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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Pfarrer und Kapläne, welche die Kanzel zum Standplatz für ihre politischen
Bestrebungen genommen, fuhren sehr übel dabei. Das Kreisgcncht zu Lörrach
verurtheilte am 28. December 1864 den Pfarrvicar K. von Schönau zu S Wochen
Festungshaft, weil er nach geschlossener Predigt auf der Kanzel in Schönau
gesagt hatte: "Ihr Väter und Mütter, unser ärgster Widersacher, der Teufel
ist unter uns und sucht einen zu verschlingen, ich meine das gottlose, neue
Schulgesetz; betet und wachet! das nächste Mal mehr". Von den fünf Richtern,
die ihn verurteilten, waren vier katholisch, und die Schuldfrage, welche laut
Strafgesetz nur mit 4 Stimmen Mehrheit entschieden werden konnte, wurde
also von katholischen Richtern bejaht, so daß hier jede confessionelle Parteiung
außer Spiele steht. Im Juni 1863 verurtheilte das Kreisgcncht Mosbach den
katholischen Pfarrer Lammcrt von Stümpfelbrunn wegen Schmähung und
Ehrenkränkung des großherzoglichen Ministeriums des Innern zu einer in der
Festung zu erstehenden zehntägigen Gefängnißhaft. Kaplan Hauenstein erhielt
vom Schöffengericht Ettlingen wegen Körperverletzung eines elfjährigen Knaben
auf offner Straße 30 Gulden Geldstrafe und die Kosten aufgebürdet. Die
Strafkammer des Kreis- und Hofgcrichtö zu Konstanz verurtheilte am 28. Juni
186S den früheren Pfarrverweser von Worndorf, Fidel Futterer, wegen Mi߬
brauchs der Amtsgewalt in eontumlremm zu 4 Wochen Gefängniß, SO Gulden
Geldstrafe und die Kosten. Der Angeklagte, ein Ausländer, erschien nicht, durch
Zeugen wurde aber festgestellt, daß er in mehren Kanzclvvrträgen, welche er
im Jahr zuvor zu Worndorf gehalten, sich in sehr leidenschaftlicher, gehässiger
und aufreizender Weise über das Schulgesetz ausgelassen und u. a. geäußert
hatte: die in dem Mustcrstaate Baden eingeführte Schulreform sei ein elendes
Machwerk und bezwecke nicht Anderes, als die Jugend glaub aus-, religions-
und sittenlos zu machen und sie zu protestantisiren(I); er mache es den
Eltern zur Pflicht, ihre Kinder nicht in diese Schulen zu schicken; diejenigen,
welche sich an der neuen Schulreform beteiligten, seien schamlose und religions¬
lose Männer u. s. w. Weiter stand am 19. Juli 1865 vor den Schranken
der Strafkammer des Kreis- und Hofgerichts zu Constanz der Pfarrverweser
Vuck von Stockach, angeklagt, von der Kanzel herab den Versasser eines Artikels
im "Nellendurger Boten" einen elenden Verleumder und Lügner genannt zu
haben, als weicher Verfasser sich nun Bezirksingenieur Beger von Stockach
meldete, und da ihm keine Ehrenerklärung vom Pfarrverweser zu Theil ward,
diesen auf Ehrenkränkung verklagte. Das Gericht verurtheilte wirklich Herrn
Buel zu 2S Gulden Geldstrafe. Zum Schluß unserer Exempel von gegen die
kirchlichen Agitatoren gerichteten Gcrichtserkenntnissen theilen wir noch mit, daß
das Kreisgericht zu Karlsruhe Herrn Rechtsanwalt Brummel, den juristischen
Sachwalter der ultramontanen Wühlerei und ferner den Redacteur des Haupt-
vrgans der Ultramontanen in Bade", des badischen Beobachters, wegen Ge-


Pfarrer und Kapläne, welche die Kanzel zum Standplatz für ihre politischen
Bestrebungen genommen, fuhren sehr übel dabei. Das Kreisgcncht zu Lörrach
verurtheilte am 28. December 1864 den Pfarrvicar K. von Schönau zu S Wochen
Festungshaft, weil er nach geschlossener Predigt auf der Kanzel in Schönau
gesagt hatte: „Ihr Väter und Mütter, unser ärgster Widersacher, der Teufel
ist unter uns und sucht einen zu verschlingen, ich meine das gottlose, neue
Schulgesetz; betet und wachet! das nächste Mal mehr". Von den fünf Richtern,
die ihn verurteilten, waren vier katholisch, und die Schuldfrage, welche laut
Strafgesetz nur mit 4 Stimmen Mehrheit entschieden werden konnte, wurde
also von katholischen Richtern bejaht, so daß hier jede confessionelle Parteiung
außer Spiele steht. Im Juni 1863 verurtheilte das Kreisgcncht Mosbach den
katholischen Pfarrer Lammcrt von Stümpfelbrunn wegen Schmähung und
Ehrenkränkung des großherzoglichen Ministeriums des Innern zu einer in der
Festung zu erstehenden zehntägigen Gefängnißhaft. Kaplan Hauenstein erhielt
vom Schöffengericht Ettlingen wegen Körperverletzung eines elfjährigen Knaben
auf offner Straße 30 Gulden Geldstrafe und die Kosten aufgebürdet. Die
Strafkammer des Kreis- und Hofgcrichtö zu Konstanz verurtheilte am 28. Juni
186S den früheren Pfarrverweser von Worndorf, Fidel Futterer, wegen Mi߬
brauchs der Amtsgewalt in eontumlremm zu 4 Wochen Gefängniß, SO Gulden
Geldstrafe und die Kosten. Der Angeklagte, ein Ausländer, erschien nicht, durch
