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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Malerei, den wir unzern in diesem ruhmvollen Kreise vermißten: Haus Hol-
bein. Diese empfindliche Lücke ist seit einigen Wochen ausgefüllt durch das
Erscheinen von Dr. Alfred Woltmanns Holbeinalbum. Der Versasser ist
wohl der jüngste unter unsern Kunstgelehrten. Erst nach längerem, durchaus
wider Wunsch und Willen ergriffnen juristischen Studium zur Kunstwissenschaft
übergegangen, hat er bereits nach wenigen Jahren in einer Reihe größerer und
kleinerer kritischer und historischer Arbeiten auf diesem Gebiet bewiesen, daß er
sich seines Lieblingsgegenstandes gründlich zu bemächtigen gewußt hat. Mit
ganz besonderm Eifer ließ er sich frühe schon das Studium Holbeins angelegen
sein. Manche bisher unbekannte und unbenutzte Quelle gelang es ihm in
Augsburg. Basel und Luzern aufzuspüren, aufzudecken und für die Feststellung des
Lebensganges des Künstlers, über welchen bislang so viel Ungewißheit und Un¬
richtigkeit verbreitet war, zu benutzen. Diese Forschungen, diese Urkunden-und Bit-
derprüfungen unternahm Herr Dr. Weltmann als Vorarbeiten für ein größeres
umfassendes Werk über Holbein. Doch noch vor des letzteren wirklicher Aus-
führung veranlaßte ihn der Antrag des genannten Verlagsinstituts in einem
"Holbeinalbum- gleichsam einen Extract des von ihm entworfenen Buchs zu
-geben, in gedrängter knapperer Form mit Ausschluß breiterer Entwickelung
und strengeren kritischen Apparats den Gegenstand zu gestalten und für das
Publikum dieses ganzen Albumcyklus genießbar zu machen. In solcher Form
liegt uns seine Arbeit nunmehr vor, und schon so ist sie eine sehr dankens-
werthe.

Denn seltsamerweise steht die Anzahl, die Sicherheit und Genauigkeit der
Nachrichten von dieses Meisters Leben und Schaffen in gar keinem Verhältniß
zu seiner alles überragenden Größe in seiner Kunst. Es ist als ob Dürers
Gestalt im Bewußtsein der Zeitgenossen wie der Nachkommen die uns eigen!"
lich viel näher stehende seines Landesgenossen gänzlich in den Schatten ge¬
drängt hätte. Der große Unterschied in dem Lebens- und Entwicklungsgange
beider hat auch dazu beigetragen. Dürer, bei aller Größe der Begabung und
allem Reichthum der Phantasie doch durchaus handwerklich bürgerlich, während
seines ganzen thätigen Lebens seßhaft in der Vaterstadt Nürnberg, selbst mit-
theilsam. Aufzeichnungen aller Art schreibend und hinterlassend, mußte wohl
ganz natürlich in der Anschauung seines Volkes zu einer viel bestimmteren,
persönlicheren, fester umrissenen. menschlich wirklicherer Gestalt werden und in
solcher dem Bewußtsein jeder folgenden Generation überliefert werden, als der
unruhige, seltsame, genialische Meister von Augsburg, den es in der ersten
schwäbischen Heimath so wenig duldet, als in der zweiten neugewonnenen
schweizerischen, in welchem die vorwiegendste nationale Eigenschaft der Deutschen,
das Familiengefühl nicht mächtiger ist. wie das des Vaterlandes, der Werd
und Kind, Stadt und Land schmerzlos verläßt, um fern, in der Fremde, in


Malerei, den wir unzern in diesem ruhmvollen Kreise vermißten: Haus Hol-
bein. Diese empfindliche Lücke ist seit einigen Wochen ausgefüllt durch das
Erscheinen von Dr. Alfred Woltmanns Holbeinalbum. Der Versasser ist
wohl der jüngste unter unsern Kunstgelehrten. Erst nach längerem, durchaus
wider Wunsch und Willen ergriffnen juristischen Studium zur Kunstwissenschaft
übergegangen, hat er bereits nach wenigen Jahren in einer Reihe größerer und
kleinerer kritischer und historischer Arbeiten auf diesem Gebiet bewiesen, daß er
sich seines Lieblingsgegenstandes gründlich zu bemächtigen gewußt hat. Mit
ganz besonderm Eifer ließ er sich frühe schon das Studium Holbeins angelegen
sein. Manche bisher unbekannte und unbenutzte Quelle gelang es ihm in
Augsburg. Basel und Luzern aufzuspüren, aufzudecken und für die Feststellung des
Lebensganges des Künstlers, über welchen bislang so viel Ungewißheit und Un¬
richtigkeit verbreitet war, zu benutzen. Diese Forschungen, diese Urkunden-und Bit-
derprüfungen unternahm Herr Dr. Weltmann als Vorarbeiten für ein größeres
umfassendes Werk über Holbein. Doch noch vor des letzteren wirklicher Aus-
führung veranlaßte ihn der Antrag des genannten Verlagsinstituts in einem
„Holbeinalbum- gleichsam einen Extract des von ihm entworfenen Buchs zu
-geben, in gedrängter knapperer Form mit Ausschluß breiterer Entwickelung
und strengeren kritischen Apparats den Gegenstand zu gestalten und für das
Publikum dieses ganzen Albumcyklus genießbar zu machen. In solcher Form
liegt uns seine Arbeit nunmehr vor, und schon so ist sie eine sehr dankens-
werthe.

Denn seltsamerweise steht die Anzahl, die Sicherheit und Genauigkeit der
Nachrichten von dieses Meisters Leben und Schaffen in gar keinem Verhältniß
zu seiner alles überragenden Größe in seiner Kunst. Es ist als ob Dürers
Gestalt im Bewußtsein der Zeitgenossen wie der Nachkommen die uns eigen!»
lich viel näher stehende seines Landesgenossen gänzlich in den Schatten ge¬
drängt hätte. Der große Unterschied in dem Lebens- und Entwicklungsgange
beider hat auch dazu beigetragen. Dürer, bei aller Größe der Begabung und
allem Reichthum der Phantasie doch durchaus handwerklich bürgerlich, während
seines ganzen thätigen Lebens seßhaft in der Vaterstadt Nürnberg, selbst mit-
theilsam. Aufzeichnungen aller Art schreibend und hinterlassend, mußte wohl
ganz natürlich in der Anschauung seines Volkes zu einer viel bestimmteren,
persönlicheren, fester umrissenen. menschlich wirklicherer Gestalt werden und in
solcher dem Bewußtsein jeder folgenden Generation überliefert werden, als der
unruhige, seltsame, genialische Meister von Augsburg, den es in der ersten
schwäbischen Heimath so wenig duldet, als in der zweiten neugewonnenen
schweizerischen, in welchem die vorwiegendste nationale Eigenschaft der Deutschen,
das Familiengefühl nicht mächtiger ist. wie das des Vaterlandes, der Werd
und Kind, Stadt und Land schmerzlos verläßt, um fern, in der Fremde, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/93>, abgerufen am 22.12.2024.