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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Interesse, weil sie lehren, wie es noch vor wenigen Jahrzehnten im Innern eines
vornehmen Mannes aussehn konnte, wenn dieser ein arger Mensch war.

Der Brief lautet wortgetreu folgendermaßen:

........am 28. November 1826.

"Daß doch nicht alles gute Gefühl in mir erstickt ist, möge Dir der Schmerz
bezeugen, mit dem ich Deinen letzten Brief las, liebe......, in dem Du
mir auf ewig Lebewohl sagst. --

In wiefern dieser für mich harte Spruch gerecht sein mag, überlasse ich
Deinem eigenen Ermessen; es soll und muß mir genügen, daß er von einer so
nahen Verwandtin und theuern Cousine (wenn ich sie noch so nennen darf, es
ist ja vielleicht zum letzten Male) ausgeht, die selbst zu richtig und gut denkt
und handelt, um irgend Jemanden, am wenigsten aber einen so nahen Ver¬
wandten ohne die triftigsten und bestimmtesten Gründe so hart zu kränken. Ver¬
zeih mir, daß ich Dir noch einmal wieder schreibe, da Du doch dieses, indem
Du mich ungehört verurtheilt hast, nicht haben zu wollen scheinst, und erlaube
mir, Dir in aller Unterthänigkeit für den Antheil zu danken, den Du mir be¬
zeigt, und für die Offenheit, welche mir bei der ungemeinen Freundschaft, die
ich für Dich empfinde, höchst werth sein muß. Durch das Aus dem Herzen
beHallen und hin und her hören und tragen geschieht ja das meiste Unglück
auf der Weil; denn je weiter etwas kommt, je mehr wird es verdreht. Dies
würde mich, wenn es nicht ohnehin schon als Regent meine Schuldigkeit wäre,
immer noch mehr dazu bestimmen, nie eher über Etwas abzusprechen, als bis
ich beide Theile gehört hätte.

Durch eine Reihefolge früherer Begebenheiten bin ich gezwungen worden,
Schrille vor der Weit zu thun, die vielleicht Dir und Andern, die nicht näher
mit den Ursachen derselben bekannt sind, wie freier losgelassener Wille vorkom¬
men, und die doch nur die unabänderlichen Folgen des Obenerwähnten sind,
Schrille, die mir noch unangenehmer sind, als sie es Dir nur scheinen können.
Aber vorwärts muß ich, soll ich nicht vor meinem Gewissen (vordem ich mich
bis jetzt Gottlob! noch sehr gut verantworten kann) noch weit tadelhafter sein,
als ich es Dir vorkomme. Meine Großmutter, die mich auch über Einiges,
ausgefragt hat und der ich geantwortet, hat mich nicht so hart, wie Du, son¬
dern im Gegentheil beurtheilt. Wenn Du mich sprechen könntest, würde ich Dir
manches besser auseinandersetzen können, als so schriftlich. Davon bin ich fest
überzeugt, daß Güte bei uns fast immer als Schwäche und Dummheit ausge¬
legt wird, und das mag ein Andrer ertragen; ich bin es müde und werde es
beweisen; es soll schon noch ganz besser kommen. Richten kann mich Niemand;
ich stehe allein unter Gott und meinem Gewissen und vor beiden kann ich mich
verantworten.


Interesse, weil sie lehren, wie es noch vor wenigen Jahrzehnten im Innern eines
vornehmen Mannes aussehn konnte, wenn dieser ein arger Mensch war.

Der Brief lautet wortgetreu folgendermaßen:

........am 28. November 1826.

„Daß doch nicht alles gute Gefühl in mir erstickt ist, möge Dir der Schmerz
bezeugen, mit dem ich Deinen letzten Brief las, liebe......, in dem Du
mir auf ewig Lebewohl sagst. —

In wiefern dieser für mich harte Spruch gerecht sein mag, überlasse ich
Deinem eigenen Ermessen; es soll und muß mir genügen, daß er von einer so
nahen Verwandtin und theuern Cousine (wenn ich sie noch so nennen darf, es
ist ja vielleicht zum letzten Male) ausgeht, die selbst zu richtig und gut denkt
und handelt, um irgend Jemanden, am wenigsten aber einen so nahen Ver¬
wandten ohne die triftigsten und bestimmtesten Gründe so hart zu kränken. Ver¬
zeih mir, daß ich Dir noch einmal wieder schreibe, da Du doch dieses, indem
Du mich ungehört verurtheilt hast, nicht haben zu wollen scheinst, und erlaube
mir, Dir in aller Unterthänigkeit für den Antheil zu danken, den Du mir be¬
zeigt, und für die Offenheit, welche mir bei der ungemeinen Freundschaft, die
ich für Dich empfinde, höchst werth sein muß. Durch das Aus dem Herzen
beHallen und hin und her hören und tragen geschieht ja das meiste Unglück
auf der Weil; denn je weiter etwas kommt, je mehr wird es verdreht. Dies
würde mich, wenn es nicht ohnehin schon als Regent meine Schuldigkeit wäre,
immer noch mehr dazu bestimmen, nie eher über Etwas abzusprechen, als bis
ich beide Theile gehört hätte.

Durch eine Reihefolge früherer Begebenheiten bin ich gezwungen worden,
Schrille vor der Weit zu thun, die vielleicht Dir und Andern, die nicht näher
mit den Ursachen derselben bekannt sind, wie freier losgelassener Wille vorkom¬
men, und die doch nur die unabänderlichen Folgen des Obenerwähnten sind,
Schrille, die mir noch unangenehmer sind, als sie es Dir nur scheinen können.
Aber vorwärts muß ich, soll ich nicht vor meinem Gewissen (vordem ich mich
bis jetzt Gottlob! noch sehr gut verantworten kann) noch weit tadelhafter sein,
als ich es Dir vorkomme. Meine Großmutter, die mich auch über Einiges,
ausgefragt hat und der ich geantwortet, hat mich nicht so hart, wie Du, son¬
dern im Gegentheil beurtheilt. Wenn Du mich sprechen könntest, würde ich Dir
manches besser auseinandersetzen können, als so schriftlich. Davon bin ich fest
überzeugt, daß Güte bei uns fast immer als Schwäche und Dummheit ausge¬
legt wird, und das mag ein Andrer ertragen; ich bin es müde und werde es
beweisen; es soll schon noch ganz besser kommen. Richten kann mich Niemand;
ich stehe allein unter Gott und meinem Gewissen und vor beiden kann ich mich
verantworten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/78>, abgerufen am 29.06.2024.