Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dies in denselben Tagen, wo sein berühmterer College und Bundesgenosse, der
ehemalige Civilist v. d. Pfordten. in der bayerischen Kammer mit Betonung
sagte: die Weltgeschichte sei kein Civilproceß!

Neben den Ministern, ihrer verfänglichen Feigheit auf der einen, und ihrer
bureaukratischen Beschränktheit auf der andern Seite, trifft schwere Mitschuld an
dem verhängnißvollen Entschluß vom 14, Juni die erste Kammer. Sie beschloß
bekanntlich am 4. Juni, Hannover müsse sich auf die Seite des Bundes gegen
den "Friedensbrecher" stellen. Schon am Tage daraus hätte sie den Nössing-
schen Antrag vielleicht nicht mehr angenommen. Nicht umsonst hatte Herr
v. Rösstng, Führer der großdeutschen Partei in Hannover, den Präsidenten
v. Schlepegrell im Stillen verpflichtet, jeden Aufschub der Verhandlung zu
hintertreiben. Aber der König, dessen innerstem Gemüth der Beschluß entgegen¬
kam, glaubte nur zu gern, in demselben sei die entschiedene und dauernde
Stimmung aller Conservativen, aller loyalen Unterthanen ausgesprochen; mehr
als je rechnete er darauf, sein Volk hinter sich zu haben, wenn er aus noth¬
gedrungener Neutralität schrittweise ins östreichische Lager überlenkte. Wie wenig
kannte man die scharfe Wachsamkeit und rücksichtslose Energie des Gegners,
mit welchem man es zu thun hatte!

Als nun Hannover und Kurhessen mit der so famos dirigirten Stimme
der sechzehnten Curie am Bunde den Ausschlag gegeben hatten, und Preußen
blos noch 24 Stunden Bedenkzeit zugestand zur Rückkehr auf den Weg der
vernünftigen und wahren Interessen -- eine vielfach schon für zu weit getrieben
erachtete Rücksicht --, und als nun die thatsächliche Partcistellung offenkundig
werden, Widerstand gegen den muthwillig herausgeforderten Angriff geleistet
werden mußte, da documentirt sich die Faulheit des verkümmerten und seit Jahren
mißgeleiteten Staatswesens in offener Auslösung. Kaum halb ausgerüstet, mußte
die Armee nicht sowohl den Rückzug, als die Flucht vor dem noch gar nicht
einmal nahen Gegner antreten. Hätten sich die Eisenbahnen nicht leidlich rssch
aus allen Seiten unfahrbar machen lassen, die Truppen wären in ihren Gar¬
nisonen selbst umzingelt und gefangen genommen worden. Auch so entkamen sie
lange nicht vollständig in den äußersten Süden, oder wie der Welfenstil lautet: in
die südlichen Provinzen des Landes. Sogar in dem Lager bei Stade, dessen
kriegerischer Zweck doch von vornherein feststand, bedürfte es sämmtlicher für
vier Batterien vorhandenen Pferde, um eine einzige fortzuschaffen. In Han¬
nover ließ man die Feldapotheke zurück, die Oberärzte der Armee ohne jede
Anweisung. Im Kriegsministerium wird der Werth des im Stiche gelassenen, den
Preußen in die Hände gefallenen Armeematerials aus vier Millionen Thaler
geschätzt, und General v. Manteuffel soll von einem Theile desselben erklärt
haben, schöneres gehe eS in ganz Deutschland nicht. Wozu aber hat es nun
dem Staate Hannover, der souveränen Welfen-Dynastie geholfen?




1'

dies in denselben Tagen, wo sein berühmterer College und Bundesgenosse, der
ehemalige Civilist v. d. Pfordten. in der bayerischen Kammer mit Betonung
sagte: die Weltgeschichte sei kein Civilproceß!

Neben den Ministern, ihrer verfänglichen Feigheit auf der einen, und ihrer
bureaukratischen Beschränktheit auf der andern Seite, trifft schwere Mitschuld an
dem verhängnißvollen Entschluß vom 14, Juni die erste Kammer. Sie beschloß
bekanntlich am 4. Juni, Hannover müsse sich auf die Seite des Bundes gegen
den „Friedensbrecher" stellen. Schon am Tage daraus hätte sie den Nössing-
schen Antrag vielleicht nicht mehr angenommen. Nicht umsonst hatte Herr
v. Rösstng, Führer der großdeutschen Partei in Hannover, den Präsidenten
v. Schlepegrell im Stillen verpflichtet, jeden Aufschub der Verhandlung zu
hintertreiben. Aber der König, dessen innerstem Gemüth der Beschluß entgegen¬
kam, glaubte nur zu gern, in demselben sei die entschiedene und dauernde
Stimmung aller Conservativen, aller loyalen Unterthanen ausgesprochen; mehr
als je rechnete er darauf, sein Volk hinter sich zu haben, wenn er aus noth¬
gedrungener Neutralität schrittweise ins östreichische Lager überlenkte. Wie wenig
kannte man die scharfe Wachsamkeit und rücksichtslose Energie des Gegners,
mit welchem man es zu thun hatte!

