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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Indem wir die neue Auflage seines Werkes anmelden, grüßen wir auch ihn
selbst, wir ersehnen seinem Leben ein rüstiges Schaffen und uns die reifen
Früchte seiner Arbeit.




Vermischte Literatur.
Naturgeschichte der Sage. Von Julius Braun. München, Verlag
von Fr. Bruckmann. 2 Bde. 1864 und 1865.

Wie der Verfasser uns früher einmal bewiesen, daß alle Kunst aus Aegypten
stammt, so fährt er jetzt fort und beweist, daß das Nilland, und speciell Unterägypten,
die Urheimath aller Sagen- und Mythcnbildung ist.

Bis jetzt, sagt er, ist die Mythologie ein Gebiet gewesen, auf dem die Hypothese sich
ohne Rücksicht auf die Forderungen des gesunden Menschenverstandes breit machen
konnte. Man hat sich völlig unbegründete Vorstellungen von 'den alten Religionen
und Sagen gebildet und den Schöpfungen des antiken Geistes Motive untergelegt,
die sich mit den überall gleichen Gesetzen des Denkens nicht in Einklang bringen
lassen. Die Gelehrten sind serner auch insofern einen falschen Weg gegangen, als
sie ihre Untersuchungen nicht auf das ganze Bereich der Kulturgeschichte, sondern nur
auf einzelne Gebiete derselben, einzelne Zweige des großen Baumes gerichtet haben,
wo alle Erscheinungen unrein, vermischt und verstümmelt auftreten. Namentlich die
Semiten und die Arier zu trennen, wie wenn dieselben jeder Theil für sich eigen¬
thümliche Sprache, Religion und Sitte entwickelt hätten, war ein folgenschwerer
Mißgriff.

Soweit die Kritik des Herrn Braun, und nun das Verfahren, wie er der
Sache abhelfen will. Nichts leichter als das. Lassen wir alle Speculation bei Seite,
sagt er, und folgen wir der Methode der Naturwissenschaft, die sich einfach an die
verständig benutzte Erfahrung hält. Auf diesem Wege aber finden wir, daß der
gesammte geistige Besitz der Menschheit in der ägyptischen Urzeit erworben und von
dieser im Laufe der Jahrtausende den übrigen Völkern der Erde allmälig mitgetheilt
worden ist. Dieses Ureigenthum an Ideen, dieser Stammschatz aller Mythen. Sagen
und Religionen, muß sich, so fährt unser Mytholog fort, in seiner ältesten Gestalt
wiederherstellen lassen, und einiges Nachdenken verhilft glücklich dahin. "Inmitten
einer wcltumfangenden Urgottheit unterschied man einen inncrweltlichcn Schöpfer,
geiht und den Urfeuergott. die Göttinnen Himmel und Erde, die Göttinnen Oberer
Raum und Unterwelt, einen Sonnengott und einen Mondgott. An diese Gottheiten,
welche Theile der Welt sind, und aus welcher die Binncnwelt sich ohne Lücke zusammen-
setzt, hat als zweites Element eine Gruppe sagcngcschichtlichcr Figuren sich angehängt,


10*

Indem wir die neue Auflage seines Werkes anmelden, grüßen wir auch ihn
selbst, wir ersehnen seinem Leben ein rüstiges Schaffen und uns die reifen
Früchte seiner Arbeit.




Vermischte Literatur.
Naturgeschichte der Sage. Von Julius Braun. München, Verlag
von Fr. Bruckmann. 2 Bde. 1864 und 1865.

Wie der Verfasser uns früher einmal bewiesen, daß alle Kunst aus Aegypten
stammt, so fährt er jetzt fort und beweist, daß das Nilland, und speciell Unterägypten,
die Urheimath aller Sagen- und Mythcnbildung ist.

Bis jetzt, sagt er, ist die Mythologie ein Gebiet gewesen, auf dem die Hypothese sich
ohne Rücksicht auf die Forderungen des gesunden Menschenverstandes breit machen
konnte. Man hat sich völlig unbegründete Vorstellungen von 'den alten Religionen
und Sagen gebildet und den Schöpfungen des antiken Geistes Motive untergelegt,
die sich mit den überall gleichen Gesetzen des Denkens nicht in Einklang bringen
lassen. Die Gelehrten sind serner auch insofern einen falschen Weg gegangen, als
sie ihre Untersuchungen nicht auf das ganze Bereich der Kulturgeschichte, sondern nur
auf einzelne Gebiete derselben, einzelne Zweige des großen Baumes gerichtet haben,
wo alle Erscheinungen unrein, vermischt und verstümmelt auftreten. Namentlich die
Semiten und die Arier zu trennen, wie wenn dieselben jeder Theil für sich eigen¬
thümliche Sprache, Religion und Sitte entwickelt hätten, war ein folgenschwerer
Mißgriff.

