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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Manuscript auf der Bibliothek zu Paris, nur daß hier der Pfau als der wür¬
digere Repräsentant erscheint. Robert von Avtvis hatte also diese damals all¬
gemein verbreitete ritterliche Sitte vor Augen; aber er travestirte sie für seinen
Zweck durch die Wahl eines Vogels, der als Sinnbild der Feigheit galt.

Froissart, der treue Erzähler der Begebenheiten jenes Krieges, erzählt nun,
(I. e. 37), daß Walther de Maury den Rittern und Damen des Hofes von
England feierlich gelobt gehabt habe, der erste in dem Heere sein zu wollen,
welcher den Boden Frankreichs betrete, und die erste Festung dort nehmen
zu wollen; dies habe er gethan, indem er sofort dem Heere mit vierzig Ge¬
fährten vorangeeilt sei u. s. w. Daß Walther jenes aber gelobte, berichtet unser
Gedicht.

Froissart erzählt serner (I. e. 29), daß bei der Gesandtschaft, welche Eduard
nach Valenciennes zur Eingehung des Bündnisses mit dem Grafen von Hennegau
gesendet hatte, sich mehre junge Ritter befunden hätten, welche über das eine
Auge eine Binde getragen, weil sie ihren Damen gelobt hätten, ihr eines
Auge nicht eher zu öffnen, als bis sie diese oder jene That im Kriege voll¬
bracht. Li eil avoit okaouir ^rana werveüle, fügt der Chronist hinzu. So
war aber jenes Gelübde des Grafen Salisbury, von welchem unser Dichter
spricht.

Unnatürlich, wenn nur entfernt wahr, würde das Gelübde der Königin
Philippe gewesen sein. Aber auch dies war in jener Zeit wunderbarer
Sitten und Thaten, die unsren Anschauungen so fremd sind, nichts Ungewöhn¬
liches. So erzählt Joinville in der Histoire Ac Le. I^ouis, daß sich bei dem
Kreuzzuge dieses Königs seine Gattin Marguerite, der Entbindung nahe, in
Damiette befand, als dies von den Sarazenen belagert wurde. Da rief sie
einen ihrer Ritter und forderte das feierliche Gelübde von ihm, daß er sie und
ihr Kind tödten wolle, sobald die Sarazenen in die Stadt eindringen würden.
Und der Ritter gelobte es, fügte aber hinzu, daß er es ohnedies auch gethan
haben würde. Aehnliche Züge eines wilden Heroismus werden von andren
Frauen berichtet.

Uebrigens hat unser Dichter auch in sofern richtig erzählt, daß die Königin
guter Hoffnung war, und nicht in England, wie sie gelobt, geboren hat.
Eduard und seine Gattin landeten am 22. Juli 1338 mit dem Heer in Ant¬
werpen, und dort gebar die Königin am 29. November desselben Jahres einen
Sohn, Lionel genannt, den später sein Vater zum Herzog von Clarence er¬
nannte. Ist die Mutter in der Stunde seiner Geburt ihres heroischen Gelübdes
eingedenk gewesen, so wurde es in der Gestalt dieses Sohnes gesegnet; denn
er wurde der schönste Ritter seiner Zeit, von Allen bewundert, ein Niese an
Gestalt, ein Roland im Kampfe, in dem er auch sein Leben verlor. Ein alter
Dichter schildert ihn so:


Manuscript auf der Bibliothek zu Paris, nur daß hier der Pfau als der wür¬
digere Repräsentant erscheint. Robert von Avtvis hatte also diese damals all¬
gemein verbreitete ritterliche Sitte vor Augen; aber er travestirte sie für seinen
Zweck durch die Wahl eines Vogels, der als Sinnbild der Feigheit galt.

Froissart, der treue Erzähler der Begebenheiten jenes Krieges, erzählt nun,
(I. e. 37), daß Walther de Maury den Rittern und Damen des Hofes von
England feierlich gelobt gehabt habe, der erste in dem Heere sein zu wollen,
welcher den Boden Frankreichs betrete, und die erste Festung dort nehmen
zu wollen; dies habe er gethan, indem er sofort dem Heere mit vierzig Ge¬
fährten vorangeeilt sei u. s. w. Daß Walther jenes aber gelobte, berichtet unser
Gedicht.

Froissart erzählt serner (I. e. 29), daß bei der Gesandtschaft, welche Eduard
nach Valenciennes zur Eingehung des Bündnisses mit dem Grafen von Hennegau
gesendet hatte, sich mehre junge Ritter befunden hätten, welche über das eine
Auge eine Binde getragen, weil sie ihren Damen gelobt hätten, ihr eines
Auge nicht eher zu öffnen, als bis sie diese oder jene That im Kriege voll¬
bracht. Li eil avoit okaouir ^rana werveüle, fügt der Chronist hinzu. So
war aber jenes Gelübde des Grafen Salisbury, von welchem unser Dichter
spricht.

Unnatürlich, wenn nur entfernt wahr, würde das Gelübde der Königin
Philippe gewesen sein. Aber auch dies war in jener Zeit wunderbarer
Sitten und Thaten, die unsren Anschauungen so fremd sind, nichts Ungewöhn¬
liches. So erzählt Joinville in der Histoire Ac Le. I^ouis, daß sich bei dem
Kreuzzuge dieses Königs seine Gattin Marguerite, der Entbindung nahe, in
Damiette befand, als dies von den Sarazenen belagert wurde. Da rief sie
einen ihrer Ritter und forderte das feierliche Gelübde von ihm, daß er sie und
ihr Kind tödten wolle, sobald die Sarazenen in die Stadt eindringen würden.
Und der Ritter gelobte es, fügte aber hinzu, daß er es ohnedies auch gethan
haben würde. Aehnliche Züge eines wilden Heroismus werden von andren
Frauen berichtet.

Uebrigens hat unser Dichter auch in sofern richtig erzählt, daß die Königin
guter Hoffnung war, und nicht in England, wie sie gelobt, geboren hat.
Eduard und seine Gattin landeten am 22. Juli 1338 mit dem Heer in Ant¬
werpen, und dort gebar die Königin am 29. November desselben Jahres einen
Sohn, Lionel genannt, den später sein Vater zum Herzog von Clarence er¬
nannte. Ist die Mutter in der Stunde seiner Geburt ihres heroischen Gelübdes
eingedenk gewesen, so wurde es in der Gestalt dieses Sohnes gesegnet; denn
er wurde der schönste Ritter seiner Zeit, von Allen bewundert, ein Niese an
Gestalt, ein Roland im Kampfe, in dem er auch sein Leben verlor. Ein alter
Dichter schildert ihn so:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/76>, abgerufen am 28.09.2024.