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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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tiefe Seeleninnigkeit der frühern deutschen Malerei verband." Zu dieser Schule
der Kunst zählten Holbeins nächste Vorfahren von Vaters wie von der Mutter
Seite zu den Tüchtigsten. Vater und Vaters Bruder, Hans und Siegmund,
die Söhne des "Lederers" Holbein sind geschätzte und beschäftigte Maler zu
Augsburg, und des ersten Eheweib ist die Tochter des Thoman Burgkmaier,
ihres Kunstgenossen, welcher auch dem großen Hans Burgkmaier, dem Zeichner
des Maximilianszuges, das Leben gab. Man sieht, der junge Hans ist in
guter Lehre und Gesellschaft aufgewachsen; in keiner bessern und geeigneteren
Lebenslust konnten sich seine reichen natürlichen Gaben entwickeln, und keine
andre hätte wie die dieses Hauses ihre Entwicklung zumal zu so erstaunlicher
Schnelligkeit zu fördern vermocht. Den merkwürdigsten und zugleich unab-
weislichsten Beweis für letztere geben uns die Zeichnungen jenes berühmten
..Augsburger Skizzcnbuchs". dessen im berliner Kupferstichl'ahmet aufbewahrte
Porträtzeichnungen ich in diesen Blättern vor einigen Monaten eingehend zu schildern
versucht habe. Unbestreitbar von des jüngern Hans Holbein Hand geschrieben,
dessen eignes Bildniß zusammen mit dem seines ältern Bruders Ambrosius
die Zeichnung laut Unterschrift darstellt, trägt das eine Blatt die Jahreszahl
1609. Wir haben es daher in diesen ganz unvergleichlichen, reisen, in jedem
Sinn vollendeten Meisterwerken der Menschenausfassung wie der künstlerischen
Mache mit den leichthingcworfncn Arbeiten eines vierzehnjährigen Knaben zu
thun. Jeder, und zumal jeder Künstler, der etwas vom Bildniß und von dem.
was Zeichnen heißt, versteht und diese Köpfe gesehn hat, wird mir zugestehn,
daß diese Thatsache jedes Wunder künstlerischer Frühreife, welches die Kunst-
geschichte von Rafael. von Mozart, von Schubert zu berichten hat, recht gut
aufwiegt. -- Dr. Woltmann hat sich der sehr dankenswerthen Mühe unter-
jvgen, über die Originale vieler dieser Porträts authentische Nachrichten auf¬
zusuchen und beizubringen. In allen diesen Fällen tragen dieselben nur bei,
unsre Bewunderung für den Zeichner zu vermehren; las man doch schon das
Wesentliche, wie die feineren Züge ihres Lebens und Charakters, wie beides
uns die. beglaubigte Lvcalgeschichte erzählt und schildert, klar und deutlich aus
der lebendigen Schrift seiner jugendlichen Meisterhand. -- Eine große Zahl
der Bildnisse stellen bekanntlich Obere und Mönche des Se. Ulrichtlosters zu
Augsburg dar. Von diesem erzählt der Verfasser, daß es eben damals eine
Pflanzstätte der neuen humanistischen Bildung gewesen, und daß der große
Reichthum des Klosters in der prächtigsten Schmückung seiner Kirche durch
fromme Kunstarbeit jeder Art eine schöne Anwendung gesunden habe, wovon
leider bei den späteren Bilderstürmer alles bis auf die letzte Spur zerstört
worden sei. Nur die erhaltnen Annalen, welche der Bruder Wilhelm Witterer
zusammengestellt, gäben noch einen Begriff von den ehemals dort zusammen-
gehäuften künstlerischen Schätzen. Bei den wohl weniger frommen als gelehrten,


tiefe Seeleninnigkeit der frühern deutschen Malerei verband." Zu dieser Schule
der Kunst zählten Holbeins nächste Vorfahren von Vaters wie von der Mutter
Seite zu den Tüchtigsten. Vater und Vaters Bruder, Hans und Siegmund,
die Söhne des „Lederers" Holbein sind geschätzte und beschäftigte Maler zu
Augsburg, und des ersten Eheweib ist die Tochter des Thoman Burgkmaier,
ihres Kunstgenossen, welcher auch dem großen Hans Burgkmaier, dem Zeichner
des Maximilianszuges, das Leben gab. Man sieht, der junge Hans ist in
guter Lehre und Gesellschaft aufgewachsen; in keiner bessern und geeigneteren
Lebenslust konnten sich seine reichen natürlichen Gaben entwickeln, und keine
andre hätte wie die dieses Hauses ihre Entwicklung zumal zu so erstaunlicher
Schnelligkeit zu fördern vermocht. Den merkwürdigsten und zugleich unab-
weislichsten Beweis für letztere geben uns die Zeichnungen jenes berühmten
..Augsburger Skizzcnbuchs". dessen im berliner Kupferstichl'ahmet aufbewahrte
Porträtzeichnungen ich in diesen Blättern vor einigen Monaten eingehend zu schildern
versucht habe. Unbestreitbar von des jüngern Hans Holbein Hand geschrieben,
dessen eignes Bildniß zusammen mit dem seines ältern Bruders Ambrosius
die Zeichnung laut Unterschrift darstellt, trägt das eine Blatt die Jahreszahl
1609. Wir haben es daher in diesen ganz unvergleichlichen, reisen, in jedem
Sinn vollendeten Meisterwerken der Menschenausfassung wie der künstlerischen
Mache mit den leichthingcworfncn Arbeiten eines vierzehnjährigen Knaben zu
thun. Jeder, und zumal jeder Künstler, der etwas vom Bildniß und von dem.
was Zeichnen heißt, versteht und diese Köpfe gesehn hat, wird mir zugestehn,
daß diese Thatsache jedes Wunder künstlerischer Frühreife, welches die Kunst-
geschichte von Rafael. von Mozart, von Schubert zu berichten hat, recht gut
aufwiegt. — Dr. Woltmann hat sich der sehr dankenswerthen Mühe unter-
jvgen, über die Originale vieler dieser Porträts authentische Nachrichten auf¬
zusuchen und beizubringen. In allen diesen Fällen tragen dieselben nur bei,
unsre Bewunderung für den Zeichner zu vermehren; las man doch schon das
Wesentliche, wie die feineren Züge ihres Lebens und Charakters, wie beides
uns die. beglaubigte Lvcalgeschichte erzählt und schildert, klar und deutlich aus
der lebendigen Schrift seiner jugendlichen Meisterhand. — Eine große Zahl
der Bildnisse stellen bekanntlich Obere und Mönche des Se. Ulrichtlosters zu
Augsburg dar. Von diesem erzählt der Verfasser, daß es eben damals eine
Pflanzstätte der neuen humanistischen Bildung gewesen, und daß der große
Reichthum des Klosters in der prächtigsten Schmückung seiner Kirche durch
fromme Kunstarbeit jeder Art eine schöne Anwendung gesunden habe, wovon
leider bei den späteren Bilderstürmer alles bis auf die letzte Spur zerstört
worden sei. Nur die erhaltnen Annalen, welche der Bruder Wilhelm Witterer
zusammengestellt, gäben noch einen Begriff von den ehemals dort zusammen-
gehäuften künstlerischen Schätzen. Bei den wohl weniger frommen als gelehrten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/95>, abgerufen am 29.06.2024.