Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.der Congreß gar keine Entscheidung über die Savoyische Thronfolge treffe: dies Um dem vorzubeugen, verlangte Talleyrand nach vorgängiger Uebereinkunft Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, dachte Metternich. Willkommenen Vor¬ Die Aufschlüsse, welche sich bei Bianchi über diese Revolution finden, geben der Congreß gar keine Entscheidung über die Savoyische Thronfolge treffe: dies Um dem vorzubeugen, verlangte Talleyrand nach vorgängiger Uebereinkunft Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, dachte Metternich. Willkommenen Vor¬ Die Aufschlüsse, welche sich bei Bianchi über diese Revolution finden, geben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285704"/> <p xml:id="ID_345" prev="#ID_344"> der Congreß gar keine Entscheidung über die Savoyische Thronfolge treffe: dies<lb/> ist ein Beweis, daß Oestreich darauf rechnet, bei gegebener Gelegenheit aus<lb/> solchem Stillschweigen Nutzen zu ziehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_346"> Um dem vorzubeugen, verlangte Talleyrand nach vorgängiger Uebereinkunft<lb/> mit San Marzano in der Particularconferenz, welche am 12. November wegen<lb/> Genuas gehalten wurde, daß entsprechend dem Gebrauch bei früheren Verträgen<lb/> auch in dem Vertrag über den Anschluß Genuas an Sardinien die Art der<lb/> Thronfolge ausdrücklich stipulirt würde. Nesselrode und Castlereagh stimmten<lb/> sofort zu. Metternich blieb nichts übrig, als mit der unbefangenen Miene, die<lb/> ihm in solchen Fällen eigen war, zu erklären, sein Kaiser habe keine Einwen¬<lb/> dung zu machen und finde eine solche erneuerte Bestätigung gleichfalls am Platze.<lb/> Bei der Heirath des Erzherzogs Franz habe man keine Hintergedanken gehabt<lb/> und die im Haus Savoyen giltige Thronfolgeordnung, welche die Frauen aus¬<lb/> schließe, wohl gekannt. Einstimmig beschloß also die Conserenz, daß in der<lb/> Schlußacte des Congresses ausdrücklich ein Artikel das Erbrecht der Linie Carignan<lb/> feststellen solle, wie denn auch geschah.</p><lb/> <p xml:id="ID_347"> Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, dachte Metternich. Willkommenen Vor¬<lb/> wand seine Umtriebe wieder aufzunehmen gab Oestreich das Verhalten des<lb/> Prinzen Carignan während der piemontesischen Revolution von 1821. Während<lb/> Karl Albert wegen dieser unglücklichen Tage vom Liberalismus Italiens als<lb/> Verräther verfehmt wurde, denuncirte ihn gleichzeitig Oestreich den Verbündeten<lb/> wegen Hochverraths an Karl Felix.</p><lb/> <p xml:id="ID_348" next="#ID_349"> Die Aufschlüsse, welche sich bei Bianchi über diese Revolution finden, geben<lb/> wenig Neues an die Hand, und die Acten dürften nun überhaupt so ziemlich<lb/> geschlossen sein. So viel aber geht auch aus ihnen unzweifelhaft hervor, daß<lb/> wenn die Verschworenen Ursache hatten über Schwäche und Mangel an Auf¬<lb/> richtigkeit in des Prinzen Benehmen zu klagen, um so weniger ihm ein Act<lb/> der Usurpation oder der Auflehnung gegen die königliche Autorität nachzuweisen<lb/> ist. Eine Aufzeichnung Karl Alberts vom Jahr 1839 enthält das denkwürdige<lb/> Geständniß: Ich bin der Verschwörung angeklagt worden. Dazu hätte mich<lb/> wenigstens ein edleres und erhabeneres Gefühl verleitet, als das der Carbonari<lb/> war. Ich bekenne, daß es klüger gewesen wäre, wenn ich trotz meiner Jugend<lb/> geschwiegen hätte, als ich von Krieg sprechen hörte, von dem Wunsch, die<lb/> Staaten des Königs auszudehnen, die Unabhängigkeit Italiens herbeizuführen,<lb/> um den Preis unseres Blutes eine Macht und eine Gebietsausdehnung zu er¬<lb/> langen , welche das Glück des Vaterlandes hätte befestigen können: aber diese<lb/> Aufwallungen des Herzens eines jugendlichen Soldaten können nicht verleugnet<lb/> werden durch meine weißen Haare. Karl Albert hatte den Entwürfen der Car¬<lb/> bonari sein Ohr geliehen, weil sie mit seinen eigenen ehrgeizigen Wünschen und<lb/> Ideen zusammenstimmten. Aber er hatte keinen Theil an der Aufwiegelung,des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0116]
der Congreß gar keine Entscheidung über die Savoyische Thronfolge treffe: dies
ist ein Beweis, daß Oestreich darauf rechnet, bei gegebener Gelegenheit aus
solchem Stillschweigen Nutzen zu ziehen.
