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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Zeigt sich bei mehren auch äußerlich durch die. freilich nicht schwierig aufzu
führende und daher den Gedanken nicht eben fesselnde. Künstelei, je den ersten
Buchstaben eines Versgliedcs, eines Verses oder auch mehrer Verse nach der
Ordnung des Alphabets zu wählen.

Die hier gegebnen Andeutungen erschöpfen natürlich durchaus nicht den
reichen Inhalt der Psalmen und der verwandten Lieder. Haben doch einige
von ihnen ganz specielle Situationen im Auge oder sprechen ganz individuelle
Gedanken oder Gefühle aus.

Das aber läßt sich entschieden sagen, daß sich keines mit dem Messias und
den christlichen Mysterien beschäftigt. Dadurch, daß man einzelne Verse ganz
aus ihrem Zusammenhang riß und willkürlich deutete, hat man freilich eine
Menge messianischer Stellen in den Psalter gebracht, aber überall gegen den
klaren Sinn der Lieder. Will man z. B. wirklich die Klagen in den Psalmen
auf Christus beziehen, so muß man ihm auch den daneben geäußerten Rache¬
durst zuschreiben und das Ideal des Neuen Testaments ganz fahren lassen.
Nur selten kommen in den Psalmen messianische Stellen im allerweitesten
Sinne vor, d. h. Aeußerungen der entschiedenen Erwartung einer idealen Zu¬
kunft Israels. Von einem persönlichen Messias, der ja auch bei den Propheten
Verhältnißmäßig selten erwähnt wird, hätten diese meist kurzen, einfachen und
sich auf die Gegenwart beziehenden Lieder tVium Gelegenheit zu reden. Den
leidenden Messias kennt aber das Alle Testament überhaupt nicht; er ist erst
durch das Urchristenthum in dasselbe hineingetragen.

Wie Inhalt und Ton, so ist auch der Werth, namentlich der rein ästhetische,
der Psalmen sehr verschieden. Im Allgemeinen haben sicher die älteren einen
höheren Werth. Sie sind durchgehende schwungvoller, origineller, kräftiger,
als die späteren. Lieder wie der gewaltige Donnerpsalm 29, das herrliche Lob
Gottes aus der Natur in dem Bruchstück Psalm 19, 1--7 (Vers 8-15 haben
einen ganz andern Ursprung), der liebliche Psalm 23 und mehre andre gehören
ZU dem Schönsten, was die Poesie aller Völker geschaffen hat. Aber freilich
sind auch unter den Erzeugnissen der späteren Periode noch manche schöne und
erhabene Lieder. Während die nachexilischen Propheten ihren Vorgängern nicht
entfernt nahe kommen, hält sich die einfache Lyrik noch weit kräftiger. Ich
brauche hier blos aus Lieder wie Psalm 103 und 104 zu verweisen, die. obwohl
sie sich sehr an ältere Vorbilder halten, doch durchaus edel, kräftig und zugleich
^re empfunden sind. Selbst die allerspätesten Psalme haben noch ihre eignen
Reize. Allein im Ganzen zeigen die lyrischen Lieder späterer Zeit doch weit
"eiliger Originalität, Kühnheit und Leben als die ältere"; die Sprache wird
^dehnt und sinkt oft zur Prosa herab. Wie es bei einer Lyrik, die sich nach
und nach nur auf religiöse Gegenstände beschränkt hat, nicht ausbleiben kann,
liegt dem Dichter zuletzt nur daran, seine fromme Gesinnung auszusprechen,


Zeigt sich bei mehren auch äußerlich durch die. freilich nicht schwierig aufzu
führende und daher den Gedanken nicht eben fesselnde. Künstelei, je den ersten
Buchstaben eines Versgliedcs, eines Verses oder auch mehrer Verse nach der
Ordnung des Alphabets zu wählen.

Die hier gegebnen Andeutungen erschöpfen natürlich durchaus nicht den
reichen Inhalt der Psalmen und der verwandten Lieder. Haben doch einige
von ihnen ganz specielle Situationen im Auge oder sprechen ganz individuelle
Gedanken oder Gefühle aus.

Das aber läßt sich entschieden sagen, daß sich keines mit dem Messias und
den christlichen Mysterien beschäftigt. Dadurch, daß man einzelne Verse ganz
aus ihrem Zusammenhang riß und willkürlich deutete, hat man freilich eine
Menge messianischer Stellen in den Psalter gebracht, aber überall gegen den
klaren Sinn der Lieder. Will man z. B. wirklich die Klagen in den Psalmen
auf Christus beziehen, so muß man ihm auch den daneben geäußerten Rache¬
durst zuschreiben und das Ideal des Neuen Testaments ganz fahren lassen.
Nur selten kommen in den Psalmen messianische Stellen im allerweitesten
Sinne vor, d. h. Aeußerungen der entschiedenen Erwartung einer idealen Zu¬
kunft Israels. Von einem persönlichen Messias, der ja auch bei den Propheten
Verhältnißmäßig selten erwähnt wird, hätten diese meist kurzen, einfachen und
sich auf die Gegenwart beziehenden Lieder tVium Gelegenheit zu reden. Den
leidenden Messias kennt aber das Alle Testament überhaupt nicht; er ist erst
durch das Urchristenthum in dasselbe hineingetragen.

Wie Inhalt und Ton, so ist auch der Werth, namentlich der rein ästhetische,
der Psalmen sehr verschieden. Im Allgemeinen haben sicher die älteren einen
höheren Werth. Sie sind durchgehende schwungvoller, origineller, kräftiger,
als die späteren. Lieder wie der gewaltige Donnerpsalm 29, das herrliche Lob
Gottes aus der Natur in dem Bruchstück Psalm 19, 1—7 (Vers 8-15 haben
einen ganz andern Ursprung), der liebliche Psalm 23 und mehre andre gehören
ZU dem Schönsten, was die Poesie aller Völker geschaffen hat. Aber freilich
sind auch unter den Erzeugnissen der späteren Periode noch manche schöne und
erhabene Lieder. Während die nachexilischen Propheten ihren Vorgängern nicht
entfernt nahe kommen, hält sich die einfache Lyrik noch weit kräftiger. Ich
brauche hier blos aus Lieder wie Psalm 103 und 104 zu verweisen, die. obwohl
sie sich sehr an ältere Vorbilder halten, doch durchaus edel, kräftig und zugleich
^re empfunden sind. Selbst die allerspätesten Psalme haben noch ihre eignen
Reize. Allein im Ganzen zeigen die lyrischen Lieder späterer Zeit doch weit
"eiliger Originalität, Kühnheit und Leben als die ältere»; die Sprache wird
^dehnt und sinkt oft zur Prosa herab. Wie es bei einer Lyrik, die sich nach
und nach nur auf religiöse Gegenstände beschränkt hat, nicht ausbleiben kann,
liegt dem Dichter zuletzt nur daran, seine fromme Gesinnung auszusprechen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/151>, abgerufen am 28.07.2024.