kriegführung ist nicht völkerrechtlich paragraphirt,
sie ist eine Folge der edleren Anschauungen über Sitte und Recht und den
Werth des menschlichen Daseins. Wer diese höheren gebildeten Anschauungen
nicht besitzt, dem kann nicht gesagt werden, daß er ein Unrecht thut, wenn er
aus dem Hinterhalte auf feindliche Soldaten schießt, oder ihnen Arsenik in die
Speisen mischt; er vertilgt im Haß die Feinde seines Landes durch Mittel,
welche wir barbarische nennen, und er wird folgerichtig durch ebenso barbarische
Mittel vertilgt und wie ein wildes Thier getödtet. Dergleichen Kriegführung
durch Insurgentenbandcn haben wir noch vor wenigen Jahren ohne Bewunde¬
rung in unserer Nähe erlebt: Aufhängen friedlicher Bürger, Gelderpressungen,
Naubanfälle gegen Nachbarn. Diese Kriegführung bietet aber nur die Möglich¬
keit eines politischen Erfolges in einem Lande von geringer Cultur und ver¬
hältnißmäßig dünner Bevölkerung, sie vermag in solchen Gebieten ein feind¬
liches Heer allerdings auszuhalten; aber sie hat bis jetzt nirgend, weder in
Spanien, noch in Tirol, noch in Polen, einen Sieg det Sache, welcher sie die¬
nen will, durchgesetzt, denn auch in Spanien war es das kleine reguläre Heer
Wellingtons, welches nach schmählichen Niederlagen der Jnsurgentenhaufen die
Sache Spaniens vor dem völligen Untergange bewahrte, in Tirol wie in Polen
haben die bewaffneten Bauernhäuser nur Elend über ihr Land gebracht; und
doch war in beiden Ländern aus entgegengesetzten Gründen das Terrain einem
Volkskriege vorzugsweise günstig.


Diese Humanität der modernen Kriegführung beruht auf einem stillschwei¬
genden Contract zwischen der civilen Bevölkerung des Landes und dem feind¬
lichen Heere, Dem Bürger wird nichts zugemuthet, was gegen den Treu¬
eid ist, der ihn an seinen Staat und seinen Landesherrn bindet, seine Fa¬
milie, sein Haus, seine Habe, ja sein Behagen und sein Vortheil werden
auch vom Feinde nach Möglichkeit geachtet und behütet; dagegen aber über¬
nimmt er die Verpflichtung, ohne Widerstand an Geld und Verpflegung der
Truppen zu leisten, was ihm ausgelegt wird, und sich während der Occupation
jeder Handlung zu enthalten, welche dem Occupanten Kriegsschäden bereitet.
Auch der Bürger und sein Privatleben sind dadurch aus der Schutzlosigkeit
früherer Kriegszeit herausgehoben worden und genießen mit den durch den
Kriegszustand gebotenen Beschränkungen thatsächlich das Recht der Neutralen.
Wer jetzt wagt, den Bürger zu gewaltsamen Widerstand gegen ein feindliches
Heer aufzuhetzen, der nimmt ihm diesen kostbaren Schutz, er verflucht ihn zu
einem schutzlosen Opfer des Krieges, er schleudert in Städte und Dörfer die
Brandfackel, verkündet Zerstörung der Habe, des Erwerbs, der Geschäfte, aller
Errungenschaften unserer'Civilisation, und er predigt diese ungeheure Zerstörung
wahrscheinlich ohne militärischen Nutzen für seinen Staat, zuverlässig zum sitt¬
lichen und materiellen Ruin seiner Völker.

Die Humanität moderner Kriegführung ist nicht völkerrechtlich paragraphirt,
sie ist eine Folge der edleren Anschauungen über Sitte und Recht und den
Werth des menschlichen Daseins. Wer diese höheren gebildeten Anschauungen
nicht besitzt, dem kann nicht gesagt werden, daß er ein Unrecht thut, wenn er
aus dem Hinterhalte auf feindliche Soldaten schießt, oder ihnen Arsenik in die
Speisen mischt; er vertilgt im Haß die Feinde seines Landes durch Mittel,
welche wir barbarische nennen, und er wird folgerichtig durch ebenso barbarische
Mittel vertilgt und wie ein wildes Thier getödtet. Dergleichen Kriegführung
durch Insurgentenbandcn haben wir noch vor wenigen Jahren ohne Bewunde¬
rung in unserer Nähe erlebt: Aufhängen friedlicher Bürger, Gelderpressungen,
Naubanfälle gegen Nachbarn. Diese Kriegführung bietet aber nur die Möglich¬
keit eines politischen Erfolges in einem Lande von geringer Cultur und ver¬
hältnißmäßig dünner Bevölkerung, sie vermag in solchen Gebieten ein feind¬
liches Heer allerdings auszuhalten; aber sie hat bis jetzt nirgend, weder in
Spanien, noch in Tirol, noch in Polen, einen Sieg det Sache, welcher sie die¬
nen will, durchgesetzt, denn auch in Spanien war es das kleine reguläre Heer
Wellingtons, welches nach schmählichen Niederlagen der Jnsurgentenhaufen die
Sache Spaniens vor dem völligen Untergange bewahrte, in Tirol wie in Polen
haben die bewaffneten Bauernhäuser nur Elend über ihr Land gebracht; und
doch war in beiden Ländern aus entgegengesetzten Gründen das Terrain einem
Volkskriege vorzugsweise günstig.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/192>, abgerufen am 03.07.2024.