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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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England ein glänzenderes Glück zu finden, und der endlich dort, der Erinnerung
seines Volkes fast entrückt, in wenig erfreulicher äußerer Lage stirbt. Grade
dieses ruhelose Leben und Wesen des Mannes hat uns die positiven Nachrichten
über dasselbe so verkürzt und eingeschränkt, daß es keine geringe Ausgabe war,
darüber einige Klarheit zu schaffen. Und doch ist es eigentlich wunderlich, daß
sich seither noch so wenige zu dieser Forschermühe angeregt fühlten. Denn
seines künstlerischen Geistes Art, wie sie aus seinen Werken, seinen Bildern,
Holzschnitten und Zeichnungen zu uns spricht, ist so mächtig anziehend, so
geheimnißvoll lockend und zugleich unserm modernen Sinn und Verständniß
so verwandt und ersaßbar, wie keines, wenigstens seiner deutschen, Zeitgenossen.
Wir unterschreiben jene Sätze, in welchen Dr. Woltmann sein Urtheil über
Holbein am Schluß seines Textes noch einmal kurz zusammenfaßt, Wort für
Wort; sein ganzes Wesen ist aufs glücklichste darin charakterisirt: "Ist Holbein
nicht so erhaben wie Dürer, so ist er deshalb wahrer; ist er nicht so über¬
wältigend, so doch menschlicher; alles besitzt er, was jenem fehlt: das sein ab¬
gewogne Stilgefühl und die glänzende Herrschaft über die Farbe, den freien
Aufschwung zur höchsten Schönheit und den kräftigen Frohsinn, der frisch ins
volle Leben greift. Vor allem aber vereint er mit volksthümlicher deutscher
Art jene durchaus moderne Richtung des Geistes, durch welche er uns bis
aus diese Stunde weit mehr als Dürer nahe steht."

Wenn oft genug die spätere geistige Eigenthümlichkeit großer Künstler in
dem Gepräge schon gleichsam vorgebildet erscheint, welches der Ort ihrer Ge¬
burt, die heimische Stadt trägt, von welcher sie ihre ersten sinnlichen Eindrücke
empfingen, so gilt das in vollem Maß von Hans Holbein. Der Verfasser
stellt dessen Geburtsstadt Augsburg, wo er 1495 zur Welt kam, in sehr ge¬
schickter und treffender Vergleichung Nürnberg, der Heimath Dürers, gegenüber,
und es mag gelten, wenn er dieser Stadt den vorwiegend mittelalterlichen,
den kirchlich-gothischen Charakter vindicirt, während ihm Augsburg als der
Sitz einer heitern, reichen und stattlichen Weltlichkeit, als wesentlich moderne
Stadt, als eine glänzende Vertreterin der Renaissance auf deutschem Boden
erscheinen will, welcher ursprünglich italienischen Culturentwicklungsform die
Lage und die lebhaften und innigen Beziehungen Augsburgs zu Italien
hier leichtern, freiern und stärkern Zugang und Einfluß verschaffen mußten, als
anderswo diesseits der Alpen.

Auf die in dieser Reichsstadt geübte Kunst der Malerei machten sich zunächst
indeß solche südliche Einwirkungen nicht geltend. Im Gegentheil sehn wir die
ersten bedeutenden Meister der schwäbischen Schule, Fritz Herlen und Martin
Schongauer aus der Lehre der altflandrischen, speciell des großen Regier van
der Wevden hervorgehen und sich zu einer Kunstrichtung entfalten, "welche mit
dem gesunden, fröhlichen Naturgefühl der Niederländer die zarte Idealität und


England ein glänzenderes Glück zu finden, und der endlich dort, der Erinnerung
seines Volkes fast entrückt, in wenig erfreulicher äußerer Lage stirbt. Grade
dieses ruhelose Leben und Wesen des Mannes hat uns die positiven Nachrichten
über dasselbe so verkürzt und eingeschränkt, daß es keine geringe Ausgabe war,
darüber einige Klarheit zu schaffen. Und doch ist es eigentlich wunderlich, daß
sich seither noch so wenige zu dieser Forschermühe angeregt fühlten. Denn
seines künstlerischen Geistes Art, wie sie aus seinen Werken, seinen Bildern,
Holzschnitten und Zeichnungen zu uns spricht, ist so mächtig anziehend, so
geheimnißvoll lockend und zugleich unserm modernen Sinn und Verständniß
so verwandt und ersaßbar, wie keines, wenigstens seiner deutschen, Zeitgenossen.
Wir unterschreiben jene Sätze, in welchen Dr. Woltmann sein Urtheil über
Holbein am Schluß seines Textes noch einmal kurz zusammenfaßt, Wort für
Wort; sein ganzes Wesen ist aufs glücklichste darin charakterisirt: „Ist Holbein
nicht so erhaben wie Dürer, so ist er deshalb wahrer; ist er nicht so über¬
wältigend, so doch menschlicher; alles besitzt er, was jenem fehlt: das sein ab¬
gewogne Stilgefühl und die glänzende Herrschaft über die Farbe, den freien
Aufschwung zur höchsten Schönheit und den kräftigen Frohsinn, der frisch ins
volle Leben greift. Vor allem aber vereint er mit volksthümlicher deutscher
Art jene durchaus moderne Richtung des Geistes, durch welche er uns bis
aus diese Stunde weit mehr als Dürer nahe steht."

Wenn oft genug die spätere geistige Eigenthümlichkeit großer Künstler in
dem Gepräge schon gleichsam vorgebildet erscheint, welches der Ort ihrer Ge¬
burt, die heimische Stadt trägt, von welcher sie ihre ersten sinnlichen Eindrücke
empfingen, so gilt das in vollem Maß von Hans Holbein. Der Verfasser
stellt dessen Geburtsstadt Augsburg, wo er 1495 zur Welt kam, in sehr ge¬
schickter und treffender Vergleichung Nürnberg, der Heimath Dürers, gegenüber,
und es mag gelten, wenn er dieser Stadt den vorwiegend mittelalterlichen,
den kirchlich-gothischen Charakter vindicirt, während ihm Augsburg als der
Sitz einer heitern, reichen und stattlichen Weltlichkeit, als wesentlich moderne
Stadt, als eine glänzende Vertreterin der Renaissance auf deutschem Boden
erscheinen will, welcher ursprünglich italienischen Culturentwicklungsform die
Lage und die lebhaften und innigen Beziehungen Augsburgs zu Italien
hier leichtern, freiern und stärkern Zugang und Einfluß verschaffen mußten, als
anderswo diesseits der Alpen.

Auf die in dieser Reichsstadt geübte Kunst der Malerei machten sich zunächst
indeß solche südliche Einwirkungen nicht geltend. Im Gegentheil sehn wir die
ersten bedeutenden Meister der schwäbischen Schule, Fritz Herlen und Martin
Schongauer aus der Lehre der altflandrischen, speciell des großen Regier van
der Wevden hervorgehen und sich zu einer Kunstrichtung entfalten, „welche mit
dem gesunden, fröhlichen Naturgefühl der Niederländer die zarte Idealität und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/94>, abgerufen am 29.06.2024.