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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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mit der preußischen Reservecavallerie zum Cavalleriecorps des russischen Gene¬
rals von Wintzingerode commentirt, der sich an der Schlacht nur wenig bethei¬
ligte. Die Schlacht war zwar nicht verloren, aber auch nicht gewonnen, und
Wittgenstein beschloß den Rückzug, der ohne Verfolgung am 3. Mai angetreten
wurde. Man machte einen Aufenthalt an der Elbe, wies den Gegner in ein¬
zelnen Arrieregardengefechten kräftig zurück, blieb jedoch im Rückzüge. Wie
wenig Gneisenau deshalb aber den Glauben an den endlichen Erfolg verlor,
wie er immer nur zu neuen Thaten und steter Ausdauer drängte, mögen uns
seine Briefe an Hardenberg beweisen, die er fortan-regelmäßig an diesen rich¬
tete, und die immer in gleichem Tone lauteten, wie der folgende: Am 11. Mai
schreibt er: "Das Glück ist uns nicht hold, vermuthlich weil wir in der Ein¬
leitung gefehlt haben. Wir dürfen uns indeß nicht niederschlagen lassen, son¬
dern der steigenden Gefahr müssen wir verdoppelte Anstrengung entgegensetzen.
Geben daher Ew. Excellenz nicht zu, daß man den Muth sinken lasse oder wohl
gar verzweifle. Wir kommen ganz gewiß glücklich durch diesen Kampf, wofern
wir ihn nur mit Ernst und Würde bestehen wollen. -- Das größte Uebel,
worunter wir leiden, ist die Befehlsführung der Armee, Graf Wittgenstein ist
selbiger nicht gewachsen. Gehen wir noch weiter zurück, so muß es nur mit
Verstand und Ruhe geschehen. Die Russen mögen entweder nach Polen zurück
oder nach Kösel gehen. Sogleich als dies geschehen, kommt der Krieg ins
Gleichgewicht." "Wir ziehen unsre Truppen und Landwehren in die befestig-
ten Lager bei Neisse, Glatz und Silberberg." "Napoleon kann nur mit einem
Theil seiner Armee den Russen folgen, während er den andern den schlesischen
Festungen gegenüber lassen muß. Der zurückgelassene Theil wird immer schwä¬
cher als unsere Lagerbesatzungen sein. Diese können daher das Entbehrliche
ihrer Mannschaft vereinigen und damit offensive Operationen unternehmen."
"Im Norden verfahre man ebenso. Ich rechne weder auf Schweden noch aus
Oestreich, nehme also die allerschlimmsten Voraussetzungen an. Und dennoch
läßt sich auch aus dieser ungünstigsten aller Voraussetzungen ein endlicher guter
Erfolg herausconstruiren, sofern man nur standhaft ist. Also nur Muth. So
wie ich Ew. Excellenz kenne, werden Sie ihn nicht verlieren, aber ich wollte
Ihnen nur ein paar Worte sagen, um ihn bei denen, die dessen ermangeln, zu
Motiviren."

Sowie Gneisenau hier schreibt, so dachten damals alle patriotisch fühlenden
Männer. Man suchte den Kampf trotz der Uebermacht Napoleons. Man war
sich bewußt, daß im Kampf trotz der Niederlage die eigenen Kräfte stiegen, die
feindlichen fielen. Diesem Drange nachgebend entschloß sich Wittgenstein, am
21. Mai bei Bautzen an der Spree von neuem die Schlacht zu wagen. Na¬
poleon griff an diesem Tage nur mit der Avantgarde an, am 22. aber mit
vereinten Kräften von 170.000 Mann gegen 85,000 der Alliirten. Die Ueber-


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mit der preußischen Reservecavallerie zum Cavalleriecorps des russischen Gene¬
rals von Wintzingerode commentirt, der sich an der Schlacht nur wenig bethei¬
ligte. Die Schlacht war zwar nicht verloren, aber auch nicht gewonnen, und
Wittgenstein beschloß den Rückzug, der ohne Verfolgung am 3. Mai angetreten
wurde. Man machte einen Aufenthalt an der Elbe, wies den Gegner in ein¬
zelnen Arrieregardengefechten kräftig zurück, blieb jedoch im Rückzüge. Wie
wenig Gneisenau deshalb aber den Glauben an den endlichen Erfolg verlor,
wie er immer nur zu neuen Thaten und steter Ausdauer drängte, mögen uns
seine Briefe an Hardenberg beweisen, die er fortan-regelmäßig an diesen rich¬
tete, und die immer in gleichem Tone lauteten, wie der folgende: Am 11. Mai
schreibt er: „Das Glück ist uns nicht hold, vermuthlich weil wir in der Ein¬
leitung gefehlt haben. Wir dürfen uns indeß nicht niederschlagen lassen, son¬
dern der steigenden Gefahr müssen wir verdoppelte Anstrengung entgegensetzen.
Geben daher Ew. Excellenz nicht zu, daß man den Muth sinken lasse oder wohl
gar verzweifle. Wir kommen ganz gewiß glücklich durch diesen Kampf, wofern
wir ihn nur mit Ernst und Würde bestehen wollen. — Das größte Uebel,
worunter wir leiden, ist die Befehlsführung der Armee, Graf Wittgenstein ist
selbiger nicht gewachsen. Gehen wir noch weiter zurück, so muß es nur mit
Verstand und Ruhe geschehen. Die Russen mögen entweder nach Polen zurück
oder nach Kösel gehen. Sogleich als dies geschehen, kommt der Krieg ins
Gleichgewicht." „Wir ziehen unsre Truppen und Landwehren in die befestig-
ten Lager bei Neisse, Glatz und Silberberg." „Napoleon kann nur mit einem
Theil seiner Armee den Russen folgen, während er den andern den schlesischen
Festungen gegenüber lassen muß. Der zurückgelassene Theil wird immer schwä¬
cher als unsere Lagerbesatzungen sein. Diese können daher das Entbehrliche
ihrer Mannschaft vereinigen und damit offensive Operationen unternehmen."
„Im Norden verfahre man ebenso. Ich rechne weder auf Schweden noch aus
Oestreich, nehme also die allerschlimmsten Voraussetzungen an. Und dennoch
läßt sich auch aus dieser ungünstigsten aller Voraussetzungen ein endlicher guter
Erfolg herausconstruiren, sofern man nur standhaft ist. Also nur Muth. So
wie ich Ew. Excellenz kenne, werden Sie ihn nicht verlieren, aber ich wollte
Ihnen nur ein paar Worte sagen, um ihn bei denen, die dessen ermangeln, zu
Motiviren."

