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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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das Schulgesetz von 1864; aber auch die verzweifelnde Stimmung derer, welche
durch solche Gesetzgebung ihre Herrschaft gründlich zur Neige gehen sahen: diese
verzweifelnde Stimmung gebar in der letzten Zeit des badischen Kirchenstreits
(n ist noch nicht ganz erledigt) die berühmten Wandercasinos, den Adressen-
sturm gegen das Schulgesetz und die Agitation bei den Wahlen für die Kreis-
versammlungen.

Man muß nur im Einzelnen verfolgen, wie auf dem Wandercasino zu
Mannheim von der anführenden Geistlichkeit alle Schliche und Pfiffe angewandt
wurden, um der weltlichen Obrigkeit ein Schnippchen zu schlagen, und die Ver¬
sammlung trotz des polizeilichen Verbotes zu Stande zu bringen. Während
auf den Ausspruch der Behörde, daß die Volksversammlung in der Kirche als
dem (von der ultramontanen Reaction seiner Zeit eingeführten!) Vereinsgesetz
zuwider nicht stattfinden dürfe, die ursprünglichen Mannheimer Leiter der Ver¬
sammlung sie öffentlich abbestellen, sagt ein namenloses Inserat, sie finde doch
statt; und als auch hierauf die Behörde abnähme, werden die Casinonier doch
vor die Kirche geführt. Die Versammlung fand freilich schließlich nicht statt;
die gesetzliche Obrigkeit und die Masse der Bevölkerung war gegen sie; es kam
sogar zu Thätlichkeiten, tardar mit veranlaßt durch die Casinolcute. Am 20. Juli
1865 standen der Wirth Beg und der Judenbursche Halter von Mannheim dort¬
selbst vor dem Schöffengericht, angeklagt, zwei Geistliche geprügelt zu haben,
das Zeugenverhör aber stellte heraus, daß die beiden Geistlichen die Heraus¬
forderer gewesen waren;, der eine hatte mit dem Stocke unter die Menge ge¬
hauen; der andre aus der verschlossenen Droschke heraus dem Volke "Nasen
gedreht"; die Angeklagten wurden freigesprochen. Bei solchen Vorgängen,
aus denen man sieht, daß jetzt in Baden das Gesetz ohne Rücklicht auf Parteien
zur Geltung gelangt, begreift man, wie ärgerlich die Ultramontanen, die ehe¬
mals im Besitz der Staatsgewalt waren^ jetzt darüber sein mögen, daß die
Staatsgewalt das Gesetz nun auch ihnen gegenüber zur Geltung bringt; man
begreift'ihre Wühlereien unter der Masse, ihre Appellation an die Revolution.
Der Rechtsstaat "proicstantisirt" die katholische Kirche d. h. läßt den Glauben
frei von der Zwingherrschaft der Priester. Es kommt nun noch hinzu, daß die
katholischen Meßkircher (Mcßkirch ein Ort) in einer Adresse an den Erzbischof
die Einrichtung einer Synode verlangt haben. Man denke sich eine nach dem
Muster der evangelischen Kirchenverfassung aus katholischen Priestern und Laien.,
zusammengesetzte Synode wie die protestantische öffentlich lagert! Welche Um¬
wälzung! Es war freilich für die katholische Geistlichkeit schon der Umwälzung genug,
daß sie nach der neuen Gesetzgebung dem weltlichen Gerichte für weltliche Ver¬
gehen Rede stehen sollte: die kirchlichen Diener, zwar ganz vom Staate frei¬
gelassen und lediglich unter die Disciplin der Kirche gestellt, sind doch für ihre
bürgerlichen Handlungen dem Landesgesetz gegenüber verantwortlich; verschiedene


Grenzboten II. 1866. ^

das Schulgesetz von 1864; aber auch die verzweifelnde Stimmung derer, welche
durch solche Gesetzgebung ihre Herrschaft gründlich zur Neige gehen sahen: diese
verzweifelnde Stimmung gebar in der letzten Zeit des badischen Kirchenstreits
(n ist noch nicht ganz erledigt) die berühmten Wandercasinos, den Adressen-
sturm gegen das Schulgesetz und die Agitation bei den Wahlen für die Kreis-
versammlungen.

