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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Die etwas phantastische Gedankenrichtung Gneisenaus wurde durch die realistische
Natur Blüchers gezügelt, das stets unbefangene, nur dem Moment angehörende
Leben Blüchers aber durch Gneisenau zu einerplanmäßigen, die Weltgeschichte regeln¬
den Handlung gemacht. Bei der Aufgabe, als Chef des Generalstabs die großen
Pläne auch im Detail zur Ausführung zu bringen, an das Große den Ma߬
stab des Alltäglichen zu legen, fand Gneisenau eine sehr wesentliche Ergänzung
an dem ihm zunächst stehenden Generalstabsoffizier, dem damaligen Oberst
v. Müffling, einem Manne, der sich mit großem Fleiß dem Detail ergab und da¬
durch für alle etwas zu allgemeinen Gedanken wesentlich niederschlagend wirkte.
Müffling hat hierdurch mannigfach einen sehr vortheilhaften Einfluß ausgeübt,
aber es ist spaßhaft, in dem von Müffling hinterlassenen Buche "Aus meinem
Leben" zu sehen, welche Bedeutung Müffling seiner medicinischen Wirkung in dem
damaligen Organismus des Hauptquartiers zuschreibt. -- Was er in diesem
Buche über Gneisenau sagt, wollen wir hier mittheilen:

"Gneisenau, dem die charaktervolle Vertheidigung von Kolberg mit Recht einen
schönen Namen erworben hatte, war ein würdiger Vertreter des ausgezeichneten
Scharnhorst, der ihn besonders hoch schätzte, obgleich sie zwei in sich ganz verschiedene
Naturen waren. Beide hielten immer fest an ihrem Zweck, aber in den Mitteln,
um ihn durchzuführen, waren sie verschieden. Scharnhorst prüfte bedächtig
Schritt für Schritt, untersuchte alle Details und wollte dem Zufall nur so viel
überlassen, als er ihm nicht entziehen konnte. Gneisenau ging leicht darüber
hin, im Vertrauen auf seine Geistesgegenwart, auf sein Genie. Das im Voraus
Abwägen aller Fälle, wovon (wie erbemerkte) doch immer nur ein einziger, und
Zwar nie vollständig, so wie er ersonnen worden war, eintreten konnte, machte
ihm Langeweile; bewußt, er werde sich zu helfen wissen, wenn der Augenblick
dazu eintrete, setzte er dieselbe Gabe bei allen andern voraus, und überflog
mit seinem lebhaften Geist um so williger Raum und Zeit, als er für alles,
Was gewagt, oder auf Muth gegründet war, eine besondere Neigung hatte. --
Es war ihm nicht fremd, daß der Muth keine Alltagsgabe ist. allein er wähnte,
daß der Muth eine Eigenschaft sei, welche gegeben werden könne, und daß der
Muthige -- Muthige zu erschaffen vermöge." -- "Aber es giebt nichts Gefähr¬
licheres für einen Feldherrn, als der Glaube, daß er seine eigene Kraft auf
Andere übertragen könne und daß diese dann mit seinem Muth, mit seiner
Ausdauer lösen würden, was er ihnen auftrage."

"Gneisenau war dadurch in den Fehler verfallen, jederzeit die eignen
Kräfte zu hoch und die seines Gegners zu gering anzuschlagen. Alles Wagen
hatte einen zu großen Reiz für ihn, der selbst dann nicht geschwächt wurde,
Wenn das Wagen überflüssig war. Wo sich der Zweck auf zwei verschiedenen
Wegen erreichen ließ, neigte er sich jederzeit zu dem gewagtesten. In allen
Beziehungen ein ritterlicher Mann, ein edler Mensch, höchst gerecht,^ war er


Grenzboten II. 18K6. 33

Die etwas phantastische Gedankenrichtung Gneisenaus wurde durch die realistische
Natur Blüchers gezügelt, das stets unbefangene, nur dem Moment angehörende
Leben Blüchers aber durch Gneisenau zu einerplanmäßigen, die Weltgeschichte regeln¬
den Handlung gemacht. Bei der Aufgabe, als Chef des Generalstabs die großen
Pläne auch im Detail zur Ausführung zu bringen, an das Große den Ma߬
stab des Alltäglichen zu legen, fand Gneisenau eine sehr wesentliche Ergänzung
an dem ihm zunächst stehenden Generalstabsoffizier, dem damaligen Oberst
v. Müffling, einem Manne, der sich mit großem Fleiß dem Detail ergab und da¬
durch für alle etwas zu allgemeinen Gedanken wesentlich niederschlagend wirkte.
Müffling hat hierdurch mannigfach einen sehr vortheilhaften Einfluß ausgeübt,
aber es ist spaßhaft, in dem von Müffling hinterlassenen Buche „Aus meinem
Leben" zu sehen, welche Bedeutung Müffling seiner medicinischen Wirkung in dem
damaligen Organismus des Hauptquartiers zuschreibt. — Was er in diesem
Buche über Gneisenau sagt, wollen wir hier mittheilen:

