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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Uebrigens wird man gewöhnlich dadurch, daß man verkannt wird, gerade
zu dem gebracht, wovon man durch Predigten abgehalten werden soll; denn
man hält es am Ende für einerlei, etwas zu sein, für was man schon lange
gegolten hat. -- Wenn man alles verloren hat. hat man nichts mehr zu ver¬
lieren -- auch keine Rücksichten mehr; man wird also durch das, was einen
davor bewahren soll, in das sogenannte Verderben gestürzt.

Aus meine Jugend kann man wohl eigentlich nichts schieben; denn ich habe
durch drei lange ganze Jahre hindurch gezeigt, daß ich im Stande sei, mich in
jeder Rücksicht zu beherrschen, nur um zu beweisen, daß ich nicht zu früh mündig
geworden sei. Während dieser Zei.t stand ich auf jede Weise als ein vorzüg¬
liches Beispiel für meine getreuen Unterthanen mäßig da. Da ich jedoch ge¬
funden habe, daß dieses mein exemplarisches Benehmen verkannt und die Be¬
wegungsgründe aus andern Ursachen als den wahren hergeleitet worden, so
habe ich mich bewogen gefunden, um ihnen diesen falschen Glauben zu nehmen,
mein Benehmen zu ändern und einen andern Menschen anzuziehen. Von Straf¬
barkeit kann wohl gar nicht die Rede sein; denn zum Strafen gehört auch
Einer, der es thut, und da findet sich bei mir ja Keiner, im Gegentheil eine
Menge unterthäniger Diener, die sich eine besondere Ehre daraus machen, meine
Befehle zu vollziehen. Bei so bewandten Umständen, jung, hübsch, reich,
mächtig und gänzlich unabhängig, mir allein selbst überlassen, wäre es kein
so großes Wunder, wenn ich etwas verdorben werde, und es wäre wohl mehr
den Umständen, als mir selbst zuzuschreiben. Wenn Du mich wirklick etwas gern
hättest, so solltest Du Dich freuen, daß ich nicht noch mehr verführt worden
sei, was doch leicht der Fall hätte sein können, wenn ich allem dem gefolgt
wäre, was ich auf meinen weiten großen Reisen gehört und gesehen habe und
was dort zum dorr ton apartenirt. --

Hier ist es langweilig für mich, besonders seitdem.......fort ist. --
Das bon veuxls soll sich freuen, daß ich anfange zu handeln, weil es dadurch
Hoffnung hat. mich längere Zeit hier zu sehen. Vielleicht wäre etwas rühren¬
des, wahres aus mir geworden, wenn ich unter Deine oder........Hände
gerathen wäre, die ich stets als schwesterliche betrachten werde. Jetzt sei es mir
gestattet, mein langes Epistel zu schließen, das ohnedies schon lang genug ge¬
worden ist. indem ich mich unterzeichne


Dein
trcugehorsamster Diener und Vetter

Schicke mir diesen Brief der Merkwürdigkeit wegen doch wieder zurück."

Es sind deutsche Worte, es sind die modernen Formen höflichen Brief-
stils, aber dahinter birgt sich dieselbe Krankheit, welche einst dem Caligulg


Uebrigens wird man gewöhnlich dadurch, daß man verkannt wird, gerade
zu dem gebracht, wovon man durch Predigten abgehalten werden soll; denn
man hält es am Ende für einerlei, etwas zu sein, für was man schon lange
gegolten hat. — Wenn man alles verloren hat. hat man nichts mehr zu ver¬
lieren — auch keine Rücksichten mehr; man wird also durch das, was einen
davor bewahren soll, in das sogenannte Verderben gestürzt.

Aus meine Jugend kann man wohl eigentlich nichts schieben; denn ich habe
durch drei lange ganze Jahre hindurch gezeigt, daß ich im Stande sei, mich in
jeder Rücksicht zu beherrschen, nur um zu beweisen, daß ich nicht zu früh mündig
geworden sei. Während dieser Zei.t stand ich auf jede Weise als ein vorzüg¬
liches Beispiel für meine getreuen Unterthanen mäßig da. Da ich jedoch ge¬
funden habe, daß dieses mein exemplarisches Benehmen verkannt und die Be¬
wegungsgründe aus andern Ursachen als den wahren hergeleitet worden, so
habe ich mich bewogen gefunden, um ihnen diesen falschen Glauben zu nehmen,
mein Benehmen zu ändern und einen andern Menschen anzuziehen. Von Straf¬
barkeit kann wohl gar nicht die Rede sein; denn zum Strafen gehört auch
Einer, der es thut, und da findet sich bei mir ja Keiner, im Gegentheil eine
Menge unterthäniger Diener, die sich eine besondere Ehre daraus machen, meine
Befehle zu vollziehen. Bei so bewandten Umständen, jung, hübsch, reich,
mächtig und gänzlich unabhängig, mir allein selbst überlassen, wäre es kein
so großes Wunder, wenn ich etwas verdorben werde, und es wäre wohl mehr
den Umständen, als mir selbst zuzuschreiben. Wenn Du mich wirklick etwas gern
hättest, so solltest Du Dich freuen, daß ich nicht noch mehr verführt worden
sei, was doch leicht der Fall hätte sein können, wenn ich allem dem gefolgt
wäre, was ich auf meinen weiten großen Reisen gehört und gesehen habe und
was dort zum dorr ton apartenirt. —

