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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Brief eines Fürsten.

In den letzten Wochen, in denen der Tod eines weisen Königs aus deut¬
schem Stamme im Vordergrund des Interesse stand, hatte der Deutsche mehr¬
fache Veranlassung der Jahre zu gedenken, in denen die Julirevolution sich vor¬
bereitete und die Gründung des Königreichs Belgien möglich wurde. Die Ach¬
tung vor der gesetzlichen Negierung des verstorbenen Königs steigert sich, wenn
man in die öden Jahre seiner Jugend zurückblickt, in die Jahre, welche von
dem pariser Frieden bis zur Vertretung der französischen Bvurvonen auf Deutsch¬
land lagen. Niemand litt damals unter der Schwäche des deutschen Lebens
mehr als die Regenten selbst, welche so eifrig bemüht waren, ihre Völker zu
ruhiger Unterwürfigkeit zu zwingen. Vielleicht wird der Geschichtschreiber einer
Zukunft an den besten Charakteren dieser Periode eine Stelle in ihrem In¬
nern finden, wo sie krank wurden durch das Schweigen und die Unkraft ihrer
Völker, ausfallend tritt das Leiden jener Vergangenheit in einzelnen grotesken
und zuchtlosen Fürstengestalten hervor, welche ihr Schicksal erreicht hat.

Dies zu erkennen wird der folgende Brief aus der Feder eines Souveräns
dienen. Der Mann, welcher ihn geschrieben, ist tot, dreimal tot für uns. und
in seiner Veröffentlichung liegt keine Indiscretion. Sein Brief flog, als Manche
noch nicht lebten, deren Auge aus diesen Blättern ruht, aus den Flammen des
angezündeten Schlosses seiner Väter in das Volk. Aber die äußeren Verhält¬
nisse des Schreibers und an wen er den Brief geschrieben, sollen hier nicht
kümmern, alle Namen sind getilgt, die Zeilen beanspruchen nur deshalb ein





Brief eines Fürsten.

In den letzten Wochen, in denen der Tod eines weisen Königs aus deut¬
schem Stamme im Vordergrund des Interesse stand, hatte der Deutsche mehr¬
fache Veranlassung der Jahre zu gedenken, in denen die Julirevolution sich vor¬
bereitete und die Gründung des Königreichs Belgien möglich wurde. Die Ach¬
tung vor der gesetzlichen Negierung des verstorbenen Königs steigert sich, wenn
man in die öden Jahre seiner Jugend zurückblickt, in die Jahre, welche von
dem pariser Frieden bis zur Vertretung der französischen Bvurvonen auf Deutsch¬
land lagen. Niemand litt damals unter der Schwäche des deutschen Lebens
mehr als die Regenten selbst, welche so eifrig bemüht waren, ihre Völker zu
ruhiger Unterwürfigkeit zu zwingen. Vielleicht wird der Geschichtschreiber einer
Zukunft an den besten Charakteren dieser Periode eine Stelle in ihrem In¬
nern finden, wo sie krank wurden durch das Schweigen und die Unkraft ihrer
Völker, ausfallend tritt das Leiden jener Vergangenheit in einzelnen grotesken
und zuchtlosen Fürstengestalten hervor, welche ihr Schicksal erreicht hat.

Dies zu erkennen wird der folgende Brief aus der Feder eines Souveräns
dienen. Der Mann, welcher ihn geschrieben, ist tot, dreimal tot für uns. und
in seiner Veröffentlichung liegt keine Indiscretion. Sein Brief flog, als Manche
noch nicht lebten, deren Auge aus diesen Blättern ruht, aus den Flammen des
angezündeten Schlosses seiner Väter in das Volk. Aber die äußeren Verhält¬
nisse des Schreibers und an wen er den Brief geschrieben, sollen hier nicht
kümmern, alle Namen sind getilgt, die Zeilen beanspruchen nur deshalb ein


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[0077] Brief eines Fürsten. In den letzten Wochen, in denen der Tod eines weisen Königs aus deut¬ schem Stamme im Vordergrund des Interesse stand, hatte der Deutsche mehr¬ fache Veranlassung der Jahre zu gedenken, in denen die Julirevolution sich vor¬ bereitete und die Gründung des Königreichs Belgien möglich wurde. Die Ach¬ tung vor der gesetzlichen Negierung des verstorbenen Königs steigert sich, wenn man in die öden Jahre seiner Jugend zurückblickt, in die Jahre, welche von dem pariser Frieden bis zur Vertretung der französischen Bvurvonen auf Deutsch¬ land lagen. Niemand litt damals unter der Schwäche des deutschen Lebens mehr als die Regenten selbst, welche so eifrig bemüht waren, ihre Völker zu ruhiger Unterwürfigkeit zu zwingen. Vielleicht wird der Geschichtschreiber einer Zukunft an den besten Charakteren dieser Periode eine Stelle in ihrem In¬ nern finden, wo sie krank wurden durch das Schweigen und die Unkraft ihrer Völker, ausfallend tritt das Leiden jener Vergangenheit in einzelnen grotesken und zuchtlosen Fürstengestalten hervor, welche ihr Schicksal erreicht hat. Dies zu erkennen wird der folgende Brief aus der Feder eines Souveräns dienen. Der Mann, welcher ihn geschrieben, ist tot, dreimal tot für uns. und in seiner Veröffentlichung liegt keine Indiscretion. Sein Brief flog, als Manche noch nicht lebten, deren Auge aus diesen Blättern ruht, aus den Flammen des angezündeten Schlosses seiner Väter in das Volk. Aber die äußeren Verhält¬ nisse des Schreibers und an wen er den Brief geschrieben, sollen hier nicht kümmern, alle Namen sind getilgt, die Zeilen beanspruchen nur deshalb ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/77>, abgerufen am 29.06.2024.