Um dem vorzubeugen, verlangte Talleyrand nach vorgängiger Uebereinkunft
mit San Marzano in der Particularconferenz, welche am 12. November wegen
Genuas gehalten wurde, daß entsprechend dem Gebrauch bei früheren Verträgen
auch in dem Vertrag über den Anschluß Genuas an Sardinien die Art der
Thronfolge ausdrücklich stipulirt würde. Nesselrode und Castlereagh stimmten
sofort zu. Metternich blieb nichts übrig, als mit der unbefangenen Miene, die
ihm in solchen Fällen eigen war, zu erklären, sein Kaiser habe keine Einwen¬
dung zu machen und finde eine solche erneuerte Bestätigung gleichfalls am Platze.
Bei der Heirath des Erzherzogs Franz habe man keine Hintergedanken gehabt
und die im Haus Savoyen giltige Thronfolgeordnung, welche die Frauen aus¬
schließe, wohl gekannt. Einstimmig beschloß also die Conserenz, daß in der
Schlußacte des Congresses ausdrücklich ein Artikel das Erbrecht der Linie Carignan
feststellen solle, wie denn auch geschah.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, dachte Metternich. Willkommenen Vor¬
wand seine Umtriebe wieder aufzunehmen gab Oestreich das Verhalten des
Prinzen Carignan während der piemontesischen Revolution von 1821. Während
Karl Albert wegen dieser unglücklichen Tage vom Liberalismus Italiens als
Verräther verfehmt wurde, denuncirte ihn gleichzeitig Oestreich den Verbündeten
wegen Hochverraths an Karl Felix.
Die Aufschlüsse, welche sich bei Bianchi über diese Revolution finden, geben
wenig Neues an die Hand, und die Acten dürften nun überhaupt so ziemlich
geschlossen sein. So viel aber geht auch aus ihnen unzweifelhaft hervor, daß
wenn die Verschworenen Ursache hatten über Schwäche und Mangel an Auf¬
richtigkeit in des Prinzen Benehmen zu klagen, um so weniger ihm ein Act
der Usurpation oder der Auflehnung gegen die königliche Autorität nachzuweisen
ist. Eine Aufzeichnung Karl Alberts vom Jahr 1839 enthält das denkwürdige
Geständniß: Ich bin der Verschwörung angeklagt worden. Dazu hätte mich
wenigstens ein edleres und erhabeneres Gefühl verleitet, als das der Carbonari
war. Ich bekenne, daß es klüger gewesen wäre, wenn ich trotz meiner Jugend
geschwiegen hätte, als ich von Krieg sprechen hörte, von dem Wunsch, die
Staaten des Königs auszudehnen, die Unabhängigkeit Italiens herbeizuführen,
um den Preis unseres Blutes eine Macht und eine Gebietsausdehnung zu er¬
langen , welche das Glück des Vaterlandes hätte befestigen können: aber diese
Aufwallungen des Herzens eines jugendlichen Soldaten können nicht verleugnet
werden durch meine weißen Haare. Karl Albert hatte den Entwürfen der Car¬
bonari sein Ohr geliehen, weil sie mit seinen eigenen ehrgeizigen Wünschen und
Ideen zusammenstimmten. Aber er hatte keinen Theil an der Aufwiegelung,des
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