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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Überzehen zu sehen. Und warum, fragte der sardinische Bevollmächtigte, sagen
Sie dies zu mir? Weil wir wissen, erwiderte Talleyrand. daß beim Abschluß
der Heirath des Erzherzogs Franz jene Eventualität in Aussicht genommen
worden ist. Castlereagh mochte durch den französischen Gesandten von diesen
Absichten unterrichtet worden sein, jedenfalls wußte er davon; in einem Ge¬
spräch mit San Marzano äußerte er, die Vereinigung Genuas mit Piemont
wäre eine schickliche Gelegenheit, von neuem in der bestimmtesten Weise die Thron¬
folge des Hauses Savoyen zu regeln.

Victor Emanuel, den San Marzano um Jnstructionen angegangen hatte,
schrieb am 8. October 1814 folgendes zurück: Die Anregung der Thronfolge¬
frage von Seite Frankreichs war leicht vorauszusehen in Ansehung der Wichtig¬
keit, welche dieselbe für die Entschließungen des Congresses haben muß. Wir
sind entschlossen den Stipulationen der Abtretungen, die man uns macht, die
Clausel der Aufrechthaltung der Erbordnung, wie sie im utrechter Vertrag für
die sicilische Thronfolge ausgenommen ist, beizufügen. Indessen, sollte das
wiener Cabinet, wenn man ihm die Möglichkeit einer Abänderung der Thron¬
folge für diejenigen Besitzungen zeigte, durch welche man uns in der Lombardei
vergrößern könnte, sich in dieser Hinsicht nachgiebiger stimmen lassen, so wären
wir geneigt, für diese Staaten die genannte Thronfolgcordnung abzuändern.
Wenn beträchtliche Gebietserwerbungen nur unter dieser Bedingung zugestanden
würden, so würden wir diese Vorschläge nicht zurückweisen.

Der Brief beweist, daß der König selbst -- ohne Zweifel durch Vorspiege¬
lungen des Herzogs von Modena geködert -- nicht fest genug war, jene Plane
ganz abzuweisen, sobald er aber sah, daß er auf vie Lombardei verzichten müsse,
kam er nicht mehr daraus zurück. Die piemontesische Diplomatie, die überhaupt
in der ganzen Frage ehrenvoller und fester handelte als das Königshaus selbst,
machte inzwischen alle Anstrengungen zur Sicherung des Erbrechts der Linie
Carignan. Graf Galeani Napione ti Cocconato und Graf Prospero Balbo
schrieben im Auftrag des Ministers Valesia Mitte October zwei Denkschriften,
welche nicht blos historisch die Giltigkeit des salischen Gesetzes für das Haus
Savoyen, sondern auch das Interesse nachwiesen, welches seine Aufrechthaltung
für die Ruhe Italiens und die europäische Ordnung habe. Valesia sandte diese
Denkschriften seinem Bevollmächtigten zu und forderte ihn lebhaft "uf, wenn
wiederum Zweifel und Bedenken laut würden, das Erbrecht gegen alle Anfech¬
tung sicher zu stellen. Als Talleyrand bald nachher auf die Sache zurückkam
und erfuhr, daß die Znstructionen San Marzanos ganz erwünscht lauteten, sagte
er: Es freut mich dies für Ihren König, denn nach dieser Erklärung wird es
mir viel leichter seine Interessen zu begünstigen. Gleicherweise freue ich mich
für meinen Herrn, der diese Angelegenheit zu denjenigen zählt, welche die größte
Wachsamkeit erfordern. Er ist von dem Wunsche Oestreichs unterrichtet, daß


Überzehen zu sehen. Und warum, fragte der sardinische Bevollmächtigte, sagen
Sie dies zu mir? Weil wir wissen, erwiderte Talleyrand. daß beim Abschluß
der Heirath des Erzherzogs Franz jene Eventualität in Aussicht genommen
worden ist. Castlereagh mochte durch den französischen Gesandten von diesen
Absichten unterrichtet worden sein, jedenfalls wußte er davon; in einem Ge¬
spräch mit San Marzano äußerte er, die Vereinigung Genuas mit Piemont
wäre eine schickliche Gelegenheit, von neuem in der bestimmtesten Weise die Thron¬
folge des Hauses Savoyen zu regeln.

Victor Emanuel, den San Marzano um Jnstructionen angegangen hatte,
schrieb am 8. October 1814 folgendes zurück: Die Anregung der Thronfolge¬
frage von Seite Frankreichs war leicht vorauszusehen in Ansehung der Wichtig¬
keit, welche dieselbe für die Entschließungen des Congresses haben muß. Wir
sind entschlossen den Stipulationen der Abtretungen, die man uns macht, die
Clausel der Aufrechthaltung der Erbordnung, wie sie im utrechter Vertrag für
die sicilische Thronfolge ausgenommen ist, beizufügen. Indessen, sollte das
wiener Cabinet, wenn man ihm die Möglichkeit einer Abänderung der Thron¬
folge für diejenigen Besitzungen zeigte, durch welche man uns in der Lombardei
vergrößern könnte, sich in dieser Hinsicht nachgiebiger stimmen lassen, so wären
wir geneigt, für diese Staaten die genannte Thronfolgcordnung abzuändern.
Wenn beträchtliche Gebietserwerbungen nur unter dieser Bedingung zugestanden
würden, so würden wir diese Vorschläge nicht zurückweisen.

Der Brief beweist, daß der König selbst — ohne Zweifel durch Vorspiege¬
lungen des Herzogs von Modena geködert — nicht fest genug war, jene Plane
ganz abzuweisen, sobald er aber sah, daß er auf vie Lombardei verzichten müsse,
kam er nicht mehr daraus zurück. Die piemontesische Diplomatie, die überhaupt
in der ganzen Frage ehrenvoller und fester handelte als das Königshaus selbst,
machte inzwischen alle Anstrengungen zur Sicherung des Erbrechts der Linie
Carignan. Graf Galeani Napione ti Cocconato und Graf Prospero Balbo
schrieben im Auftrag des Ministers Valesia Mitte October zwei Denkschriften,
welche nicht blos historisch die Giltigkeit des salischen Gesetzes für das Haus
Savoyen, sondern auch das Interesse nachwiesen, welches seine Aufrechthaltung
für die Ruhe Italiens und die europäische Ordnung habe. Valesia sandte diese
Denkschriften seinem Bevollmächtigten zu und forderte ihn lebhaft «uf, wenn
wiederum Zweifel und Bedenken laut würden, das Erbrecht gegen alle Anfech¬
tung sicher zu stellen. Als Talleyrand bald nachher auf die Sache zurückkam
und erfuhr, daß die Znstructionen San Marzanos ganz erwünscht lauteten, sagte
er: Es freut mich dies für Ihren König, denn nach dieser Erklärung wird es
mir viel leichter seine Interessen zu begünstigen. Gleicherweise freue ich mich
für meinen Herrn, der diese Angelegenheit zu denjenigen zählt, welche die größte
Wachsamkeit erfordern. Er ist von dem Wunsche Oestreichs unterrichtet, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/115>, abgerufen am 22.07.2024.