Als nun Hannover und Kurhessen mit der so famos dirigirten Stimme
der sechzehnten Curie am Bunde den Ausschlag gegeben hatten, und Preußen
blos noch 24 Stunden Bedenkzeit zugestand zur Rückkehr auf den Weg der
vernünftigen und wahren Interessen — eine vielfach schon für zu weit getrieben
erachtete Rücksicht —, und als nun die thatsächliche Partcistellung offenkundig
werden, Widerstand gegen den muthwillig herausgeforderten Angriff geleistet
werden mußte, da documentirt sich die Faulheit des verkümmerten und seit Jahren
mißgeleiteten Staatswesens in offener Auslösung. Kaum halb ausgerüstet, mußte
die Armee nicht sowohl den Rückzug, als die Flucht vor dem noch gar nicht
einmal nahen Gegner antreten. Hätten sich die Eisenbahnen nicht leidlich rssch
aus allen Seiten unfahrbar machen lassen, die Truppen wären in ihren Gar¬
nisonen selbst umzingelt und gefangen genommen worden. Auch so entkamen sie
lange nicht vollständig in den äußersten Süden, oder wie der Welfenstil lautet: in
die südlichen Provinzen des Landes. Sogar in dem Lager bei Stade, dessen
kriegerischer Zweck doch von vornherein feststand, bedürfte es sämmtlicher für
vier Batterien vorhandenen Pferde, um eine einzige fortzuschaffen. In Han¬
nover ließ man die Feldapotheke zurück, die Oberärzte der Armee ohne jede
Anweisung. Im Kriegsministerium wird der Werth des im Stiche gelassenen, den
Preußen in die Hände gefallenen Armeematerials aus vier Millionen Thaler
geschätzt, und General v. Manteuffel soll von einem Theile desselben erklärt
haben, schöneres gehe eS in ganz Deutschland nicht. Wozu aber hat es nun
dem Staate Hannover, der souveränen Welfen-Dynastie geholfen?




