Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.schmeichelt, was unserem nationalen Vorurtheil wohlthut und dem Selbstgefühl Die deutschen Verdienste dieses Geschichtswerkes sind oft gerühmt. Nirgend Seit Heinrich von Sybel die Revolutionsgeschichte schrieb, ist er durch viel¬ schmeichelt, was unserem nationalen Vorurtheil wohlthut und dem Selbstgefühl Die deutschen Verdienste dieses Geschichtswerkes sind oft gerühmt. Nirgend Seit Heinrich von Sybel die Revolutionsgeschichte schrieb, ist er durch viel¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284552"/> <p xml:id="ID_236" prev="#ID_235"> schmeichelt, was unserem nationalen Vorurtheil wohlthut und dem Selbstgefühl<lb/> anderer Völker wehthut, als echt deutsch schätzen. Grade die höchste Eigenschaft<lb/> unseres Volkscharakters ist offene, unbefangene, wahrhafte Auffassung der Er¬<lb/> eignisse, und der sittliche Ernst, der unser Urtheil leitet. Ueberall wo solche Eigen¬<lb/> schaften sich in der Seele des Historikers kräftig entwickelt zeigen, da wird uns<lb/> wohl und heimisch; und wir freuen uns dann herzlich, wenn aus der warmen<lb/> Farbe, mit welcher er die ehrlich gezeichneten Umrisse der Persönlichkeiten und<lb/> Ereignisse belebt, auch in Liebe und Haß dasselbe Gemüth erkennbar wird, wel¬<lb/> ches wir Leser zu dem Buche bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_237"> Die deutschen Verdienste dieses Geschichtswerkes sind oft gerühmt. Nirgend<lb/> waren vorher die socialen Leiden Frankreichs, welche die Revolution hervorriefen,<lb/> so parteilos und mit so eingehendem Verständniß geschildert, nirgend das Ur¬<lb/> theil über die schwachen Menschen, deren Zusammenspiel die blutige und kläg¬<lb/> liche Tragödie hervorbrachte, so unbefangen und nirgend dabei die Charakte¬<lb/> ristik so scharfsichtig und wahrhaft. Auch in Schilderung der deutschen und<lb/> osteuropäischen Staatsverhältnisse war neben nicht gemeiner Kunst der Dar¬<lb/> stellung dasselbe freie und sichere Urtheil sehr wohlthuend, und während der Leser<lb/> aus archivalen Forschungen den innern Zusammenhang der Thatsachen versteh»<lb/> lernte, fügte er sich zu gleicher Zeit vertrauend dem sicheren, und dabei ruhig<lb/> abwägenden Blick des Verfassers.</p><lb/> <p xml:id="ID_238" next="#ID_239"> Seit Heinrich von Sybel die Revolutionsgeschichte schrieb, ist er durch viel¬<lb/> fache wissenschaftliche, aber auch durch seine politische Thätigkeit in weiten Kreisen<lb/> ein wohl berühmter Mann geworden. Er war schon zu Marburg, als er die Ent¬<lb/> stehung der französischen Revolution, den innern Zerfall Polens, die treulose<lb/> Politik Oestreichs gegen das unsichere Preußen schilderte, ein verehrter Ge¬<lb/> nosse der großen liberalen Partei, welcher auch dies Blatt zu dienen sucht. Treu<lb/> hat er seine Ueberzeugungen in einer Hauptstadt des deutschen Südens bewahrt.<lb/> Als er an eine Universität des preußischen Staates trat, von dem er, wie wir,<lb/> trotz allem das Heil der deutschen Zukunft erwartet, da sollte ihm nicht ver¬<lb/> gönnt sein, die heitre Idylle eines Gelehrtenlebcns fortzuführen; denn um ihn<lb/> wogte ein erbitterter politischer Kampf, dem er sich nicht entziehn durfte. Es<lb/> kamen für ihn Jahre ernster Erfahrungen und, wie wir mit Trauer vernahmen,<lb/> auch körperlicher Leiden. Möge ihm, was er in dieser Zeit erlebt bat, das<lb/> Vertrauen zu der Tüchtigkeit und der großen politischen Bestimmung unserer<lb/> Nation nicht mindern, vor seinen Büchern wünschen wir ihm frische Kraft für<lb/> die Fortsetzung des nationalen Werkes, die er uns verheißen. Er gehört jetzt<lb/> zu den Männern, deren Geist und Tüchtigkeit die Deutschen sehr hochschätzen und<lb/> die dazu berufen sind, die ideale Habe, die wir von den Vätern überkamen, nach<lb/> Kräften zu mehren und in den Seelen eines jüngern Geschlechtes zu befestigen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0082]
