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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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an republikanische Vergangenheit oder an ewigen Wechsel der Herrschergeschlechter.
Die Anhänglichkeit an das Fürstenhaus war tiefer gewurzelt als irgendwo und
die Unfälle der napoleonischen Zeit hatten sie nur befestigt. Mit aufrichtiger
Freude hatte man daher die Restauration der Dynastie begrüßt und war stolz,,
das einzige nationale Fürstenhaus in Italien zu besitzen. Nahm man dazu den
tüchtigen, kriegerischen Geist der Bevölkerung, die verhältnißmäßige Ordnung,
in welcher hier Armee, Finanzen und Verwaltung gehalten wurden, so war klar,
daß dies der einzige Staat Italiens war, der das Zeug hatte, auf eigenen
Füßen zu stehen.

Diese Unabhängigkeit zu erringen war schon seit vielen Generationen das
bewußte und mit kluger Ausdauer verfolgte Ziel der piemontesischen Staats¬
kunst gewesen. Zwischen zwei mächtige rivaiisircnde Reiche eingekeilt, nahmen
die Fürsten dieses Hauses zugleich die Vortheile wahr, die sich für sie aus dieser
precären Stellung ergaben. Es war ihre konstante Politik, sich bald auf die
eine bald auf die andere dieser Mächte zu stützen, dadurch sich beiden unent¬
behrlich zu machen und so durch ein kluges Balancirsystem eine Position zu
gewinnen, welche weit über die materiellen Kräfte des Staats hinausging. Ins¬
besondere seit dem spanischen Erbfolgekrieg hatten die Herzöge von Savoyen ihrem
Besitze eine gewisse Unabhängigkeit und Consistenz zu verschaffen gewußt. Was
sie nach Nord und West, gegen die Schweiz und Frankreich verloren, war ihnen
durch Vorschiebung nach Osten hin ersetzt worden. Vom Montblanc, der festen
Burg ihrer Herrschaft, dessen Abhänge sie einst ringsum besessen hatten, lockte
sie der Wink der Zukunft in die lombardische Ebene hinab. Es war gleichsam
der Jnstinct des savoyischen Hauses, dem Lauf des Po zu folgen und so nach
Italien hineinzuwachsen -- Schritt für Schritt, so wie Zeit und Umstände es
möglich machten, ohne Hast und ohne Gefährdung deS alten Besitzes; denn dies
waren die Hauptmaximen der piemontesischen Politik.

Und nun schien seit dem Ausgange Napoleons die Gelegenheit gekommen,
die Früchte dieser Politik zu ernten. Die Sündhaftigkeit, mit welcher Victor
Emanuel auf Seite der Gegner Napoleons ausgehalten, verdiente Anerkennung,
War es den Alliirten vor allem darum zu thun, Schutzwehren gegen künftige
Uebergriffe Frankreichs zu errichten, so schien sich nichts mehr zu empfehlen als
die Constituirung eines starken selbständigen norditalienischen Königreichs. Mit
diesem Programm erschienen die piemontesischen Staatsmänner vor den Alliirten,
durchdrungen von dem Bewußtsein, daß sie damit zugleich die Vertreter deS
italienischen Nationalitätsgedankens, die Vorkämpfer der Unabhängigkeit der
Halbinsel waren- Denn die Unabhängigkeit, die sie für ihren Staat verlangten,
hatte ihre Spitze wie gegen Frankreich so gegen Oestreich. Was war denn die
Ursache all der Leiden, welche seit Jahrhunderten Italien heimgesucht hatten?
Daß es der Spielball fremden Einflusses, das Object der Eifersucht zwischen


an republikanische Vergangenheit oder an ewigen Wechsel der Herrschergeschlechter.
Die Anhänglichkeit an das Fürstenhaus war tiefer gewurzelt als irgendwo und
die Unfälle der napoleonischen Zeit hatten sie nur befestigt. Mit aufrichtiger
Freude hatte man daher die Restauration der Dynastie begrüßt und war stolz,,
das einzige nationale Fürstenhaus in Italien zu besitzen. Nahm man dazu den
tüchtigen, kriegerischen Geist der Bevölkerung, die verhältnißmäßige Ordnung,
in welcher hier Armee, Finanzen und Verwaltung gehalten wurden, so war klar,
daß dies der einzige Staat Italiens war, der das Zeug hatte, auf eigenen
Füßen zu stehen.

Diese Unabhängigkeit zu erringen war schon seit vielen Generationen das
bewußte und mit kluger Ausdauer verfolgte Ziel der piemontesischen Staats¬
kunst gewesen. Zwischen zwei mächtige rivaiisircnde Reiche eingekeilt, nahmen
die Fürsten dieses Hauses zugleich die Vortheile wahr, die sich für sie aus dieser
precären Stellung ergaben. Es war ihre konstante Politik, sich bald auf die
eine bald auf die andere dieser Mächte zu stützen, dadurch sich beiden unent¬
behrlich zu machen und so durch ein kluges Balancirsystem eine Position zu
gewinnen, welche weit über die materiellen Kräfte des Staats hinausging. Ins¬
besondere seit dem spanischen Erbfolgekrieg hatten die Herzöge von Savoyen ihrem
Besitze eine gewisse Unabhängigkeit und Consistenz zu verschaffen gewußt. Was
sie nach Nord und West, gegen die Schweiz und Frankreich verloren, war ihnen
durch Vorschiebung nach Osten hin ersetzt worden. Vom Montblanc, der festen
Burg ihrer Herrschaft, dessen Abhänge sie einst ringsum besessen hatten, lockte
sie der Wink der Zukunft in die lombardische Ebene hinab. Es war gleichsam
der Jnstinct des savoyischen Hauses, dem Lauf des Po zu folgen und so nach
Italien hineinzuwachsen — Schritt für Schritt, so wie Zeit und Umstände es
möglich machten, ohne Hast und ohne Gefährdung deS alten Besitzes; denn dies
waren die Hauptmaximen der piemontesischen Politik.

Und nun schien seit dem Ausgange Napoleons die Gelegenheit gekommen,
die Früchte dieser Politik zu ernten. Die Sündhaftigkeit, mit welcher Victor
Emanuel auf Seite der Gegner Napoleons ausgehalten, verdiente Anerkennung,
War es den Alliirten vor allem darum zu thun, Schutzwehren gegen künftige
Uebergriffe Frankreichs zu errichten, so schien sich nichts mehr zu empfehlen als
die Constituirung eines starken selbständigen norditalienischen Königreichs. Mit
diesem Programm erschienen die piemontesischen Staatsmänner vor den Alliirten,
durchdrungen von dem Bewußtsein, daß sie damit zugleich die Vertreter deS
italienischen Nationalitätsgedankens, die Vorkämpfer der Unabhängigkeit der
Halbinsel waren- Denn die Unabhängigkeit, die sie für ihren Staat verlangten,
hatte ihre Spitze wie gegen Frankreich so gegen Oestreich. Was war denn die
Ursache all der Leiden, welche seit Jahrhunderten Italien heimgesucht hatten?
Daß es der Spielball fremden Einflusses, das Object der Eifersucht zwischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/442>, abgerufen am 28.07.2024.