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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Wie viele werden dann wünschen, lieber in diesen glänzenden Hallen zu weilen.
Glaubt ihr aber, daß ich deshalb mein Theil an dem Kampfe verweigere?"

Zuletzt trat Robert vor die Königin Philippe, kniete nieder und bat
sie, nun auch ihr Herz vor der Versammlung zu eröffnen.

Die Königin entgegnete:

"Vasallin meines Herrn und durch die heiligen Bande der Ehe ihm
verbunden, vermag ich nichts zu geloben ohne seinen Willen und seine Ge¬
stattung/'

Darauf trat der König an sie und sagte ihr:

"Macht ein Gelübde, wie es euch gefällt; ich genehmige es im Voraus
und will es selbst erfüllen, wenn es mir möglich ist."

Da sprach die Königin mit erhobener Stimme diese schrecklichen Worte:

"Ick fühle, daß ich ein Leben unter meiner Brust trage. Gott und der
heiligen Jungfrau weihe ich diese Frucht meines Schoßes; aber sie soll kein
Leben gewinnen vor dem Tage, wo der König mich mit sich über das Meer
geführt haben wird. Wird sie früher geboren, so soll dieser Dolch mein und
ihr Leben beenden."

Ergriffen von diesem entsetzlichen Gelübde befahl der König dem Grafen
Robert seinen Umgang zu enden. Er selbst aber ging, erfüllt von den Ver¬
heißungen, sein großes Werk zu beginnen.

So weit unser Gedicht, das wir nur in der Kürze wiedergegeben haben.

Es ist nicht ohne Interesse, zu fragen, ob und in wie weit der Erzählung
Wahres zum Grunde liege? Dafür bietet sich allerdings hin und wieder ein
Anhalt. Zuerst ist die Sprache durchaus die des vierzehnten Jahrhunderts; sie
stimmt mit andern französischen Gedichten und mit Chroniken aus der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts vollkommen überein. Das Gedicht scheint in No-rd-
frankreich entstanden zu sein. Es enthält sodann zahlreiche Andeutungen in
Beziehung auf Personen und Begebenheiten, die damals gewiß bekannter waren;
es enthält ferner eine nicht undeutliche Beziehung auf die Parteistellungen jener
Zeit zu der großen Streitsrage, die beide Völker so gewaltig bewegte; das
Ganze hat den Anschein, in dem Gewände der Poesie und durch die fast dra-
matische Darstellung eines denkwürdigen glänzenden Ereignisses an dem eng¬
lischen Hofe, das die Leidenschaften der Zeit in großen Zügen zur Erscheinung
brachte, eine Rechtfertigung für das Unternehmen des Königs geben zu wollen.
Also ein Genosse Mer Tage, und zwar ein reich begabter, war der Verfasser.
Mag es sodann auch richtig sein. daß. wie besonders französische Chronisten
und Geschichtschreiber in ihrem Hasse gegen den Verräther seines Vaterlandes
behaupten, Roberts stete Anreizungen den König nach und nach zu seinem Ent¬
schlüsse erweckt haben mögen, so ist es doch wohl mehr die Erfindung des Dich-


Gr-nzbolen I. 1866. 9

Wie viele werden dann wünschen, lieber in diesen glänzenden Hallen zu weilen.
Glaubt ihr aber, daß ich deshalb mein Theil an dem Kampfe verweigere?"

Zuletzt trat Robert vor die Königin Philippe, kniete nieder und bat
sie, nun auch ihr Herz vor der Versammlung zu eröffnen.

Die Königin entgegnete:

„Vasallin meines Herrn und durch die heiligen Bande der Ehe ihm
verbunden, vermag ich nichts zu geloben ohne seinen Willen und seine Ge¬
stattung/'

Darauf trat der König an sie und sagte ihr:

„Macht ein Gelübde, wie es euch gefällt; ich genehmige es im Voraus
und will es selbst erfüllen, wenn es mir möglich ist."

Da sprach die Königin mit erhobener Stimme diese schrecklichen Worte:

„Ick fühle, daß ich ein Leben unter meiner Brust trage. Gott und der
heiligen Jungfrau weihe ich diese Frucht meines Schoßes; aber sie soll kein
Leben gewinnen vor dem Tage, wo der König mich mit sich über das Meer
geführt haben wird. Wird sie früher geboren, so soll dieser Dolch mein und
ihr Leben beenden."

Ergriffen von diesem entsetzlichen Gelübde befahl der König dem Grafen
Robert seinen Umgang zu enden. Er selbst aber ging, erfüllt von den Ver¬
heißungen, sein großes Werk zu beginnen.

So weit unser Gedicht, das wir nur in der Kürze wiedergegeben haben.