schmeichelt, was unserem nationalen Vorurtheil wohlthut und dem Selbstgefühl
anderer Völker wehthut, als echt deutsch schätzen. Grade die höchste Eigenschaft
unseres Volkscharakters ist offene, unbefangene, wahrhafte Auffassung der Er¬
eignisse, und der sittliche Ernst, der unser Urtheil leitet. Ueberall wo solche Eigen¬
schaften sich in der Seele des Historikers kräftig entwickelt zeigen, da wird uns
wohl und heimisch; und wir freuen uns dann herzlich, wenn aus der warmen
Farbe, mit welcher er die ehrlich gezeichneten Umrisse der Persönlichkeiten und
Ereignisse belebt, auch in Liebe und Haß dasselbe Gemüth erkennbar wird, wel¬
ches wir Leser zu dem Buche bringen.
Die deutschen Verdienste dieses Geschichtswerkes sind oft gerühmt. Nirgend
waren vorher die socialen Leiden Frankreichs, welche die Revolution hervorriefen,
so parteilos und mit so eingehendem Verständniß geschildert, nirgend das Ur¬
theil über die schwachen Menschen, deren Zusammenspiel die blutige und kläg¬
liche Tragödie hervorbrachte, so unbefangen und nirgend dabei die Charakte¬
ristik so scharfsichtig und wahrhaft. Auch in Schilderung der deutschen und
osteuropäischen Staatsverhältnisse war neben nicht gemeiner Kunst der Dar¬
stellung dasselbe freie und sichere Urtheil sehr wohlthuend, und während der Leser
aus archivalen Forschungen den innern Zusammenhang der Thatsachen versteh»
lernte, fügte er sich zu gleicher Zeit vertrauend dem sicheren, und dabei ruhig
abwägenden Blick des Verfassers.
Seit Heinrich von Sybel die Revolutionsgeschichte schrieb, ist er durch viel¬
fache wissenschaftliche, aber auch durch seine politische Thätigkeit in weiten Kreisen
ein wohl berühmter Mann geworden. Er war schon zu Marburg, als er die Ent¬
stehung der französischen Revolution, den innern Zerfall Polens, die treulose
Politik Oestreichs gegen das unsichere Preußen schilderte, ein verehrter Ge¬
nosse der großen liberalen Partei, welcher auch dies Blatt zu dienen sucht. Treu
hat er seine Ueberzeugungen in einer Hauptstadt des deutschen Südens bewahrt.
Als er an eine Universität des preußischen Staates trat, von dem er, wie wir,
trotz allem das Heil der deutschen Zukunft erwartet, da sollte ihm nicht ver¬
gönnt sein, die heitre Idylle eines Gelehrtenlebcns fortzuführen; denn um ihn
wogte ein erbitterter politischer Kampf, dem er sich nicht entziehn durfte. Es
kamen für ihn Jahre ernster Erfahrungen und, wie wir mit Trauer vernahmen,
auch körperlicher Leiden. Möge ihm, was er in dieser Zeit erlebt bat, das
Vertrauen zu der Tüchtigkeit und der großen politischen Bestimmung unserer
Nation nicht mindern, vor seinen Büchern wünschen wir ihm frische Kraft für
die Fortsetzung des nationalen Werkes, die er uns verheißen. Er gehört jetzt
zu den Männern, deren Geist und Tüchtigkeit die Deutschen sehr hochschätzen und
die dazu berufen sind, die ideale Habe, die wir von den Vätern überkamen, nach
Kräften zu mehren und in den Seelen eines jüngern Geschlechtes zu befestigen.
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