Hier ist es langweilig für mich, besonders seitdem.......fort ist. —
Das bon veuxls soll sich freuen, daß ich anfange zu handeln, weil es dadurch
Hoffnung hat. mich längere Zeit hier zu sehen. Vielleicht wäre etwas rühren¬
des, wahres aus mir geworden, wenn ich unter Deine oder........Hände
gerathen wäre, die ich stets als schwesterliche betrachten werde. Jetzt sei es mir
gestattet, mein langes Epistel zu schließen, das ohnedies schon lang genug ge¬
worden ist. indem ich mich unterzeichne


Dein
trcugehorsamster Diener und Vetter

Schicke mir diesen Brief der Merkwürdigkeit wegen doch wieder zurück."

Es sind deutsche Worte, es sind die modernen Formen höflichen Brief-
stils, aber dahinter birgt sich dieselbe Krankheit, welche einst dem Caligulg


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[0079] Uebrigens wird man gewöhnlich dadurch, daß man verkannt wird, gerade zu dem gebracht, wovon man durch Predigten abgehalten werden soll; denn man hält es am Ende für einerlei, etwas zu sein, für was man schon lange gegolten hat. — Wenn man alles verloren hat. hat man nichts mehr zu ver¬ lieren — auch keine Rücksichten mehr; man wird also durch das, was einen davor bewahren soll, in das sogenannte Verderben gestürzt. Aus meine Jugend kann man wohl eigentlich nichts schieben; denn ich habe durch drei lange ganze Jahre hindurch gezeigt, daß ich im Stande sei, mich in jeder Rücksicht zu beherrschen, nur um zu beweisen, daß ich nicht zu früh mündig geworden sei. Während dieser Zei.t stand ich auf jede Weise als ein vorzüg¬ liches Beispiel für meine getreuen Unterthanen mäßig da. Da ich jedoch ge¬ funden habe, daß dieses mein exemplarisches Benehmen verkannt und die Be¬ wegungsgründe aus andern Ursachen als den wahren hergeleitet worden, so habe ich mich bewogen gefunden, um ihnen diesen falschen Glauben zu nehmen, mein Benehmen zu ändern und einen andern Menschen anzuziehen. Von Straf¬ barkeit kann wohl gar nicht die Rede sein; denn zum Strafen gehört auch Einer, der es thut, und da findet sich bei mir ja Keiner, im Gegentheil eine Menge unterthäniger Diener, die sich eine besondere Ehre daraus machen, meine Befehle zu vollziehen. Bei so bewandten Umständen, jung, hübsch, reich, mächtig und gänzlich unabhängig, mir allein selbst überlassen, wäre es kein so großes Wunder, wenn ich etwas verdorben werde, und es wäre wohl mehr den Umständen, als mir selbst zuzuschreiben. Wenn Du mich wirklick etwas gern hättest, so solltest Du Dich freuen, daß ich nicht noch mehr verführt worden sei, was doch leicht der Fall hätte sein können, wenn ich allem dem gefolgt wäre, was ich auf meinen weiten großen Reisen gehört und gesehen habe und was dort zum dorr ton apartenirt. — Hier ist es langweilig für mich, besonders seitdem.......fort ist. — Das bon veuxls soll sich freuen, daß ich anfange zu handeln, weil es dadurch Hoffnung hat. mich längere Zeit hier zu sehen. Vielleicht wäre etwas rühren¬ des, wahres aus mir geworden, wenn ich unter Deine oder........Hände gerathen wäre, die ich stets als schwesterliche betrachten werde. Jetzt sei es mir gestattet, mein langes Epistel zu schließen, das ohnedies schon lang genug ge¬ worden ist. indem ich mich unterzeichne Dein trcugehorsamster Diener und Vetter Schicke mir diesen Brief der Merkwürdigkeit wegen doch wieder zurück." Es sind deutsche Worte, es sind die modernen Formen höflichen Brief- stils, aber dahinter birgt sich dieselbe Krankheit, welche einst dem Caligulg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/79>, abgerufen am 29.06.2024.