Zeugen wurde aber festgestellt, daß er in mehren Kanzclvvrträgen, welche er
im Jahr zuvor zu Worndorf gehalten, sich in sehr leidenschaftlicher, gehässiger
und aufreizender Weise über das Schulgesetz ausgelassen und u. a. geäußert
hatte: die in dem Mustcrstaate Baden eingeführte Schulreform sei ein elendes
Machwerk und bezwecke nicht Anderes, als die Jugend glaub aus-, religions-
und sittenlos zu machen und sie zu protestantisiren(I); er mache es den
Eltern zur Pflicht, ihre Kinder nicht in diese Schulen zu schicken; diejenigen,
welche sich an der neuen Schulreform beteiligten, seien schamlose und religions¬
lose Männer u. s. w. Weiter stand am 19. Juli 1865 vor den Schranken
der Strafkammer des Kreis- und Hofgerichts zu Constanz der Pfarrverweser
Vuck von Stockach, angeklagt, von der Kanzel herab den Versasser eines Artikels
im „Nellendurger Boten" einen elenden Verleumder und Lügner genannt zu
haben, als weicher Verfasser sich nun Bezirksingenieur Beger von Stockach
meldete, und da ihm keine Ehrenerklärung vom Pfarrverweser zu Theil ward,
diesen auf Ehrenkränkung verklagte. Das Gericht verurtheilte wirklich Herrn
Buel zu 2S Gulden Geldstrafe. Zum Schluß unserer Exempel von gegen die
kirchlichen Agitatoren gerichteten Gcrichtserkenntnissen theilen wir noch mit, daß
das Kreisgericht zu Karlsruhe Herrn Rechtsanwalt Brummel, den juristischen
Sachwalter der ultramontanen Wühlerei und ferner den Redacteur des Haupt-
vrgans der Ultramontanen in Bade», des badischen Beobachters, wegen Ge-


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[0112] Pfarrer und Kapläne, welche die Kanzel zum Standplatz für ihre politischen Bestrebungen genommen, fuhren sehr übel dabei. Das Kreisgcncht zu Lörrach verurtheilte am 28. December 1864 den Pfarrvicar K. von Schönau zu S Wochen Festungshaft, weil er nach geschlossener Predigt auf der Kanzel in Schönau gesagt hatte: „Ihr Väter und Mütter, unser ärgster Widersacher, der Teufel ist unter uns und sucht einen zu verschlingen, ich meine das gottlose, neue Schulgesetz; betet und wachet! das nächste Mal mehr". Von den fünf Richtern, die ihn verurteilten, waren vier katholisch, und die Schuldfrage, welche laut Strafgesetz nur mit 4 Stimmen Mehrheit entschieden werden konnte, wurde also von katholischen Richtern bejaht, so daß hier jede confessionelle Parteiung außer Spiele steht. Im Juni 1863 verurtheilte das Kreisgcncht Mosbach den katholischen Pfarrer Lammcrt von Stümpfelbrunn wegen Schmähung und Ehrenkränkung des großherzoglichen Ministeriums des Innern zu einer in der Festung zu erstehenden zehntägigen Gefängnißhaft. Kaplan Hauenstein erhielt vom Schöffengericht Ettlingen wegen Körperverletzung eines elfjährigen Knaben auf offner Straße 30 Gulden Geldstrafe und die Kosten aufgebürdet. Die Strafkammer des Kreis- und Hofgcrichtö zu Konstanz verurtheilte am 28. Juni 186S den früheren Pfarrverweser von Worndorf, Fidel Futterer, wegen Mi߬ brauchs der Amtsgewalt in eontumlremm zu 4 Wochen Gefängniß, SO Gulden Geldstrafe und die Kosten. Der Angeklagte, ein Ausländer, erschien nicht, durch Zeugen wurde aber festgestellt, daß er in mehren Kanzclvvrträgen, welche er im Jahr zuvor zu Worndorf gehalten, sich in sehr leidenschaftlicher, gehässiger und aufreizender Weise über das Schulgesetz ausgelassen und u. a. geäußert hatte: die in dem Mustcrstaate Baden eingeführte Schulreform sei ein elendes Machwerk und bezwecke nicht Anderes, als die Jugend glaub aus-, religions- und sittenlos zu machen und sie zu protestantisiren(I); er mache es den Eltern zur Pflicht, ihre Kinder nicht in diese Schulen zu schicken; diejenigen, welche sich an der neuen Schulreform beteiligten, seien schamlose und religions¬ lose Männer u. s. w. Weiter stand am 19. Juli 1865 vor den Schranken der Strafkammer des Kreis- und Hofgerichts zu Constanz der Pfarrverweser Vuck von Stockach, angeklagt, von der Kanzel herab den Versasser eines Artikels im „Nellendurger Boten" einen elenden Verleumder und Lügner genannt zu haben, als weicher Verfasser sich nun Bezirksingenieur Beger von Stockach meldete, und da ihm keine Ehrenerklärung vom Pfarrverweser zu Theil ward, diesen auf Ehrenkränkung verklagte. Das Gericht verurtheilte wirklich Herrn Buel zu 2S Gulden Geldstrafe. Zum Schluß unserer Exempel von gegen die kirchlichen Agitatoren gerichteten Gcrichtserkenntnissen theilen wir noch mit, daß das Kreisgericht zu Karlsruhe Herrn Rechtsanwalt Brummel, den juristischen Sachwalter der ultramontanen Wühlerei und ferner den Redacteur des Haupt- vrgans der Ultramontanen in Bade», des badischen Beobachters, wegen Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/112>, abgerufen am 28.07.2024.