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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Somit bleiben als selbständige Parteien nur die Orleanisten und die
Republikaner, die noch immer den Gegensatz des Bürgerthums und des Volkes
repräsentiren. Von diesen beiden Parteien haben die Republikaner den unerme߬
lichen Vortheil voraus, daß durch das Kaiserthum das demokratische Princip
zur unbedingten und unanfechtbaren Herrschaft gelangt ist. Was man auch
gegen das allgemeine Stimmrecht einwenden mag. mehr wie eine Farce ist es
doch; es ist allerdings keine Bürgschaft für den Bestand der politischen Freiheit,
wohl aber ist es das Symbol der Demokratie und die feierliche Sanction des
demokratischen Princips, zu dem sich das Kaiserthum nicht minder bekennt wie
die Republikaner. Bei dem Uebergang des Kaisertums in die Republik würde
es sich also eigentlich nur um eine Veränderung in der Form der höchsten Ge¬
walt handeln; die neue Staatsgewalt würde aber im Wesentlichen dasselbe Ziel
verfolgen wie das Kaiserthum: Beherrschung Frankreichs durch Beherrschung und
vorkommenden Falls durch Unterdrückung der öffentlichen Meinung. Denn mag
auch die republikanisch-demokratische Partei jetzt, wo sie gegen die Gewalt an¬
kämpft, sich energisth zu den liberalen Principien bekennen: die in einer
centralisirten Republik organisirte Demokratie kann ebenso wenig wie das demo¬
kratische Kaiserthum consequent liberal sein. Nur in den Mitteln zum Ziele
würde ein Unterschied stattfinden; während der Kaiser sich begnügt die Haupt¬
stadt möglichst in guter Laune zu erhalten, xanem et eiroMSW zu bieten, seine
materielle Stütze dagegen in der Ergebenheit der Armee und der politisch in¬
differenten Landbevölkerung sucht, würde die Republik sich vorzugsweise auf die
thätige Sympathie der pariser Bevölkerung zu stützen haben, und es würden
demgemäß die Interessen und Launen der Pariser den entscheidenden Einfluß
in der Leitung des Staats ausüben, -- bis das Unerträgliche dieses Einflusses
einer neuen Reaction den Weg bahnen würde.

Anders stehen die Orleanisten da. Diese vereinigen zunächst, was sehr
hoch anzuschlagen ist, in sich die Mehrzahl der unabhängigen Charaktere und
der politischen Kapacitäten Frankreichs. Fast alle Namen, auf die Frankreich
stolz ist, die Mehrzahl der Männer, die in irgendeinem Zweige der geistigen
Thätigkeit sich ausgezeichnet haben, bekennen sich im Herzen zu der constitutionellen
Monarchie, das heißt, sie sind orleanistisch, wenn man auch keineswegs von allen
unter ihnen wird behaupten können, daß die Wiederherstellung der entthronten
Dynastie das Ziel ihres Strebens sei. Jedenfalls aber gehören die alten
Orleanisten, und dies giebt ihnen ihre große Bedeutung, alle der constitutionellen
Schule an, als deren bedeutendste Vertreter in Frankreich sie gelten können.
Während der Kampf der Republikaner gegen das Kaiserthum einfach ein Kampf
um die Herrschaft ist, besteht also zwischen Orleanismus und Kaiserthum ein
principieller Gegensatz der allertiefsten Bedeutung; von der republikanischen
Partei mag der Kaiser einen Handstreich zu fürchten Ursache haben, der Or-


Somit bleiben als selbständige Parteien nur die Orleanisten und die
Republikaner, die noch immer den Gegensatz des Bürgerthums und des Volkes
repräsentiren. Von diesen beiden Parteien haben die Republikaner den unerme߬
lichen Vortheil voraus, daß durch das Kaiserthum das demokratische Princip
zur unbedingten und unanfechtbaren Herrschaft gelangt ist. Was man auch
gegen das allgemeine Stimmrecht einwenden mag. mehr wie eine Farce ist es
doch; es ist allerdings keine Bürgschaft für den Bestand der politischen Freiheit,
wohl aber ist es das Symbol der Demokratie und die feierliche Sanction des
demokratischen Princips, zu dem sich das Kaiserthum nicht minder bekennt wie
die Republikaner. Bei dem Uebergang des Kaisertums in die Republik würde
es sich also eigentlich nur um eine Veränderung in der Form der höchsten Ge¬
walt handeln; die neue Staatsgewalt würde aber im Wesentlichen dasselbe Ziel
verfolgen wie das Kaiserthum: Beherrschung Frankreichs durch Beherrschung und
vorkommenden Falls durch Unterdrückung der öffentlichen Meinung. Denn mag
auch die republikanisch-demokratische Partei jetzt, wo sie gegen die Gewalt an¬
kämpft, sich energisth zu den liberalen Principien bekennen: die in einer
centralisirten Republik organisirte Demokratie kann ebenso wenig wie das demo¬
kratische Kaiserthum consequent liberal sein. Nur in den Mitteln zum Ziele
würde ein Unterschied stattfinden; während der Kaiser sich begnügt die Haupt¬
stadt möglichst in guter Laune zu erhalten, xanem et eiroMSW zu bieten, seine
materielle Stütze dagegen in der Ergebenheit der Armee und der politisch in¬
differenten Landbevölkerung sucht, würde die Republik sich vorzugsweise auf die
thätige Sympathie der pariser Bevölkerung zu stützen haben, und es würden
demgemäß die Interessen und Launen der Pariser den entscheidenden Einfluß
in der Leitung des Staats ausüben, — bis das Unerträgliche dieses Einflusses
einer neuen Reaction den Weg bahnen würde.

Anders stehen die Orleanisten da. Diese vereinigen zunächst, was sehr
hoch anzuschlagen ist, in sich die Mehrzahl der unabhängigen Charaktere und
der politischen Kapacitäten Frankreichs. Fast alle Namen, auf die Frankreich
stolz ist, die Mehrzahl der Männer, die in irgendeinem Zweige der geistigen
Thätigkeit sich ausgezeichnet haben, bekennen sich im Herzen zu der constitutionellen
Monarchie, das heißt, sie sind orleanistisch, wenn man auch keineswegs von allen
unter ihnen wird behaupten können, daß die Wiederherstellung der entthronten
Dynastie das Ziel ihres Strebens sei. Jedenfalls aber gehören die alten
Orleanisten, und dies giebt ihnen ihre große Bedeutung, alle der constitutionellen
Schule an, als deren bedeutendste Vertreter in Frankreich sie gelten können.
Während der Kampf der Republikaner gegen das Kaiserthum einfach ein Kampf
um die Herrschaft ist, besteht also zwischen Orleanismus und Kaiserthum ein
principieller Gegensatz der allertiefsten Bedeutung; von der republikanischen
Partei mag der Kaiser einen Handstreich zu fürchten Ursache haben, der Or-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/268>, abgerufen am 28.07.2024.