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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Frankreich und Spanien-Oestreich gewesen. Die Quelle des Uebels war ver¬
stopft, wenn ein kräftiger Staat im Norden, dessen Lage gegeben war durch
den Lauf des Po und durch die Grenzen der Alpen und des Appennin, auf¬
gerichtet wurde, stark genug sich selbst aufrecht zu halten und fremden Einfluß
Vom übrigen Italien abzuwehren. So schien schon jetzt das Interesse Piemonts
mit dem der italienischen Nation zusammenzufallen. Und diese Identität der
Interessen trat nur noch schärfer hervor, als durch die Beschlüsse der großen
Mächte über die Angelegenheiten Italiens so ganz anders entschieden wurde.
Das Loos der Lombardei war längst besiegelt, als Victor Emanuel wieder
seine Erdtaube betreten durfte. Durch fremde Waffen wieder eingesetzt, war er
ganz der Entscheidung der Verbündeten preisgegeben und hatte keine Bedin¬
gungen zu stellen. Für die Vergrößerung Piemonts schien hinreichend gesorgt,
wenn ihm das Gebiet der Republik Genua zugesprochen wurde; Savoyen er¬
hielt es erst im zweiten pariser Frieden zurück; dagegen wurde seine Grenze
gegen Osten so zugemessen, daß es gegen das mächtige Oestreich schutzlos offen
lag, und dieses nicht zufrieden, Piemont hinter den Tessin gedrängt zu wissen,
versuchte noch Jahre lang unter den verschiedensten Vorwänden Eingriffe in
die Selbständigkeit des Nachbarlandes. Ueber das ganze übrige Italien hatte
es sich theils directe theils indirecte Herrschaft gesichert: die Schutzmauer gegen
das revolutionäre Frankreich sollte in der Ausdehnung der östreichischen Herr¬
schaft über die ganze Halbinsel bestehen. Von da an haßte ganz Italien in
Oestreich seinen unversöhnlichen Feind, aber dieser' Haß concentrirte sich im
Piemontesischen Staat. War es dort das instinctive Gefühl der unterdrückten
Nationalität, so kam dazu hier der bewußte Protest eines in seinen politischen
Zwecken gehemmten Staatswesens. Allzu ungleich war der Kampf zwischen
dem mächtigen Kaiserstaat und den getheilten, von den eigenen Regierungen
Verrathenen Stämmen: in Piemont allein war er mit politischen Mitteln zu
führen, hier war es ein persönlicher Kampf, von Staat zu Staat. Wollte die
instinctiv überall vorhandene Tendenz zur Einheit und Unabhängigkeit Erfolg
haben, so gab es für sie kein anderes Mittel als Unterstützung Piemonts gegen
Oestreich. Alles andere waren sinnlose Aufstandsversuche, nach welchen die Hand
der fremden Zwingherrn jedesmal, nur schwerer drückte, nutzlose Projecte, welche
Von den richtigen politischen Wegen ablenkten. Ihre Bedeutung hatten sie nur
darin, daß sie in verschiedenen Formen den abstracten Gedanken der Freiheit
und Nationalität immer wieder aufstachelten und wachhielten. Politische Be¬
deutung aber hatte dieses Nationalitätsgefühl selbst erst dann, als man sich der
richtigen Mittel bewußt wurde, den abstracten Idealen Körper zu geben, als
man begann, eine ziellose Agitation in die disciplinirte Form des politischen
Kampfs zu zwingen. So lange man meinte von jedem Städtchen aus mittelst
einer Proclamation die Fremdherrschaft aus-den Angeln zu heben, so lange


