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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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wenigstens auf diesem Gebiet, nichts Altes. Im vorigen Jahr berichteten die
Zeitungen von dem Tcufelsbündniß eines jungen geldbedürftigen Polytechnikers
in Grat), welches mit dem darauf folgenden Verhör unserm Leipziger und seinen
Examinatoren wie aus den Augen geschnitten aussah.

Sehr ähnliche Zustände treffen wir an mehren andern alten Universitäten,
in Erfurt, Ingolstadt und Leipzig.

In Erfurt sollte 1510 ein Student gerädert werden, der zu Griffstcdt
Kirchenraub verübt hatte, aber der Bursch erwehrte sich des Nachrichters, ent¬
sprang und wurde dann, als dieser ihn wieder eingefangen und mit seinem
Geldgürtel an eine Leiter gebunden, von den Commilitonen unter großem
Halloh und Gelächter des Volkes sammt Leiter und Gürtel, in dem sich der
Lohn für seine Hinrichtung befand, entführt und in Sicherheit gebracht. In
demselben Jahre machte zu lebhafte Betheiligung der Studentenschaft an den
Streitigkeiten innerhalb der Stadtgemeinde dem Flor dieser hohen Schule für
immer ein Ende. Bürger und Soldaten rückten vor das große Collegium, be¬
schossen es mit schwerem Geschütz, schlugen die Vertheidiger desselben in die
Flucht, plünderten und verwüsteten die Bibliothek und nöthigten durch ihre
Gewaltthätigkeit auch die Professoren zum Abzug -- ein Ereigniß, welches erst
mehre Jahre später sich wieder ausglich, dessen Folgen aber niemals auch nur
annähernd vollständig wieder gut gemacht werden konnten. Die akademische
Welt hatte hier einmal versucht, sich mit einer großen Stadt zu messen; sie
mußte empfinden, daß dies el" thörichtes Unterfangen war*),

Ingolstadt weist namentlich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts,
1567, 1575 und 1579 große Stuvententumulte auf, bei denen es zu Blutver¬
gießen, vielfachen Verwundungen und wiederholt selbst dahin kam, daß einer
und der andere aus dem Platze blieb.

Wieder ausführlicher muß über Leipzig berichtet werden, dessen Univer¬
sität in ihren Annalen grade aus dieser Zeit mancherlei bewahrt, was für
unsre Darstellung und die Sittengeschichte überhaupt von Werth und Bedeu¬
tung ist.

Zunächst einige Blicke >us die Sitten der leipziger Studenten und deren
Verhalten zu ihren unmittelbaren Vorgesetzten. Die Uebersicht ist auch hier
nicht eben erfreulicher Art, und vielfach begegnen wir Ausbrüchen von Rohheit,
üblen Gewohnheiten und namentlich auch geschlechtlichen Sünden. Besonders
schlimm steht es um das Jahr 1545, wo eine ganze Neihe von Untersuchungen
und Strafen zu verzeichnen sind. Sieben Studenten werden zu Geldbußen
Verurtheilt, weil sie an der Nicolaikirche lagerndes Bauholz gestohlen haben.



Erfurt holte in dieser Zeit, wie man annimmt, gegen l>0,00et Einwohner, mit denen
es die volkreichste Stadt des damaligen mittleren Deutschland gewesen wäre.

wenigstens auf diesem Gebiet, nichts Altes. Im vorigen Jahr berichteten die
Zeitungen von dem Tcufelsbündniß eines jungen geldbedürftigen Polytechnikers
in Grat), welches mit dem darauf folgenden Verhör unserm Leipziger und seinen
Examinatoren wie aus den Augen geschnitten aussah.

Sehr ähnliche Zustände treffen wir an mehren andern alten Universitäten,
in Erfurt, Ingolstadt und Leipzig.

In Erfurt sollte 1510 ein Student gerädert werden, der zu Griffstcdt
Kirchenraub verübt hatte, aber der Bursch erwehrte sich des Nachrichters, ent¬
sprang und wurde dann, als dieser ihn wieder eingefangen und mit seinem
Geldgürtel an eine Leiter gebunden, von den Commilitonen unter großem
Halloh und Gelächter des Volkes sammt Leiter und Gürtel, in dem sich der
Lohn für seine Hinrichtung befand, entführt und in Sicherheit gebracht. In
demselben Jahre machte zu lebhafte Betheiligung der Studentenschaft an den
Streitigkeiten innerhalb der Stadtgemeinde dem Flor dieser hohen Schule für
immer ein Ende. Bürger und Soldaten rückten vor das große Collegium, be¬
schossen es mit schwerem Geschütz, schlugen die Vertheidiger desselben in die
Flucht, plünderten und verwüsteten die Bibliothek und nöthigten durch ihre
Gewaltthätigkeit auch die Professoren zum Abzug — ein Ereigniß, welches erst
mehre Jahre später sich wieder ausglich, dessen Folgen aber niemals auch nur
annähernd vollständig wieder gut gemacht werden konnten. Die akademische
Welt hatte hier einmal versucht, sich mit einer großen Stadt zu messen; sie
mußte empfinden, daß dies el» thörichtes Unterfangen war*),

Ingolstadt weist namentlich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts,
1567, 1575 und 1579 große Stuvententumulte auf, bei denen es zu Blutver¬
gießen, vielfachen Verwundungen und wiederholt selbst dahin kam, daß einer
und der andere aus dem Platze blieb.

Wieder ausführlicher muß über Leipzig berichtet werden, dessen Univer¬
sität in ihren Annalen grade aus dieser Zeit mancherlei bewahrt, was für
unsre Darstellung und die Sittengeschichte überhaupt von Werth und Bedeu¬
tung ist.

Zunächst einige Blicke >us die Sitten der leipziger Studenten und deren
Verhalten zu ihren unmittelbaren Vorgesetzten. Die Uebersicht ist auch hier
nicht eben erfreulicher Art, und vielfach begegnen wir Ausbrüchen von Rohheit,
üblen Gewohnheiten und namentlich auch geschlechtlichen Sünden. Besonders
schlimm steht es um das Jahr 1545, wo eine ganze Neihe von Untersuchungen
und Strafen zu verzeichnen sind. Sieben Studenten werden zu Geldbußen
Verurtheilt, weil sie an der Nicolaikirche lagerndes Bauholz gestohlen haben.



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es die volkreichste Stadt des damaligen mittleren Deutschland gewesen wäre.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/332>, abgerufen am 28.07.2024.