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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Muße aus dieser Zeit, ein Gedicht über Held, den Verfasser des schwarzen
Buches (der vielbesprochenen Anklageschrift hoher Beamter wegen Unterschieds)
zeigte deutlich, wie unbefangen Gneisenau die allgemeinen Verhältnisse beurtheilt.
Es beginnt:

und schließt ironisch mit der nicht neuen, aber angezweifelten Wahrheit:

Die großen Ereignisse der ersten Jahre unsers Jahrhunderts ließen ihn,
einige kleine Märsche abgerechnet, ruhig in Schlesien, und diese Ruhe, verbunden
mit dem Streben etwas zu leisten und zu werden, verleiteten ihn im Jahre
1803 das Gut Mittel-Kauffung in der Nähe seiner Garnison Jauer zu kaufen.
Dieser Kauf war von Bedeutung für sein ganzes Leben, da er den Krieger
einerseits an die großen Interessen der Landwirtschaft und Industrie knüpfte,
andrerseits bei dem geringen Vermögen der Frau in große finanzielle Kalami¬
täten, zumal in der Nothzeit des Vaterlandes brachte; was seinen Gesichtskreis
erweiterte, hing auch als Bleigewicht an seinem stets weit schweifenden Geist und
führte diesen immer wieder in die gemeine Wirklichkeit zurück. Es ist lehrreich
zu sehen, wie oft Gneisenau Briefe mit den großartigsten Anschauungen durch
Hinweis auf seine Geldklemme schließt und abschwächt.

Das Jahr 1805 führte Gneisenau aus seinem Frieden des Hauses. Er
marschirte zunächst nach Polen, dann nach Thüringen, hier schreibt er den
6. December 1805 an seinen Jugendfreund Siegling nach Erfurt u. a.:

"Ich bin ein ungestümer Mahner, und da erinnere ich mich, daß Du mir ver¬
sprochen hast, uns zur Kenntniß des gvhicrschen Labyrinths zu verhelfen, mir
Gäberles Schrift über Steinkohlenaufsuchung zu verschaffen und mir des seligen
Professor Müller Gedichte zu schicken. Was meinst Du zu den neuesten Er¬
eignissen? Sicher haben die Oestreichs mit Napoleon schon seit einiger Zeit
einen geheimen Vertrag. Aber Bonaparte könnte in Schlesien sein Pultawa
finden."

Er verlangt mitten auf dem Marsch nach der allerverschiedensten Geistes-
"ahrung. aber falsch beurtheilte er die äußern wie die innern Verhältnisse. Zur
Entschuldigung läßt sich darauf verweisen, daß ihm über Oestreich nur Gerüchte
und höchst dürftige Nachrichten zu Gebote standen, und daß er selbst die Armee
von dem Standpunkt der kleinen Garnison und der eignen Leistung überschätzte.

Aus einem spätern Quartier erzählt Pech, wie Gneisenau bei einem
^auer gelegen. Eines Tages in der Frühe gingen alle Erwachsene zu einem


Muße aus dieser Zeit, ein Gedicht über Held, den Verfasser des schwarzen
Buches (der vielbesprochenen Anklageschrift hoher Beamter wegen Unterschieds)
zeigte deutlich, wie unbefangen Gneisenau die allgemeinen Verhältnisse beurtheilt.
Es beginnt:

und schließt ironisch mit der nicht neuen, aber angezweifelten Wahrheit:

Die großen Ereignisse der ersten Jahre unsers Jahrhunderts ließen ihn,
einige kleine Märsche abgerechnet, ruhig in Schlesien, und diese Ruhe, verbunden
mit dem Streben etwas zu leisten und zu werden, verleiteten ihn im Jahre
1803 das Gut Mittel-Kauffung in der Nähe seiner Garnison Jauer zu kaufen.
Dieser Kauf war von Bedeutung für sein ganzes Leben, da er den Krieger
einerseits an die großen Interessen der Landwirtschaft und Industrie knüpfte,
andrerseits bei dem geringen Vermögen der Frau in große finanzielle Kalami¬
täten, zumal in der Nothzeit des Vaterlandes brachte; was seinen Gesichtskreis
erweiterte, hing auch als Bleigewicht an seinem stets weit schweifenden Geist und
führte diesen immer wieder in die gemeine Wirklichkeit zurück. Es ist lehrreich
zu sehen, wie oft Gneisenau Briefe mit den großartigsten Anschauungen durch
Hinweis auf seine Geldklemme schließt und abschwächt.