Man muß nur im Einzelnen verfolgen, wie auf dem Wandercasino zu
Mannheim von der anführenden Geistlichkeit alle Schliche und Pfiffe angewandt
wurden, um der weltlichen Obrigkeit ein Schnippchen zu schlagen, und die Ver¬
sammlung trotz des polizeilichen Verbotes zu Stande zu bringen. Während
auf den Ausspruch der Behörde, daß die Volksversammlung in der Kirche als
dem (von der ultramontanen Reaction seiner Zeit eingeführten!) Vereinsgesetz
zuwider nicht stattfinden dürfe, die ursprünglichen Mannheimer Leiter der Ver¬
sammlung sie öffentlich abbestellen, sagt ein namenloses Inserat, sie finde doch
statt; und als auch hierauf die Behörde abnähme, werden die Casinonier doch
vor die Kirche geführt. Die Versammlung fand freilich schließlich nicht statt;
die gesetzliche Obrigkeit und die Masse der Bevölkerung war gegen sie; es kam
sogar zu Thätlichkeiten, tardar mit veranlaßt durch die Casinolcute. Am 20. Juli
1865 standen der Wirth Beg und der Judenbursche Halter von Mannheim dort¬
selbst vor dem Schöffengericht, angeklagt, zwei Geistliche geprügelt zu haben,
das Zeugenverhör aber stellte heraus, daß die beiden Geistlichen die Heraus¬
forderer gewesen waren;, der eine hatte mit dem Stocke unter die Menge ge¬
hauen; der andre aus der verschlossenen Droschke heraus dem Volke „Nasen
gedreht"; die Angeklagten wurden freigesprochen. Bei solchen Vorgängen,
aus denen man sieht, daß jetzt in Baden das Gesetz ohne Rücklicht auf Parteien
zur Geltung gelangt, begreift man, wie ärgerlich die Ultramontanen, die ehe¬
mals im Besitz der Staatsgewalt waren^ jetzt darüber sein mögen, daß die
Staatsgewalt das Gesetz nun auch ihnen gegenüber zur Geltung bringt; man
begreift'ihre Wühlereien unter der Masse, ihre Appellation an die Revolution.
Der Rechtsstaat „proicstantisirt" die katholische Kirche d. h. läßt den Glauben
frei von der Zwingherrschaft der Priester. Es kommt nun noch hinzu, daß die
katholischen Meßkircher (Mcßkirch ein Ort) in einer Adresse an den Erzbischof
die Einrichtung einer Synode verlangt haben. Man denke sich eine nach dem
Muster der evangelischen Kirchenverfassung aus katholischen Priestern und Laien.,
zusammengesetzte Synode wie die protestantische öffentlich lagert! Welche Um¬
wälzung! Es war freilich für die katholische Geistlichkeit schon der Umwälzung genug,
daß sie nach der neuen Gesetzgebung dem weltlichen Gerichte für weltliche Ver¬
gehen Rede stehen sollte: die kirchlichen Diener, zwar ganz vom Staate frei¬
gelassen und lediglich unter die Disciplin der Kirche gestellt, sind doch für ihre
bürgerlichen Handlungen dem Landesgesetz gegenüber verantwortlich; verschiedene


Grenzboten II. 1866. ^
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[0111] das Schulgesetz von 1864; aber auch die verzweifelnde Stimmung derer, welche durch solche Gesetzgebung ihre Herrschaft gründlich zur Neige gehen sahen: diese verzweifelnde Stimmung gebar in der letzten Zeit des badischen Kirchenstreits (n ist noch nicht ganz erledigt) die berühmten Wandercasinos, den Adressen- sturm gegen das Schulgesetz und die Agitation bei den Wahlen für die Kreis- versammlungen. Man muß nur im Einzelnen verfolgen, wie auf dem Wandercasino zu Mannheim von der anführenden Geistlichkeit alle Schliche und Pfiffe angewandt wurden, um der weltlichen Obrigkeit ein Schnippchen zu schlagen, und die Ver¬ sammlung trotz des polizeilichen Verbotes zu Stande zu bringen. Während auf den Ausspruch der Behörde, daß die Volksversammlung in der Kirche als dem (von der ultramontanen Reaction seiner Zeit eingeführten!) Vereinsgesetz zuwider nicht stattfinden dürfe, die ursprünglichen Mannheimer Leiter der Ver¬ sammlung sie öffentlich abbestellen, sagt ein namenloses Inserat, sie finde doch statt; und als auch hierauf die Behörde abnähme, werden die Casinonier doch vor die Kirche geführt. Die Versammlung fand freilich schließlich nicht statt; die gesetzliche Obrigkeit und die Masse der Bevölkerung war gegen sie; es kam sogar zu Thätlichkeiten, tardar mit veranlaßt durch die Casinolcute. Am 20. Juli 1865 standen der Wirth Beg und der Judenbursche Halter von Mannheim dort¬ selbst vor dem Schöffengericht, angeklagt, zwei Geistliche geprügelt zu haben, das Zeugenverhör aber stellte heraus, daß die beiden Geistlichen die Heraus¬ forderer gewesen waren;, der eine hatte mit dem Stocke unter die Menge ge¬ hauen; der andre aus der verschlossenen Droschke heraus dem Volke „Nasen gedreht"; die Angeklagten wurden freigesprochen. Bei solchen Vorgängen, aus denen man sieht, daß jetzt in Baden das Gesetz ohne Rücklicht auf Parteien zur Geltung gelangt, begreift man, wie ärgerlich die Ultramontanen, die ehe¬ mals im Besitz der Staatsgewalt waren^ jetzt darüber sein mögen, daß die Staatsgewalt das Gesetz nun auch ihnen gegenüber zur Geltung bringt; man begreift'ihre Wühlereien unter der Masse, ihre Appellation an die Revolution. Der Rechtsstaat „proicstantisirt" die katholische Kirche d. h. läßt den Glauben frei von der Zwingherrschaft der Priester. Es kommt nun noch hinzu, daß die katholischen Meßkircher (Mcßkirch ein Ort) in einer Adresse an den Erzbischof die Einrichtung einer Synode verlangt haben. Man denke sich eine nach dem Muster der evangelischen Kirchenverfassung aus katholischen Priestern und Laien., zusammengesetzte Synode wie die protestantische öffentlich lagert! Welche Um¬ wälzung! Es war freilich für die katholische Geistlichkeit schon der Umwälzung genug, daß sie nach der neuen Gesetzgebung dem weltlichen Gerichte für weltliche Ver¬ gehen Rede stehen sollte: die kirchlichen Diener, zwar ganz vom Staate frei¬ gelassen und lediglich unter die Disciplin der Kirche gestellt, sind doch für ihre bürgerlichen Handlungen dem Landesgesetz gegenüber verantwortlich; verschiedene Grenzboten II. 1866. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/111>, abgerufen am 28.07.2024.