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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Schweizer der auf dem Jubiläumstage des Domcapitular Moufang sagte, daß
er den Muth zum Sprechen in der Liebe zur Freiheit finde und den seiner Rede
gewordenen Beifall seinem Vaterlande zurechne, dessen Freiheit er als katho¬
lischer Urschweizer mit nicht minder feuriger Liede umfasse als den heiligen
Glauben, aber wie derselbe Schweizer gleichzeitig alle Freiheit verdammen, welche
nicht jenem katholischen Glauben zu Gute kommt. Es war charakteristisch, daß
der freie Urschweizer schließlich ein Hoch ausbrachte Ms den "Vorkämpfer wahrer
Freiheit", auf den das königliche Recht so entschieden in Frage stellenden Bischof
von Speyer, dem der König von Bayern das Seminar kraft seiner Staats¬
gewalt schließen lassen mußte. "Ich kenne als Katholik weder Fürsten,
noch Throne!"

Daß eine solche Verbindung nichts für ihn sei, hatte im Jahre 1860 auch
der Großherzog von Baden eingesehen; er konnte in dieser Einsicht nur be¬
festigt werden, als gewisse Leute, denen die "neue Aera" in Baden nicht gefiel,
die Aeußerung fallen ließen, wenn nichts Anderes helfe, so werde man das
Land republikanisiren. Diese Vorschwebung, wie wir den geistreichen Einfall
von Jesuitenköpfcn einmal nennen wollen, mag denn auch gewirkt haben, als
die Casinonicr, wie sie der Volkswitz getauft hat, ihre Agitation gegen das
Schulgesetz von 1864 begannen. Wir greifen hier nicht weiter zurück als aus
diese Begebenheiten, weil vorauszusetzen ist, daß das weiter Zurückliegende hin¬
länglich bekannt und durchgesprochen ist. Nur einige allgemeine Bemerkungen
wollen unsere Leser uns erlauben.

Man mag vom Lande Baden vom Standpunkte der ultramontanen Katho¬
liken aus sagen was' man will, man wird es immer noch gut katholisch
nennen müssen; ein Beweis dafür ist, daß nach der letzten Volkszählung vom
December 1864 (oben ist der Gleichförmigkeit mit den andern Staaten, von
denen in conscsstoncller Beziehung die neueste Zählung noch nicht im Einzelnen
vorliegt, eine frühere Zählung angenommen) unter den 1,429,199 Seelen und
933,47" Katholiken sich nur 413 Deutschkatholiken befanden. Nur denkt die
katholische Bevölkerung in Baden allerdings nicht fanatisch und weiß Glaubens-
schule und Pricsterregimcnt von einander zu unterscheiden, ja wir wollen sogar
zugeben, daß in den gebildeteren Kreisen der Bevölkerung sogar etwas Gleich-
giltigkeit gegen religiöse Unterschiede zu finden ist, was man gewöhnlich Toleranz
zu nennen Pflegt, aber den kirchlichen Heißspornen natürlich äußerst verhaßt
ist. Die Fälle sind zahlreich, wo katholische Ehemänner ihre Kinder protestan¬
tisch erziehen lassen, weil die Mutter Protestantin ist, und ebenso lassen pro¬
testantische Ehemänner ihre Kinder katholisch erziehen, weil die Mutter diesem
Bekenntniß angehört.

Dieser toleranten Stimmung entspricht nun ganz natürlich die oben schon
berührte Kirchengesetzgebung vom Jahre 1860 und ihr weiterer Ausbau durch


Schweizer der auf dem Jubiläumstage des Domcapitular Moufang sagte, daß
er den Muth zum Sprechen in der Liebe zur Freiheit finde und den seiner Rede
gewordenen Beifall seinem Vaterlande zurechne, dessen Freiheit er als katho¬
lischer Urschweizer mit nicht minder feuriger Liede umfasse als den heiligen
Glauben, aber wie derselbe Schweizer gleichzeitig alle Freiheit verdammen, welche
nicht jenem katholischen Glauben zu Gute kommt. Es war charakteristisch, daß
der freie Urschweizer schließlich ein Hoch ausbrachte Ms den „Vorkämpfer wahrer
Freiheit", auf den das königliche Recht so entschieden in Frage stellenden Bischof
von Speyer, dem der König von Bayern das Seminar kraft seiner Staats¬
gewalt schließen lassen mußte. „Ich kenne als Katholik weder Fürsten,
noch Throne!"

Daß eine solche Verbindung nichts für ihn sei, hatte im Jahre 1860 auch
der Großherzog von Baden eingesehen; er konnte in dieser Einsicht nur be¬
festigt werden, als gewisse Leute, denen die „neue Aera" in Baden nicht gefiel,
die Aeußerung fallen ließen, wenn nichts Anderes helfe, so werde man das
Land republikanisiren. Diese Vorschwebung, wie wir den geistreichen Einfall
von Jesuitenköpfcn einmal nennen wollen, mag denn auch gewirkt haben, als
die Casinonicr, wie sie der Volkswitz getauft hat, ihre Agitation gegen das
Schulgesetz von 1864 begannen. Wir greifen hier nicht weiter zurück als aus
diese Begebenheiten, weil vorauszusetzen ist, daß das weiter Zurückliegende hin¬
länglich bekannt und durchgesprochen ist. Nur einige allgemeine Bemerkungen
wollen unsere Leser uns erlauben.