Sowie Gneisenau hier schreibt, so dachten damals alle patriotisch fühlenden
Männer. Man suchte den Kampf trotz der Uebermacht Napoleons. Man war
sich bewußt, daß im Kampf trotz der Niederlage die eigenen Kräfte stiegen, die
feindlichen fielen. Diesem Drange nachgebend entschloß sich Wittgenstein, am
21. Mai bei Bautzen an der Spree von neuem die Schlacht zu wagen. Na¬
poleon griff an diesem Tage nur mit der Avantgarde an, am 22. aber mit
vereinten Kräften von 170.000 Mann gegen 85,000 der Alliirten. Die Ueber-


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[0297] mit der preußischen Reservecavallerie zum Cavalleriecorps des russischen Gene¬ rals von Wintzingerode commentirt, der sich an der Schlacht nur wenig bethei¬ ligte. Die Schlacht war zwar nicht verloren, aber auch nicht gewonnen, und Wittgenstein beschloß den Rückzug, der ohne Verfolgung am 3. Mai angetreten wurde. Man machte einen Aufenthalt an der Elbe, wies den Gegner in ein¬ zelnen Arrieregardengefechten kräftig zurück, blieb jedoch im Rückzüge. Wie wenig Gneisenau deshalb aber den Glauben an den endlichen Erfolg verlor, wie er immer nur zu neuen Thaten und steter Ausdauer drängte, mögen uns seine Briefe an Hardenberg beweisen, die er fortan-regelmäßig an diesen rich¬ tete, und die immer in gleichem Tone lauteten, wie der folgende: Am 11. Mai schreibt er: „Das Glück ist uns nicht hold, vermuthlich weil wir in der Ein¬ leitung gefehlt haben. Wir dürfen uns indeß nicht niederschlagen lassen, son¬ dern der steigenden Gefahr müssen wir verdoppelte Anstrengung entgegensetzen. Geben daher Ew. Excellenz nicht zu, daß man den Muth sinken lasse oder wohl gar verzweifle. Wir kommen ganz gewiß glücklich durch diesen Kampf, wofern wir ihn nur mit Ernst und Würde bestehen wollen. — Das größte Uebel, worunter wir leiden, ist die Befehlsführung der Armee, Graf Wittgenstein ist selbiger nicht gewachsen. Gehen wir noch weiter zurück, so muß es nur mit Verstand und Ruhe geschehen. Die Russen mögen entweder nach Polen zurück oder nach Kösel gehen. Sogleich als dies geschehen, kommt der Krieg ins Gleichgewicht." „Wir ziehen unsre Truppen und Landwehren in die befestig- ten Lager bei Neisse, Glatz und Silberberg." „Napoleon kann nur mit einem Theil seiner Armee den Russen folgen, während er den andern den schlesischen Festungen gegenüber lassen muß. Der zurückgelassene Theil wird immer schwä¬ cher als unsere Lagerbesatzungen sein. Diese können daher das Entbehrliche ihrer Mannschaft vereinigen und damit offensive Operationen unternehmen." „Im Norden verfahre man ebenso. Ich rechne weder auf Schweden noch aus Oestreich, nehme also die allerschlimmsten Voraussetzungen an. Und dennoch läßt sich auch aus dieser ungünstigsten aller Voraussetzungen ein endlicher guter Erfolg herausconstruiren, sofern man nur standhaft ist. Also nur Muth. So wie ich Ew. Excellenz kenne, werden Sie ihn nicht verlieren, aber ich wollte Ihnen nur ein paar Worte sagen, um ihn bei denen, die dessen ermangeln, zu Motiviren." Sowie Gneisenau hier schreibt, so dachten damals alle patriotisch fühlenden Männer. Man suchte den Kampf trotz der Uebermacht Napoleons. Man war sich bewußt, daß im Kampf trotz der Niederlage die eigenen Kräfte stiegen, die feindlichen fielen. Diesem Drange nachgebend entschloß sich Wittgenstein, am 21. Mai bei Bautzen an der Spree von neuem die Schlacht zu wagen. Na¬ poleon griff an diesem Tage nur mit der Avantgarde an, am 22. aber mit vereinten Kräften von 170.000 Mann gegen 85,000 der Alliirten. Die Ueber- 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/297>, abgerufen am 01.09.2024.