„Gneisenau, dem die charaktervolle Vertheidigung von Kolberg mit Recht einen
schönen Namen erworben hatte, war ein würdiger Vertreter des ausgezeichneten
Scharnhorst, der ihn besonders hoch schätzte, obgleich sie zwei in sich ganz verschiedene
Naturen waren. Beide hielten immer fest an ihrem Zweck, aber in den Mitteln,
um ihn durchzuführen, waren sie verschieden. Scharnhorst prüfte bedächtig
Schritt für Schritt, untersuchte alle Details und wollte dem Zufall nur so viel
überlassen, als er ihm nicht entziehen konnte. Gneisenau ging leicht darüber
hin, im Vertrauen auf seine Geistesgegenwart, auf sein Genie. Das im Voraus
Abwägen aller Fälle, wovon (wie erbemerkte) doch immer nur ein einziger, und
Zwar nie vollständig, so wie er ersonnen worden war, eintreten konnte, machte
ihm Langeweile; bewußt, er werde sich zu helfen wissen, wenn der Augenblick
dazu eintrete, setzte er dieselbe Gabe bei allen andern voraus, und überflog
mit seinem lebhaften Geist um so williger Raum und Zeit, als er für alles,
Was gewagt, oder auf Muth gegründet war, eine besondere Neigung hatte. —
Es war ihm nicht fremd, daß der Muth keine Alltagsgabe ist. allein er wähnte,
daß der Muth eine Eigenschaft sei, welche gegeben werden könne, und daß der
Muthige — Muthige zu erschaffen vermöge." — „Aber es giebt nichts Gefähr¬
licheres für einen Feldherrn, als der Glaube, daß er seine eigene Kraft auf
Andere übertragen könne und daß diese dann mit seinem Muth, mit seiner
Ausdauer lösen würden, was er ihnen auftrage."

„Gneisenau war dadurch in den Fehler verfallen, jederzeit die eignen
Kräfte zu hoch und die seines Gegners zu gering anzuschlagen. Alles Wagen
hatte einen zu großen Reiz für ihn, der selbst dann nicht geschwächt wurde,
Wenn das Wagen überflüssig war. Wo sich der Zweck auf zwei verschiedenen
Wegen erreichen ließ, neigte er sich jederzeit zu dem gewagtesten. In allen
Beziehungen ein ritterlicher Mann, ein edler Mensch, höchst gerecht,^ war er


Grenzboten II. 18K6. 33
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[0295] Die etwas phantastische Gedankenrichtung Gneisenaus wurde durch die realistische Natur Blüchers gezügelt, das stets unbefangene, nur dem Moment angehörende Leben Blüchers aber durch Gneisenau zu einerplanmäßigen, die Weltgeschichte regeln¬ den Handlung gemacht. Bei der Aufgabe, als Chef des Generalstabs die großen Pläne auch im Detail zur Ausführung zu bringen, an das Große den Ma߬ stab des Alltäglichen zu legen, fand Gneisenau eine sehr wesentliche Ergänzung an dem ihm zunächst stehenden Generalstabsoffizier, dem damaligen Oberst v. Müffling, einem Manne, der sich mit großem Fleiß dem Detail ergab und da¬ durch für alle etwas zu allgemeinen Gedanken wesentlich niederschlagend wirkte. Müffling hat hierdurch mannigfach einen sehr vortheilhaften Einfluß ausgeübt, aber es ist spaßhaft, in dem von Müffling hinterlassenen Buche „Aus meinem Leben" zu sehen, welche Bedeutung Müffling seiner medicinischen Wirkung in dem damaligen Organismus des Hauptquartiers zuschreibt. — Was er in diesem Buche über Gneisenau sagt, wollen wir hier mittheilen: „Gneisenau, dem die charaktervolle Vertheidigung von Kolberg mit Recht einen schönen Namen erworben hatte, war ein würdiger Vertreter des ausgezeichneten Scharnhorst, der ihn besonders hoch schätzte, obgleich sie zwei in sich ganz verschiedene Naturen waren. Beide hielten immer fest an ihrem Zweck, aber in den Mitteln, um ihn durchzuführen, waren sie verschieden. Scharnhorst prüfte bedächtig Schritt für Schritt, untersuchte alle Details und wollte dem Zufall nur so viel überlassen, als er ihm nicht entziehen konnte. Gneisenau ging leicht darüber hin, im Vertrauen auf seine Geistesgegenwart, auf sein Genie. Das im Voraus Abwägen aller Fälle, wovon (wie erbemerkte) doch immer nur ein einziger, und Zwar nie vollständig, so wie er ersonnen worden war, eintreten konnte, machte ihm Langeweile; bewußt, er werde sich zu helfen wissen, wenn der Augenblick dazu eintrete, setzte er dieselbe Gabe bei allen andern voraus, und überflog mit seinem lebhaften Geist um so williger Raum und Zeit, als er für alles, Was gewagt, oder auf Muth gegründet war, eine besondere Neigung hatte. — Es war ihm nicht fremd, daß der Muth keine Alltagsgabe ist. allein er wähnte, daß der Muth eine Eigenschaft sei, welche gegeben werden könne, und daß der Muthige — Muthige zu erschaffen vermöge." — „Aber es giebt nichts Gefähr¬ licheres für einen Feldherrn, als der Glaube, daß er seine eigene Kraft auf Andere übertragen könne und daß diese dann mit seinem Muth, mit seiner Ausdauer lösen würden, was er ihnen auftrage." „Gneisenau war dadurch in den Fehler verfallen, jederzeit die eignen Kräfte zu hoch und die seines Gegners zu gering anzuschlagen. Alles Wagen hatte einen zu großen Reiz für ihn, der selbst dann nicht geschwächt wurde, Wenn das Wagen überflüssig war. Wo sich der Zweck auf zwei verschiedenen Wegen erreichen ließ, neigte er sich jederzeit zu dem gewagtesten. In allen Beziehungen ein ritterlicher Mann, ein edler Mensch, höchst gerecht,^ war er Grenzboten II. 18K6. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/295>, abgerufen am 01.09.2024.