Das Jahr 1805 führte Gneisenau aus seinem Frieden des Hauses. Er
marschirte zunächst nach Polen, dann nach Thüringen, hier schreibt er den
6. December 1805 an seinen Jugendfreund Siegling nach Erfurt u. a.:

„Ich bin ein ungestümer Mahner, und da erinnere ich mich, daß Du mir ver¬
sprochen hast, uns zur Kenntniß des gvhicrschen Labyrinths zu verhelfen, mir
Gäberles Schrift über Steinkohlenaufsuchung zu verschaffen und mir des seligen
Professor Müller Gedichte zu schicken. Was meinst Du zu den neuesten Er¬
eignissen? Sicher haben die Oestreichs mit Napoleon schon seit einiger Zeit
einen geheimen Vertrag. Aber Bonaparte könnte in Schlesien sein Pultawa
finden."

Er verlangt mitten auf dem Marsch nach der allerverschiedensten Geistes-
"ahrung. aber falsch beurtheilte er die äußern wie die innern Verhältnisse. Zur
Entschuldigung läßt sich darauf verweisen, daß ihm über Oestreich nur Gerüchte
und höchst dürftige Nachrichten zu Gebote standen, und daß er selbst die Armee
von dem Standpunkt der kleinen Garnison und der eignen Leistung überschätzte.

Aus einem spätern Quartier erzählt Pech, wie Gneisenau bei einem
^auer gelegen. Eines Tages in der Frühe gingen alle Erwachsene zu einem


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[0159] Muße aus dieser Zeit, ein Gedicht über Held, den Verfasser des schwarzen Buches (der vielbesprochenen Anklageschrift hoher Beamter wegen Unterschieds) zeigte deutlich, wie unbefangen Gneisenau die allgemeinen Verhältnisse beurtheilt. Es beginnt: und schließt ironisch mit der nicht neuen, aber angezweifelten Wahrheit: Die großen Ereignisse der ersten Jahre unsers Jahrhunderts ließen ihn, einige kleine Märsche abgerechnet, ruhig in Schlesien, und diese Ruhe, verbunden mit dem Streben etwas zu leisten und zu werden, verleiteten ihn im Jahre 1803 das Gut Mittel-Kauffung in der Nähe seiner Garnison Jauer zu kaufen. Dieser Kauf war von Bedeutung für sein ganzes Leben, da er den Krieger einerseits an die großen Interessen der Landwirtschaft und Industrie knüpfte, andrerseits bei dem geringen Vermögen der Frau in große finanzielle Kalami¬ täten, zumal in der Nothzeit des Vaterlandes brachte; was seinen Gesichtskreis erweiterte, hing auch als Bleigewicht an seinem stets weit schweifenden Geist und führte diesen immer wieder in die gemeine Wirklichkeit zurück. Es ist lehrreich zu sehen, wie oft Gneisenau Briefe mit den großartigsten Anschauungen durch Hinweis auf seine Geldklemme schließt und abschwächt. Das Jahr 1805 führte Gneisenau aus seinem Frieden des Hauses. Er marschirte zunächst nach Polen, dann nach Thüringen, hier schreibt er den 6. December 1805 an seinen Jugendfreund Siegling nach Erfurt u. a.: „Ich bin ein ungestümer Mahner, und da erinnere ich mich, daß Du mir ver¬ sprochen hast, uns zur Kenntniß des gvhicrschen Labyrinths zu verhelfen, mir Gäberles Schrift über Steinkohlenaufsuchung zu verschaffen und mir des seligen Professor Müller Gedichte zu schicken. Was meinst Du zu den neuesten Er¬ eignissen? Sicher haben die Oestreichs mit Napoleon schon seit einiger Zeit einen geheimen Vertrag. Aber Bonaparte könnte in Schlesien sein Pultawa finden." Er verlangt mitten auf dem Marsch nach der allerverschiedensten Geistes- "ahrung. aber falsch beurtheilte er die äußern wie die innern Verhältnisse. Zur Entschuldigung läßt sich darauf verweisen, daß ihm über Oestreich nur Gerüchte und höchst dürftige Nachrichten zu Gebote standen, und daß er selbst die Armee von dem Standpunkt der kleinen Garnison und der eignen Leistung überschätzte. Aus einem spätern Quartier erzählt Pech, wie Gneisenau bei einem ^auer gelegen. Eines Tages in der Frühe gingen alle Erwachsene zu einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/159>, abgerufen am 28.07.2024.