Es ist nicht ohne Interesse, zu fragen, ob und in wie weit der Erzählung
Wahres zum Grunde liege? Dafür bietet sich allerdings hin und wieder ein
Anhalt. Zuerst ist die Sprache durchaus die des vierzehnten Jahrhunderts; sie
stimmt mit andern französischen Gedichten und mit Chroniken aus der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts vollkommen überein. Das Gedicht scheint in No-rd-
frankreich entstanden zu sein. Es enthält sodann zahlreiche Andeutungen in
Beziehung auf Personen und Begebenheiten, die damals gewiß bekannter waren;
es enthält ferner eine nicht undeutliche Beziehung auf die Parteistellungen jener
Zeit zu der großen Streitsrage, die beide Völker so gewaltig bewegte; das
Ganze hat den Anschein, in dem Gewände der Poesie und durch die fast dra-
matische Darstellung eines denkwürdigen glänzenden Ereignisses an dem eng¬
lischen Hofe, das die Leidenschaften der Zeit in großen Zügen zur Erscheinung
brachte, eine Rechtfertigung für das Unternehmen des Königs geben zu wollen.
Also ein Genosse Mer Tage, und zwar ein reich begabter, war der Verfasser.
Mag es sodann auch richtig sein. daß. wie besonders französische Chronisten
und Geschichtschreiber in ihrem Hasse gegen den Verräther seines Vaterlandes
behaupten, Roberts stete Anreizungen den König nach und nach zu seinem Ent¬
schlüsse erweckt haben mögen, so ist es doch wohl mehr die Erfindung des Dich-


Gr-nzbolen I. 1866. 9
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[0073] Wie viele werden dann wünschen, lieber in diesen glänzenden Hallen zu weilen. Glaubt ihr aber, daß ich deshalb mein Theil an dem Kampfe verweigere?" Zuletzt trat Robert vor die Königin Philippe, kniete nieder und bat sie, nun auch ihr Herz vor der Versammlung zu eröffnen. Die Königin entgegnete: „Vasallin meines Herrn und durch die heiligen Bande der Ehe ihm verbunden, vermag ich nichts zu geloben ohne seinen Willen und seine Ge¬ stattung/' Darauf trat der König an sie und sagte ihr: „Macht ein Gelübde, wie es euch gefällt; ich genehmige es im Voraus und will es selbst erfüllen, wenn es mir möglich ist." Da sprach die Königin mit erhobener Stimme diese schrecklichen Worte: „Ick fühle, daß ich ein Leben unter meiner Brust trage. Gott und der heiligen Jungfrau weihe ich diese Frucht meines Schoßes; aber sie soll kein Leben gewinnen vor dem Tage, wo der König mich mit sich über das Meer geführt haben wird. Wird sie früher geboren, so soll dieser Dolch mein und ihr Leben beenden." Ergriffen von diesem entsetzlichen Gelübde befahl der König dem Grafen Robert seinen Umgang zu enden. Er selbst aber ging, erfüllt von den Ver¬ heißungen, sein großes Werk zu beginnen. So weit unser Gedicht, das wir nur in der Kürze wiedergegeben haben. Es ist nicht ohne Interesse, zu fragen, ob und in wie weit der Erzählung Wahres zum Grunde liege? Dafür bietet sich allerdings hin und wieder ein Anhalt. Zuerst ist die Sprache durchaus die des vierzehnten Jahrhunderts; sie stimmt mit andern französischen Gedichten und mit Chroniken aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts vollkommen überein. Das Gedicht scheint in No-rd- frankreich entstanden zu sein. Es enthält sodann zahlreiche Andeutungen in Beziehung auf Personen und Begebenheiten, die damals gewiß bekannter waren; es enthält ferner eine nicht undeutliche Beziehung auf die Parteistellungen jener Zeit zu der großen Streitsrage, die beide Völker so gewaltig bewegte; das Ganze hat den Anschein, in dem Gewände der Poesie und durch die fast dra- matische Darstellung eines denkwürdigen glänzenden Ereignisses an dem eng¬ lischen Hofe, das die Leidenschaften der Zeit in großen Zügen zur Erscheinung brachte, eine Rechtfertigung für das Unternehmen des Königs geben zu wollen. Also ein Genosse Mer Tage, und zwar ein reich begabter, war der Verfasser. Mag es sodann auch richtig sein. daß. wie besonders französische Chronisten und Geschichtschreiber in ihrem Hasse gegen den Verräther seines Vaterlandes behaupten, Roberts stete Anreizungen den König nach und nach zu seinem Ent¬ schlüsse erweckt haben mögen, so ist es doch wohl mehr die Erfindung des Dich- Gr-nzbolen I. 1866. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/73>, abgerufen am 29.06.2024.