1'
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285601"/>
          <p xml:id="ID_7" prev="#ID_6"> dies in denselben Tagen, wo sein berühmterer College und Bundesgenosse, der<lb/>
ehemalige Civilist v. d. Pfordten. in der bayerischen Kammer mit Betonung<lb/>
sagte: die Weltgeschichte sei kein Civilproceß!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_8"> Neben den Ministern, ihrer verfänglichen Feigheit auf der einen, und ihrer<lb/>
bureaukratischen Beschränktheit auf der andern Seite, trifft schwere Mitschuld an<lb/>
dem verhängnißvollen Entschluß vom 14, Juni die erste Kammer. Sie beschloß<lb/>
bekanntlich am 4. Juni, Hannover müsse sich auf die Seite des Bundes gegen<lb/>
den &#x201E;Friedensbrecher" stellen. Schon am Tage daraus hätte sie den Nössing-<lb/>
schen Antrag vielleicht nicht mehr angenommen. Nicht umsonst hatte Herr<lb/>
v. Rösstng, Führer der großdeutschen Partei in Hannover, den Präsidenten<lb/>
v. Schlepegrell im Stillen verpflichtet, jeden Aufschub der Verhandlung zu<lb/>
hintertreiben. Aber der König, dessen innerstem Gemüth der Beschluß entgegen¬<lb/>
kam, glaubte nur zu gern, in demselben sei die entschiedene und dauernde<lb/>
Stimmung aller Conservativen, aller loyalen Unterthanen ausgesprochen; mehr<lb/>
als je rechnete er darauf, sein Volk hinter sich zu haben, wenn er aus noth¬<lb/>
gedrungener Neutralität schrittweise ins östreichische Lager überlenkte. Wie wenig<lb/>
kannte man die scharfe Wachsamkeit und rücksichtslose Energie des Gegners,<lb/>
mit welchem man es zu thun hatte!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_9"> Als nun Hannover und Kurhessen mit der so famos dirigirten Stimme<lb/>
der sechzehnten Curie am Bunde den Ausschlag gegeben hatten, und Preußen<lb/>
blos noch 24 Stunden Bedenkzeit zugestand zur Rückkehr auf den Weg der<lb/>
vernünftigen und wahren Interessen &#x2014; eine vielfach schon für zu weit getrieben<lb/>
erachtete Rücksicht &#x2014;, und als nun die thatsächliche Partcistellung offenkundig<lb/>
werden, Widerstand gegen den muthwillig herausgeforderten Angriff geleistet<lb/>
werden mußte, da documentirt sich die Faulheit des verkümmerten und seit Jahren<lb/>
mißgeleiteten Staatswesens in offener Auslösung. Kaum halb ausgerüstet, mußte<lb/>
die Armee nicht sowohl den Rückzug, als die Flucht vor dem noch gar nicht<lb/>
einmal nahen Gegner antreten. Hätten sich die Eisenbahnen nicht leidlich rssch<lb/>
aus allen Seiten unfahrbar machen lassen, die Truppen wären in ihren Gar¬<lb/>
nisonen selbst umzingelt und gefangen genommen worden. Auch so entkamen sie<lb/>
lange nicht vollständig in den äußersten Süden, oder wie der Welfenstil lautet: in<lb/>
die südlichen Provinzen des Landes. Sogar in dem Lager bei Stade, dessen<lb/>
kriegerischer Zweck doch von vornherein feststand, bedürfte es sämmtlicher für<lb/>
vier Batterien vorhandenen Pferde, um eine einzige fortzuschaffen. In Han¬<lb/>
nover ließ man die Feldapotheke zurück, die Oberärzte der Armee ohne jede<lb/>
Anweisung. Im Kriegsministerium wird der Werth des im Stiche gelassenen, den<lb/>
Preußen in die Hände gefallenen Armeematerials aus vier Millionen Thaler<lb/>
geschätzt, und General v. Manteuffel soll von einem Theile desselben erklärt<lb/>
haben, schöneres gehe eS in ganz Deutschland nicht. Wozu aber hat es nun<lb/>
dem Staate Hannover, der souveränen Welfen-Dynastie geholfen?</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"> 1'</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] dies in denselben Tagen, wo sein berühmterer College und Bundesgenosse, der ehemalige Civilist v. d. Pfordten. in der bayerischen Kammer mit Betonung sagte: die Weltgeschichte sei kein Civilproceß! Neben den Ministern, ihrer verfänglichen Feigheit auf der einen, und ihrer bureaukratischen Beschränktheit auf der andern Seite, trifft schwere Mitschuld an dem verhängnißvollen Entschluß vom 14, Juni die erste Kammer. Sie beschloß bekanntlich am 4. Juni, Hannover müsse sich auf die Seite des Bundes gegen den „Friedensbrecher" stellen. Schon am Tage daraus hätte sie den Nössing- schen Antrag vielleicht nicht mehr angenommen. Nicht umsonst hatte Herr v. Rösstng, Führer der großdeutschen Partei in Hannover, den Präsidenten v. Schlepegrell im Stillen verpflichtet, jeden Aufschub der Verhandlung zu hintertreiben. Aber der König, dessen innerstem Gemüth der Beschluß entgegen¬ kam, glaubte nur zu gern, in demselben sei die entschiedene und dauernde Stimmung aller Conservativen, aller loyalen Unterthanen ausgesprochen; mehr als je rechnete er darauf, sein Volk hinter sich zu haben, wenn er aus noth¬ gedrungener Neutralität schrittweise ins östreichische Lager überlenkte. Wie wenig kannte man die scharfe Wachsamkeit und rücksichtslose Energie des Gegners, mit welchem man es zu thun hatte! Als nun Hannover und Kurhessen mit der so famos dirigirten Stimme der sechzehnten Curie am Bunde den Ausschlag gegeben hatten, und Preußen blos noch 24 Stunden Bedenkzeit zugestand zur Rückkehr auf den Weg der vernünftigen und wahren Interessen — eine vielfach schon für zu weit getrieben erachtete Rücksicht —, und als nun die thatsächliche Partcistellung offenkundig werden, Widerstand gegen den muthwillig herausgeforderten Angriff geleistet werden mußte, da documentirt sich die Faulheit des verkümmerten und seit Jahren mißgeleiteten Staatswesens in offener Auslösung. Kaum halb ausgerüstet, mußte die Armee nicht sowohl den Rückzug, als die Flucht vor dem noch gar nicht einmal nahen Gegner antreten. Hätten sich die Eisenbahnen nicht leidlich rssch aus allen Seiten unfahrbar machen lassen, die Truppen wären in ihren Gar¬ nisonen selbst umzingelt und gefangen genommen worden. Auch so entkamen sie lange nicht vollständig in den äußersten Süden, oder wie der Welfenstil lautet: in die südlichen Provinzen des Landes. Sogar in dem Lager bei Stade, dessen kriegerischer Zweck doch von vornherein feststand, bedürfte es sämmtlicher für vier Batterien vorhandenen Pferde, um eine einzige fortzuschaffen. In Han¬ nover ließ man die Feldapotheke zurück, die Oberärzte der Armee ohne jede Anweisung. Im Kriegsministerium wird der Werth des im Stiche gelassenen, den Preußen in die Hände gefallenen Armeematerials aus vier Millionen Thaler geschätzt, und General v. Manteuffel soll von einem Theile desselben erklärt haben, schöneres gehe eS in ganz Deutschland nicht. Wozu aber hat es nun dem Staate Hannover, der souveränen Welfen-Dynastie geholfen? 1'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/13>, abgerufen am 22.07.2024.