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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Andre haben sich im Spiel Geld, Kleider und Bücher abgenommen. Wieder
andere werden wegen Sünden wider das sechste Gebot bestraft, der eine, weil
er sich aus Böhmen eine Dirne hat holen lassen, die aus der Stadt verwiesen
ist, ein anderer, weil er im Bordell die Zeche nicht berichtigt; drei müssen drei
Thaler jeder erlegen wegen Besuchs eines derartigen Instituts, vier trifft die¬
selbe Strafe, weil sie liederliche Frauenzimmer mit ins Fürstencollcgium ge¬
bracht. Magister Lupulus und Johannes Kertsch, im Pcterscolleg wohnend,
sind wegen Verkehrs mit verdächtigen Weibsbildern, Sacharins Baumgarten ist
wegen Unzucht mit der Magd des Paulinercollegs vor Magnisicum citirt, rei¬
nigen sich aber von der Anklage nach Vorschrift der Statuten. Lucas Schwach
aus Jüterbvck bekommt, weil er in der Trunkenheit Jungfrauen in das Bern-
hardscolleg hat entführen wollen, fünf Tage Carcer. Georg Pfefferkorn hat
i" gleichem Zustande in Bürgerhäusern Fenster eingeworfen und muh den
Schaden ersetzen sowie einen Thaler Strafe zahlen. 1567 wird ein Student hin-
gerichtet, weil er mit drei ander" einen Apotdeker beraubt hat, seine Spie߬
gesellen entfliehe", einer derselben, später ergriffen, kommt, "weil er eines vor¬
nehmen Doctors Sohn", mit Relegation auf 90 Jahre davon.

Auch in Leipzig hatte der hohe Adel viele Vorrechte. Barone und Grafen
gingen bei öffentlichen Auszügen zwischen den Decanen und den Magistern,
auch wenn sie nicht zum Magisterium promovirt waren; doch hatten sie sich
diese "Stelle" durch einen Schmaus, das , ,pranclium in loco" zu erkaufen,
welches somit ein Aequivalent für das Magisterexamen war. Oft geschah es,
daß Studenten dem Citat des Rectors nicht gehorchten, grobe Worte gaben
und nur mit Mühe zum Gehorsam zu bewegen waren, wen" sie sich adliger
Protection sicher mußten. So 1524 el" gewisser Waldheim, der sich durchaus
nicht relegiren lassen wollte und wochenlang dem ängstlichen Rector und der
ganzen Universität in schnödester Weise Trotz bot. Und so 1555 ein gewisser
Gesta, der beim Pranoium Aristotelis die gesammte gelehrte Würdenträger¬
schaft der Universität, weil "ran die Grafen von Liatalitz, deren Prciceptor er
war, bei der Einladung zu diesem Mahle nnr Freiherrn tiiulirt, "tungos, ve-
buIouöZ et lui'W" nannte und seiner Vermessenheit nicht einmal durch den
Rector Ruhe anbefehlen ließ.

Der Nest der Geschichte der leipziger Studentenwelt im sechzehnten Säculum
ist, soweit uns die Quellen geöffnet sind, eine Kette von Kämpfen und Zu¬
sammenstößen der jungen Herren unter sich und mit der Bürgerschaft. Bis
über die Mitte des Jahrhunderts hinaus vergeht fast kein Semester ohne
Schlägereien, blutige Rencontres, Mordthaten, Pasquille, aufrührerische Placate,
grobe Widersetzlichkeit und andere Criminalfälle.

1521 rebelliren die Studirenden wegen Verschließung der Bierteller. 1530
stürmen die Kürschner in Gemeinschaft mit allerlei Pöbel die Kollegien. 1633


Andre haben sich im Spiel Geld, Kleider und Bücher abgenommen. Wieder
andere werden wegen Sünden wider das sechste Gebot bestraft, der eine, weil
er sich aus Böhmen eine Dirne hat holen lassen, die aus der Stadt verwiesen
ist, ein anderer, weil er im Bordell die Zeche nicht berichtigt; drei müssen drei
Thaler jeder erlegen wegen Besuchs eines derartigen Instituts, vier trifft die¬
selbe Strafe, weil sie liederliche Frauenzimmer mit ins Fürstencollcgium ge¬
bracht. Magister Lupulus und Johannes Kertsch, im Pcterscolleg wohnend,
sind wegen Verkehrs mit verdächtigen Weibsbildern, Sacharins Baumgarten ist
wegen Unzucht mit der Magd des Paulinercollegs vor Magnisicum citirt, rei¬
nigen sich aber von der Anklage nach Vorschrift der Statuten. Lucas Schwach
aus Jüterbvck bekommt, weil er in der Trunkenheit Jungfrauen in das Bern-
hardscolleg hat entführen wollen, fünf Tage Carcer. Georg Pfefferkorn hat
i» gleichem Zustande in Bürgerhäusern Fenster eingeworfen und muh den
Schaden ersetzen sowie einen Thaler Strafe zahlen. 1567 wird ein Student hin-
gerichtet, weil er mit drei ander» einen Apotdeker beraubt hat, seine Spie߬
gesellen entfliehe», einer derselben, später ergriffen, kommt, „weil er eines vor¬
nehmen Doctors Sohn", mit Relegation auf 90 Jahre davon.

