Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.den Entschluß eingab, sein Leibpferd zum Consul zu machen, und den bau- Aber noch auffälliger ist eine andere Eigenschaft des Briefstellers: die kühle Es wäre nicht wohlanständig, aus dieser furchtbaren Lebensäußerung eines Allerdings, durck eine starke öffentliche Meinung, durch Beamte, welche ihre den Entschluß eingab, sein Leibpferd zum Consul zu machen, und den bau- Aber noch auffälliger ist eine andere Eigenschaft des Briefstellers: die kühle Es wäre nicht wohlanständig, aus dieser furchtbaren Lebensäußerung eines Allerdings, durck eine starke öffentliche Meinung, durch Beamte, welche ihre <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0080" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284550"/> <p xml:id="ID_229" prev="#ID_228"> den Entschluß eingab, sein Leibpferd zum Consul zu machen, und den bau-<lb/> lustigen Kaiser Nero antrieb, das alte winklige Rom anzuzünden. Der Leser<lb/> thut einen tiefen Blick in ein gänzlich verwüstetes und dabei doch knabenhaftes<lb/> Wesen. Der Schreibende ist Regent, er ist Herr, wer kann ihm etwas verbieten.<lb/> Wenn er sich einmal ein Gelüst versagt, so ist das eine Gutmüthigkeit, auf<lb/> welche die Welt keine Ansprüche hat, wenn er das Schlechte thut, eitel, lüstern,<lb/> trotzig, so hilft er sich da. wo er etwa noch Rücksicht zu nehmen hat. mit einem<lb/> Achselzucken heraus, indem er die Schuld auf seine Umgebung und böses Beispiel<lb/> schiebt und die eigene Mäßigung lobt, da er ja noch weit schlechter sein könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_230"> Aber noch auffälliger ist eine andere Eigenschaft des Briefstellers: die kühle<lb/> Objectivität, mit welcher er sich selbst beurtheilt. Die Empfindung, daß etwas<lb/> in ihm zerbrochen ist. fehlt ihm nicht ganz, aber es- ist ein mit kindischer Eitel¬<lb/> keit versetztes Gefühl, ohne jede Spur von Reue, ohne jeden Wunsch anders<lb/> zu sein; denn die Schlußworte sind doch nur eine höfliche Phrase. Daß ihm<lb/> nachträglich der Gedanke kommt, wie auffällig sein Selbstbekenntnis^ ist, das<lb/> beweist der Einfall, den er nach dem Schlüsse ausspricht, der Empfänger möge<lb/> ihm den Brief „der Merkwürdigkeit wegen" doch wieder zurückschicken. Dieses<lb/> befremdende Begreifen seiner selbst ist vielleicht am unheimlichsten, es gleicht<lb/> bereits dem Lächeln eines Vernunftlosen.</p><lb/> <p xml:id="ID_231"> Es wäre nicht wohlanständig, aus dieser furchtbaren Lebensäußerung eines<lb/> Einzelnen ein abschätzendes Urtheil über andere Zeitgenossen herleiten zu wollen.<lb/> Wer aber die letzten Gründe sucht, aus denen ein zuchtloser Knabe, der auf<lb/> einen Fürstenthron versetzt wurde, so kläglich verfiel, der wird sich doch sagen,<lb/> weil seinem Leben zu sehr die Schranken fehlten, durch welche die Mitlebenden<lb/> den Egoismus des Einen bändigen. Es existirte damals keine öffentliche Meinung,<lb/> welche auf dem Throne imponirte, keine politische Umgebung, welche in Wahr'<lb/> heit einer rührigen und wachsamen Volkskraft verantwortlich war; den schleckten<lb/> Neigungen eines Fürsten schmeicheln und durch seine Schwäche die Regierung<lb/> behaupten war thunlich, ohne daß der intriguante Beamte des Hofes oder<lb/> Staats ein verurtheilendes Gesetz zu fürchten hatte. Die Zustände, welche<lb/> in solcher Zeit hier und da in Deutschland erlebt wurden, bewiesen unseren<lb/> Vätern, wie groß das Unheil ist. welches durch ein persönliches Regiment<lb/> hervorgebracht werden kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_232"> Allerdings, durck eine starke öffentliche Meinung, durch Beamte, welche ihre<lb/> Verantwortlichkeit gegen das Gesetz, ihre Verfassung und das Volk in jeder Stunde<lb/> gewissenhaft empfinden, wird ein sittenloser Jüngling nicht gut, ein unfähiger<lb/> Fürst nicht tüchtig. Aber solche Beschränkung wehrt doch in der Regierung des<lb/> Staates das Unrecht ab und sie zwingt auch das Privatleben des Fürsten zu<lb/> Rücksichten welche seiner Umgebung Unglück und Verbrechen, ihm selbst gänz¬<lb/> lichen Verfall fern halten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0080]
den Entschluß eingab, sein Leibpferd zum Consul zu machen, und den bau-
lustigen Kaiser Nero antrieb, das alte winklige Rom anzuzünden. Der Leser
thut einen tiefen Blick in ein gänzlich verwüstetes und dabei doch knabenhaftes
Wesen. Der Schreibende ist Regent, er ist Herr, wer kann ihm etwas verbieten.