Soweit die Kritik des Herrn Braun, und nun das Verfahren, wie er der
Sache abhelfen will. Nichts leichter als das. Lassen wir alle Speculation bei Seite,
sagt er, und folgen wir der Methode der Naturwissenschaft, die sich einfach an die
verständig benutzte Erfahrung hält. Auf diesem Wege aber finden wir, daß der
gesammte geistige Besitz der Menschheit in der ägyptischen Urzeit erworben und von
dieser im Laufe der Jahrtausende den übrigen Völkern der Erde allmälig mitgetheilt
worden ist. Dieses Ureigenthum an Ideen, dieser Stammschatz aller Mythen. Sagen
und Religionen, muß sich, so fährt unser Mytholog fort, in seiner ältesten Gestalt
wiederherstellen lassen, und einiges Nachdenken verhilft glücklich dahin. „Inmitten
einer wcltumfangenden Urgottheit unterschied man einen inncrweltlichcn Schöpfer,
geiht und den Urfeuergott. die Göttinnen Himmel und Erde, die Göttinnen Oberer
Raum und Unterwelt, einen Sonnengott und einen Mondgott. An diese Gottheiten,
welche Theile der Welt sind, und aus welcher die Binncnwelt sich ohne Lücke zusammen-
setzt, hat als zweites Element eine Gruppe sagcngcschichtlichcr Figuren sich angehängt,


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[0083] Indem wir die neue Auflage seines Werkes anmelden, grüßen wir auch ihn selbst, wir ersehnen seinem Leben ein rüstiges Schaffen und uns die reifen Früchte seiner Arbeit. Vermischte Literatur. Naturgeschichte der Sage. Von Julius Braun. München, Verlag von Fr. Bruckmann. 2 Bde. 1864 und 1865. Wie der Verfasser uns früher einmal bewiesen, daß alle Kunst aus Aegypten stammt, so fährt er jetzt fort und beweist, daß das Nilland, und speciell Unterägypten, die Urheimath aller Sagen- und Mythcnbildung ist. Bis jetzt, sagt er, ist die Mythologie ein Gebiet gewesen, auf dem die Hypothese sich ohne Rücksicht auf die Forderungen des gesunden Menschenverstandes breit machen konnte. Man hat sich völlig unbegründete Vorstellungen von 'den alten Religionen und Sagen gebildet und den Schöpfungen des antiken Geistes Motive untergelegt, die sich mit den überall gleichen Gesetzen des Denkens nicht in Einklang bringen lassen. Die Gelehrten sind serner auch insofern einen falschen Weg gegangen, als sie ihre Untersuchungen nicht auf das ganze Bereich der Kulturgeschichte, sondern nur auf einzelne Gebiete derselben, einzelne Zweige des großen Baumes gerichtet haben, wo alle Erscheinungen unrein, vermischt und verstümmelt auftreten. Namentlich die Semiten und die Arier zu trennen, wie wenn dieselben jeder Theil für sich eigen¬ thümliche Sprache, Religion und Sitte entwickelt hätten, war ein folgenschwerer Mißgriff. Soweit die Kritik des Herrn Braun, und nun das Verfahren, wie er der Sache abhelfen will. Nichts leichter als das. Lassen wir alle Speculation bei Seite, sagt er, und folgen wir der Methode der Naturwissenschaft, die sich einfach an die verständig benutzte Erfahrung hält. Auf diesem Wege aber finden wir, daß der gesammte geistige Besitz der Menschheit in der ägyptischen Urzeit erworben und von dieser im Laufe der Jahrtausende den übrigen Völkern der Erde allmälig mitgetheilt worden ist. Dieses Ureigenthum an Ideen, dieser Stammschatz aller Mythen. Sagen und Religionen, muß sich, so fährt unser Mytholog fort, in seiner ältesten Gestalt wiederherstellen lassen, und einiges Nachdenken verhilft glücklich dahin. „Inmitten einer wcltumfangenden Urgottheit unterschied man einen inncrweltlichcn Schöpfer, geiht und den Urfeuergott. die Göttinnen Himmel und Erde, die Göttinnen Oberer Raum und Unterwelt, einen Sonnengott und einen Mondgott. An diese Gottheiten, welche Theile der Welt sind, und aus welcher die Binncnwelt sich ohne Lücke zusammen- setzt, hat als zweites Element eine Gruppe sagcngcschichtlichcr Figuren sich angehängt, 10*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/83>, abgerufen am 29.06.2024.