Frankreich und Spanien-Oestreich gewesen. Die Quelle des Uebels war ver¬
stopft, wenn ein kräftiger Staat im Norden, dessen Lage gegeben war durch
den Lauf des Po und durch die Grenzen der Alpen und des Appennin, auf¬
gerichtet wurde, stark genug sich selbst aufrecht zu halten und fremden Einfluß
Vom übrigen Italien abzuwehren. So schien schon jetzt das Interesse Piemonts
mit dem der italienischen Nation zusammenzufallen. Und diese Identität der
Interessen trat nur noch schärfer hervor, als durch die Beschlüsse der großen
Mächte über die Angelegenheiten Italiens so ganz anders entschieden wurde.
Das Loos der Lombardei war längst besiegelt, als Victor Emanuel wieder
seine Erdtaube betreten durfte. Durch fremde Waffen wieder eingesetzt, war er
ganz der Entscheidung der Verbündeten preisgegeben und hatte keine Bedin¬
gungen zu stellen. Für die Vergrößerung Piemonts schien hinreichend gesorgt,
wenn ihm das Gebiet der Republik Genua zugesprochen wurde; Savoyen er¬
hielt es erst im zweiten pariser Frieden zurück; dagegen wurde seine Grenze
gegen Osten so zugemessen, daß es gegen das mächtige Oestreich schutzlos offen
lag, und dieses nicht zufrieden, Piemont hinter den Tessin gedrängt zu wissen,
versuchte noch Jahre lang unter den verschiedensten Vorwänden Eingriffe in
die Selbständigkeit des Nachbarlandes. Ueber das ganze übrige Italien hatte
es sich theils directe theils indirecte Herrschaft gesichert: die Schutzmauer gegen
das revolutionäre Frankreich sollte in der Ausdehnung der östreichischen Herr¬
schaft über die ganze Halbinsel bestehen. Von da an haßte ganz Italien in
Oestreich seinen unversöhnlichen Feind, aber dieser' Haß concentrirte sich im
Piemontesischen Staat. War es dort das instinctive Gefühl der unterdrückten
Nationalität, so kam dazu hier der bewußte Protest eines in seinen politischen
Zwecken gehemmten Staatswesens. Allzu ungleich war der Kampf zwischen
dem mächtigen Kaiserstaat und den getheilten, von den eigenen Regierungen
Verrathenen Stämmen: in Piemont allein war er mit politischen Mitteln zu
führen, hier war es ein persönlicher Kampf, von Staat zu Staat. Wollte die
instinctiv überall vorhandene Tendenz zur Einheit und Unabhängigkeit Erfolg
haben, so gab es für sie kein anderes Mittel als Unterstützung Piemonts gegen
Oestreich. Alles andere waren sinnlose Aufstandsversuche, nach welchen die Hand
der fremden Zwingherrn jedesmal, nur schwerer drückte, nutzlose Projecte, welche
Von den richtigen politischen Wegen ablenkten. Ihre Bedeutung hatten sie nur
darin, daß sie in verschiedenen Formen den abstracten Gedanken der Freiheit
und Nationalität immer wieder aufstachelten und wachhielten. Politische Be¬
deutung aber hatte dieses Nationalitätsgefühl selbst erst dann, als man sich der
richtigen Mittel bewußt wurde, den abstracten Idealen Körper zu geben, als
man begann, eine ziellose Agitation in die disciplinirte Form des politischen
Kampfs zu zwingen. So lange man meinte von jedem Städtchen aus mittelst
einer Proclamation die Fremdherrschaft aus-den Angeln zu heben, so lange


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[0443] Frankreich und Spanien-Oestreich gewesen. Die Quelle des Uebels war ver¬ stopft, wenn ein kräftiger Staat im Norden, dessen Lage gegeben war durch den Lauf des Po und durch die Grenzen der Alpen und des Appennin, auf¬ gerichtet wurde, stark genug sich selbst aufrecht zu halten und fremden Einfluß Vom übrigen Italien abzuwehren. So schien schon jetzt das Interesse Piemonts mit dem der italienischen Nation zusammenzufallen. Und diese Identität der Interessen trat nur noch schärfer hervor, als durch die Beschlüsse der großen Mächte über die Angelegenheiten Italiens so ganz anders entschieden wurde. Das Loos der Lombardei war längst besiegelt, als Victor Emanuel wieder seine Erdtaube betreten durfte. Durch fremde Waffen wieder eingesetzt, war er ganz der Entscheidung der Verbündeten preisgegeben und hatte keine Bedin¬ gungen zu stellen. Für die Vergrößerung Piemonts schien hinreichend gesorgt, wenn ihm das Gebiet der Republik Genua zugesprochen wurde; Savoyen er¬ hielt es erst im zweiten pariser Frieden zurück; dagegen wurde seine Grenze gegen Osten so zugemessen, daß es gegen das mächtige Oestreich schutzlos offen lag, und dieses nicht zufrieden, Piemont hinter den Tessin gedrängt zu wissen, versuchte noch Jahre lang unter den verschiedensten Vorwänden Eingriffe in die Selbständigkeit des Nachbarlandes. Ueber das ganze übrige Italien hatte es sich theils directe theils indirecte Herrschaft gesichert: die Schutzmauer gegen das revolutionäre Frankreich sollte in der Ausdehnung der östreichischen Herr¬ schaft über die ganze Halbinsel bestehen. Von da an haßte ganz Italien in Oestreich seinen unversöhnlichen Feind, aber dieser' Haß concentrirte sich im Piemontesischen Staat. War es dort das instinctive Gefühl der unterdrückten Nationalität, so kam dazu hier der bewußte Protest eines in seinen politischen Zwecken gehemmten Staatswesens. Allzu ungleich war der Kampf zwischen dem mächtigen Kaiserstaat und den getheilten, von den eigenen Regierungen Verrathenen Stämmen: in Piemont allein war er mit politischen Mitteln zu führen, hier war es ein persönlicher Kampf, von Staat zu Staat. Wollte die instinctiv überall vorhandene Tendenz zur Einheit und Unabhängigkeit Erfolg haben, so gab es für sie kein anderes Mittel als Unterstützung Piemonts gegen Oestreich. Alles andere waren sinnlose Aufstandsversuche, nach welchen die Hand der fremden Zwingherrn jedesmal, nur schwerer drückte, nutzlose Projecte, welche Von den richtigen politischen Wegen ablenkten. Ihre Bedeutung hatten sie nur darin, daß sie in verschiedenen Formen den abstracten Gedanken der Freiheit und Nationalität immer wieder aufstachelten und wachhielten. Politische Be¬ deutung aber hatte dieses Nationalitätsgefühl selbst erst dann, als man sich der richtigen Mittel bewußt wurde, den abstracten Idealen Körper zu geben, als man begann, eine ziellose Agitation in die disciplinirte Form des politischen Kampfs zu zwingen. So lange man meinte von jedem Städtchen aus mittelst einer Proclamation die Fremdherrschaft aus-den Angeln zu heben, so lange

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/443>, abgerufen am 28.07.2024.