Auch in Leipzig hatte der hohe Adel viele Vorrechte. Barone und Grafen
gingen bei öffentlichen Auszügen zwischen den Decanen und den Magistern,
auch wenn sie nicht zum Magisterium promovirt waren; doch hatten sie sich
diese „Stelle" durch einen Schmaus, das , ,pranclium in loco" zu erkaufen,
welches somit ein Aequivalent für das Magisterexamen war. Oft geschah es,
daß Studenten dem Citat des Rectors nicht gehorchten, grobe Worte gaben
und nur mit Mühe zum Gehorsam zu bewegen waren, wen» sie sich adliger
Protection sicher mußten. So 1524 el» gewisser Waldheim, der sich durchaus
nicht relegiren lassen wollte und wochenlang dem ängstlichen Rector und der
ganzen Universität in schnödester Weise Trotz bot. Und so 1555 ein gewisser
Gesta, der beim Pranoium Aristotelis die gesammte gelehrte Würdenträger¬
schaft der Universität, weil »ran die Grafen von Liatalitz, deren Prciceptor er
war, bei der Einladung zu diesem Mahle nnr Freiherrn tiiulirt, „tungos, ve-
buIouöZ et lui'W" nannte und seiner Vermessenheit nicht einmal durch den
Rector Ruhe anbefehlen ließ.

Der Nest der Geschichte der leipziger Studentenwelt im sechzehnten Säculum
ist, soweit uns die Quellen geöffnet sind, eine Kette von Kämpfen und Zu¬
sammenstößen der jungen Herren unter sich und mit der Bürgerschaft. Bis
über die Mitte des Jahrhunderts hinaus vergeht fast kein Semester ohne
Schlägereien, blutige Rencontres, Mordthaten, Pasquille, aufrührerische Placate,
grobe Widersetzlichkeit und andere Criminalfälle.

1521 rebelliren die Studirenden wegen Verschließung der Bierteller. 1530
stürmen die Kürschner in Gemeinschaft mit allerlei Pöbel die Kollegien. 1633


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[0333] Andre haben sich im Spiel Geld, Kleider und Bücher abgenommen. Wieder andere werden wegen Sünden wider das sechste Gebot bestraft, der eine, weil er sich aus Böhmen eine Dirne hat holen lassen, die aus der Stadt verwiesen ist, ein anderer, weil er im Bordell die Zeche nicht berichtigt; drei müssen drei Thaler jeder erlegen wegen Besuchs eines derartigen Instituts, vier trifft die¬ selbe Strafe, weil sie liederliche Frauenzimmer mit ins Fürstencollcgium ge¬ bracht. Magister Lupulus und Johannes Kertsch, im Pcterscolleg wohnend, sind wegen Verkehrs mit verdächtigen Weibsbildern, Sacharins Baumgarten ist wegen Unzucht mit der Magd des Paulinercollegs vor Magnisicum citirt, rei¬ nigen sich aber von der Anklage nach Vorschrift der Statuten. Lucas Schwach aus Jüterbvck bekommt, weil er in der Trunkenheit Jungfrauen in das Bern- hardscolleg hat entführen wollen, fünf Tage Carcer. Georg Pfefferkorn hat i» gleichem Zustande in Bürgerhäusern Fenster eingeworfen und muh den Schaden ersetzen sowie einen Thaler Strafe zahlen. 1567 wird ein Student hin- gerichtet, weil er mit drei ander» einen Apotdeker beraubt hat, seine Spie߬ gesellen entfliehe», einer derselben, später ergriffen, kommt, „weil er eines vor¬ nehmen Doctors Sohn", mit Relegation auf 90 Jahre davon. Auch in Leipzig hatte der hohe Adel viele Vorrechte. Barone und Grafen gingen bei öffentlichen Auszügen zwischen den Decanen und den Magistern, auch wenn sie nicht zum Magisterium promovirt waren; doch hatten sie sich diese „Stelle" durch einen Schmaus, das , ,pranclium in loco" zu erkaufen, welches somit ein Aequivalent für das Magisterexamen war. Oft geschah es, daß Studenten dem Citat des Rectors nicht gehorchten, grobe Worte gaben und nur mit Mühe zum Gehorsam zu bewegen waren, wen» sie sich adliger Protection sicher mußten. So 1524 el» gewisser Waldheim, der sich durchaus nicht relegiren lassen wollte und wochenlang dem ängstlichen Rector und der ganzen Universität in schnödester Weise Trotz bot. Und so 1555 ein gewisser Gesta, der beim Pranoium Aristotelis die gesammte gelehrte Würdenträger¬ schaft der Universität, weil »ran die Grafen von Liatalitz, deren Prciceptor er war, bei der Einladung zu diesem Mahle nnr Freiherrn tiiulirt, „tungos, ve- buIouöZ et lui'W" nannte und seiner Vermessenheit nicht einmal durch den Rector Ruhe anbefehlen ließ. Der Nest der Geschichte der leipziger Studentenwelt im sechzehnten Säculum ist, soweit uns die Quellen geöffnet sind, eine Kette von Kämpfen und Zu¬ sammenstößen der jungen Herren unter sich und mit der Bürgerschaft. Bis über die Mitte des Jahrhunderts hinaus vergeht fast kein Semester ohne Schlägereien, blutige Rencontres, Mordthaten, Pasquille, aufrührerische Placate, grobe Widersetzlichkeit und andere Criminalfälle. 1521 rebelliren die Studirenden wegen Verschließung der Bierteller. 1530 stürmen die Kürschner in Gemeinschaft mit allerlei Pöbel die Kollegien. 1633

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/333>, abgerufen am 28.07.2024.