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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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unfähig, einen selbst begangenen Fehler auf Andere zu wälzen, und immer bereit,
fremdes Verdienst anzuerkennen, obgleich es ihm schwer wurde, vorgefaßte Mei¬
nungen aufzugeben, eine Schwierigkeit, mit welcher die starken charaktervoller
Menschen zu aller Zeit zu kämpfen gehabt haben."

Es ist hier nicht der Ort, den einzelnen Acten des nun beginnenden
Krieges zu folgen und alle einzelnen Handlungen zu bezeichnen, mit welchen
Gneisenau in den Gang desselben eingriff, wir müssen uns begnügen, das für
Gneisenau Bedeutende und Charakteristische anzuführen.

Die Corps rückten langsam der Saale zu, der erste bedeutende Act war
das Einrücken in das Königreich Sachsen. Da die deshalb erwarteten Befehle
ausgeblieben waren, entwarf Gneisenau eine Proclamation, welche den frühern
preußischen Kreis Cottbus ohne weiteres in Besitz nahm und den Sachsen die
Theilnahme am Kriege auferlegte. Der Schlußsatz hieß:

"Den Freund deutscher Unabhängigkeit werden wir als unsern Bruder be¬
trachten, den irregeleiteten Schwachsinnigen mit Milde auf die richtige Bahn
leiten; den ehrlosen verworfnen Handlanger fremder Tyrannei aber als einen
Verräther am gemeinsamen Vaterlande unerbittlich verfolgen." -- Diese ent¬
schiedene Sprache wurde aber vom Könige von Preußen nicht gutgeheißen, da
dir König von Sachsen sich noch nicht erklärt hatte. Man ließ diesem volle
Freiheit der Entscheidung und gab ihn und die Kräfte des Landes Napoleon
in die Hand, der gar nicht daran dachte, ihm freie Hand zu lassen, sondern ihn
mit allen Mitteln zum Bündniß zwang. -- Selbst Hardenberg und Scharnhorst
sprachen sich tadelnd gegen Gneisenau über jene Proclamation aus, deren
Nichterfüllung, wie freilich erst die nächste Zukunft bewies, die Zahl der Gegner
vermehrte und die der Mitstreiter verminderte.

Die Heere rückten nun mit einem längern Aufenthalt an der Elbe von
Nord und Süd in die Gegend von Leipzig vor, um Napoleon, dem die rus¬
sischen Heerführer sehr gegen den Willen der preußischen Leiter volle Zeit ge¬
geben hatten, nicht nur sich zu rüsten, sondern auch aus dem übrigen Deutsch¬
land möglichst viel Streitkräfte zu ziehen, entgegenzutreten, ehe er sich mit dem
Heere des Vicekönigs Eugen, das bei Magdeburg stand, vereinigt hatte. Na¬
poleon rückte von Mainz her durch Thüringen nach Leipzig, die Alliirten be¬
schlossen ihn von der Elster her im Marsche in der Gegend von Lützen zur
Schlacht zu zwingen. Es gelang, das Corps des Marschall Ney am 2. Mai
überraschend und mit Uebermacht anzugreifen, aber Wittgenstein, der General
M elrek versäumte es, alle Kräfte zur Schlacht zu vereinen und die zur Stelle
befindlichen Truppen zu einem bestimmten Ziel zu verwenden. Einzelne und
vereinzelte Angriffe wurden mit großer Bravour und mit Erfolg unternommen,
aber Napoleon gewann die Zeit, neue Truppen herbeizuführen und endlich mit
großer Ueberzahl die Alliirten zurückzuweisen. Gneisenau war an diesem Tage


unfähig, einen selbst begangenen Fehler auf Andere zu wälzen, und immer bereit,
fremdes Verdienst anzuerkennen, obgleich es ihm schwer wurde, vorgefaßte Mei¬
nungen aufzugeben, eine Schwierigkeit, mit welcher die starken charaktervoller
Menschen zu aller Zeit zu kämpfen gehabt haben."

Es ist hier nicht der Ort, den einzelnen Acten des nun beginnenden
Krieges zu folgen und alle einzelnen Handlungen zu bezeichnen, mit welchen
Gneisenau in den Gang desselben eingriff, wir müssen uns begnügen, das für
Gneisenau Bedeutende und Charakteristische anzuführen.

Die Corps rückten langsam der Saale zu, der erste bedeutende Act war
das Einrücken in das Königreich Sachsen. Da die deshalb erwarteten Befehle
ausgeblieben waren, entwarf Gneisenau eine Proclamation, welche den frühern
preußischen Kreis Cottbus ohne weiteres in Besitz nahm und den Sachsen die
Theilnahme am Kriege auferlegte. Der Schlußsatz hieß:

„Den Freund deutscher Unabhängigkeit werden wir als unsern Bruder be¬
trachten, den irregeleiteten Schwachsinnigen mit Milde auf die richtige Bahn
leiten; den ehrlosen verworfnen Handlanger fremder Tyrannei aber als einen
Verräther am gemeinsamen Vaterlande unerbittlich verfolgen." — Diese ent¬
schiedene Sprache wurde aber vom Könige von Preußen nicht gutgeheißen, da
dir König von Sachsen sich noch nicht erklärt hatte. Man ließ diesem volle
Freiheit der Entscheidung und gab ihn und die Kräfte des Landes Napoleon
in die Hand, der gar nicht daran dachte, ihm freie Hand zu lassen, sondern ihn
mit allen Mitteln zum Bündniß zwang. — Selbst Hardenberg und Scharnhorst
sprachen sich tadelnd gegen Gneisenau über jene Proclamation aus, deren
Nichterfüllung, wie freilich erst die nächste Zukunft bewies, die Zahl der Gegner
vermehrte und die der Mitstreiter verminderte.

Die Heere rückten nun mit einem längern Aufenthalt an der Elbe von
Nord und Süd in die Gegend von Leipzig vor, um Napoleon, dem die rus¬
sischen Heerführer sehr gegen den Willen der preußischen Leiter volle Zeit ge¬
geben hatten, nicht nur sich zu rüsten, sondern auch aus dem übrigen Deutsch¬
land möglichst viel Streitkräfte zu ziehen, entgegenzutreten, ehe er sich mit dem
Heere des Vicekönigs Eugen, das bei Magdeburg stand, vereinigt hatte. Na¬
poleon rückte von Mainz her durch Thüringen nach Leipzig, die Alliirten be¬
schlossen ihn von der Elster her im Marsche in der Gegend von Lützen zur
Schlacht zu zwingen. Es gelang, das Corps des Marschall Ney am 2. Mai
überraschend und mit Uebermacht anzugreifen, aber Wittgenstein, der General
M elrek versäumte es, alle Kräfte zur Schlacht zu vereinen und die zur Stelle
befindlichen Truppen zu einem bestimmten Ziel zu verwenden. Einzelne und
vereinzelte Angriffe wurden mit großer Bravour und mit Erfolg unternommen,
aber Napoleon gewann die Zeit, neue Truppen herbeizuführen und endlich mit
großer Ueberzahl die Alliirten zurückzuweisen. Gneisenau war an diesem Tage


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/296>, abgerufen am 01.09.2024.