Man mag vom Lande Baden vom Standpunkte der ultramontanen Katho¬
liken aus sagen was' man will, man wird es immer noch gut katholisch
nennen müssen; ein Beweis dafür ist, daß nach der letzten Volkszählung vom
December 1864 (oben ist der Gleichförmigkeit mit den andern Staaten, von
denen in conscsstoncller Beziehung die neueste Zählung noch nicht im Einzelnen
vorliegt, eine frühere Zählung angenommen) unter den 1,429,199 Seelen und
933,47« Katholiken sich nur 413 Deutschkatholiken befanden. Nur denkt die
katholische Bevölkerung in Baden allerdings nicht fanatisch und weiß Glaubens-
schule und Pricsterregimcnt von einander zu unterscheiden, ja wir wollen sogar
zugeben, daß in den gebildeteren Kreisen der Bevölkerung sogar etwas Gleich-
giltigkeit gegen religiöse Unterschiede zu finden ist, was man gewöhnlich Toleranz
zu nennen Pflegt, aber den kirchlichen Heißspornen natürlich äußerst verhaßt
ist. Die Fälle sind zahlreich, wo katholische Ehemänner ihre Kinder protestan¬
tisch erziehen lassen, weil die Mutter Protestantin ist, und ebenso lassen pro¬
testantische Ehemänner ihre Kinder katholisch erziehen, weil die Mutter diesem
Bekenntniß angehört.

Dieser toleranten Stimmung entspricht nun ganz natürlich die oben schon
berührte Kirchengesetzgebung vom Jahre 1860 und ihr weiterer Ausbau durch


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[0110] Schweizer der auf dem Jubiläumstage des Domcapitular Moufang sagte, daß er den Muth zum Sprechen in der Liebe zur Freiheit finde und den seiner Rede gewordenen Beifall seinem Vaterlande zurechne, dessen Freiheit er als katho¬ lischer Urschweizer mit nicht minder feuriger Liede umfasse als den heiligen Glauben, aber wie derselbe Schweizer gleichzeitig alle Freiheit verdammen, welche nicht jenem katholischen Glauben zu Gute kommt. Es war charakteristisch, daß der freie Urschweizer schließlich ein Hoch ausbrachte Ms den „Vorkämpfer wahrer Freiheit", auf den das königliche Recht so entschieden in Frage stellenden Bischof von Speyer, dem der König von Bayern das Seminar kraft seiner Staats¬ gewalt schließen lassen mußte. „Ich kenne als Katholik weder Fürsten, noch Throne!" Daß eine solche Verbindung nichts für ihn sei, hatte im Jahre 1860 auch der Großherzog von Baden eingesehen; er konnte in dieser Einsicht nur be¬ festigt werden, als gewisse Leute, denen die „neue Aera" in Baden nicht gefiel, die Aeußerung fallen ließen, wenn nichts Anderes helfe, so werde man das Land republikanisiren. Diese Vorschwebung, wie wir den geistreichen Einfall von Jesuitenköpfcn einmal nennen wollen, mag denn auch gewirkt haben, als die Casinonicr, wie sie der Volkswitz getauft hat, ihre Agitation gegen das Schulgesetz von 1864 begannen. Wir greifen hier nicht weiter zurück als aus diese Begebenheiten, weil vorauszusetzen ist, daß das weiter Zurückliegende hin¬ länglich bekannt und durchgesprochen ist. Nur einige allgemeine Bemerkungen wollen unsere Leser uns erlauben. Man mag vom Lande Baden vom Standpunkte der ultramontanen Katho¬ liken aus sagen was' man will, man wird es immer noch gut katholisch nennen müssen; ein Beweis dafür ist, daß nach der letzten Volkszählung vom December 1864 (oben ist der Gleichförmigkeit mit den andern Staaten, von denen in conscsstoncller Beziehung die neueste Zählung noch nicht im Einzelnen vorliegt, eine frühere Zählung angenommen) unter den 1,429,199 Seelen und 933,47« Katholiken sich nur 413 Deutschkatholiken befanden. Nur denkt die katholische Bevölkerung in Baden allerdings nicht fanatisch und weiß Glaubens- schule und Pricsterregimcnt von einander zu unterscheiden, ja wir wollen sogar zugeben, daß in den gebildeteren Kreisen der Bevölkerung sogar etwas Gleich- giltigkeit gegen religiöse Unterschiede zu finden ist, was man gewöhnlich Toleranz zu nennen Pflegt, aber den kirchlichen Heißspornen natürlich äußerst verhaßt ist. Die Fälle sind zahlreich, wo katholische Ehemänner ihre Kinder protestan¬ tisch erziehen lassen, weil die Mutter Protestantin ist, und ebenso lassen pro¬ testantische Ehemänner ihre Kinder katholisch erziehen, weil die Mutter diesem Bekenntniß angehört. Dieser toleranten Stimmung entspricht nun ganz natürlich die oben schon berührte Kirchengesetzgebung vom Jahre 1860 und ihr weiterer Ausbau durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/110>, abgerufen am 28.07.2024.