Wenn er sich einmal ein Gelüst versagt, so ist das eine Gutmüthigkeit, auf
welche die Welt keine Ansprüche hat, wenn er das Schlechte thut, eitel, lüstern,
trotzig, so hilft er sich da. wo er etwa noch Rücksicht zu nehmen hat. mit einem
Achselzucken heraus, indem er die Schuld auf seine Umgebung und böses Beispiel
schiebt und die eigene Mäßigung lobt, da er ja noch weit schlechter sein könnte.
Aber noch auffälliger ist eine andere Eigenschaft des Briefstellers: die kühle
Objectivität, mit welcher er sich selbst beurtheilt. Die Empfindung, daß etwas
in ihm zerbrochen ist. fehlt ihm nicht ganz, aber es- ist ein mit kindischer Eitel¬
keit versetztes Gefühl, ohne jede Spur von Reue, ohne jeden Wunsch anders
zu sein; denn die Schlußworte sind doch nur eine höfliche Phrase. Daß ihm
nachträglich der Gedanke kommt, wie auffällig sein Selbstbekenntnis^ ist, das
beweist der Einfall, den er nach dem Schlüsse ausspricht, der Empfänger möge
ihm den Brief „der Merkwürdigkeit wegen" doch wieder zurückschicken. Dieses
befremdende Begreifen seiner selbst ist vielleicht am unheimlichsten, es gleicht
bereits dem Lächeln eines Vernunftlosen.
Es wäre nicht wohlanständig, aus dieser furchtbaren Lebensäußerung eines
Einzelnen ein abschätzendes Urtheil über andere Zeitgenossen herleiten zu wollen.
Wer aber die letzten Gründe sucht, aus denen ein zuchtloser Knabe, der auf
einen Fürstenthron versetzt wurde, so kläglich verfiel, der wird sich doch sagen,
weil seinem Leben zu sehr die Schranken fehlten, durch welche die Mitlebenden
den Egoismus des Einen bändigen. Es existirte damals keine öffentliche Meinung,
welche auf dem Throne imponirte, keine politische Umgebung, welche in Wahr'
heit einer rührigen und wachsamen Volkskraft verantwortlich war; den schleckten
Neigungen eines Fürsten schmeicheln und durch seine Schwäche die Regierung
behaupten war thunlich, ohne daß der intriguante Beamte des Hofes oder
Staats ein verurtheilendes Gesetz zu fürchten hatte. Die Zustände, welche
in solcher Zeit hier und da in Deutschland erlebt wurden, bewiesen unseren
Vätern, wie groß das Unheil ist. welches durch ein persönliches Regiment
hervorgebracht werden kann.
Allerdings, durck eine starke öffentliche Meinung, durch Beamte, welche ihre
Verantwortlichkeit gegen das Gesetz, ihre Verfassung und das Volk in jeder Stunde
gewissenhaft empfinden, wird ein sittenloser Jüngling nicht gut, ein unfähiger
Fürst nicht tüchtig. Aber solche Beschränkung wehrt doch in der Regierung des
Staates das Unrecht ab und sie zwingt auch das Privatleben des Fürsten zu
Rücksichten welche seiner Umgebung Unglück und Verbrechen, ihm selbst gänz¬
lichen Verfall fern halten.
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