Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

reichS ist Jahrhunderte hindurch geführt; mächtige Siege haben das britische
Nationalgefühl jetzt zuerst gehoben und gestählt: es sah an den Erfolgen,
wessen es fähig sei; der innere Zwiespalt zwischen dem sächsischen und dem
normannischen Stamme verschwand; die Flamme des mächtigen Kampfes, der
alle Kräfte des Landes zu dem großen gemeinschaftlichen Zwecke aufbot, schmolz
beide zu einem einigen Volke zusammen. Der Haß gegen den fränkischen Geg"
ner übertrug sich auf dessen Sprache; die französische Sprache hörte am Hofe
Eduards auf Hofsprache zu sein; der König befahl nun zuerst, diese Sprache
in amtlichen Erlassen zu meiden und die Volkssprache anzunehmen; der nor-
männische Adel folgte diesem Beispiel; er sagte sich nun völlig los von seinen
in Frankreich fortlebenden Linien und ward nun echt englischer Adel; die Idiome
verschmolzen sich, es begann die englische Sprache sich entschiedener zu bilden,
und der erste Dichter in dieser Sprache, Chaucer, trat auf und ward an jenem
Hofe eben deshalb geehrt. So bildete sich ein neues Volk in stolzem Selbst¬
vertrauen und richtete von nun an mit den Siegen, die es außerhalb seiner Gren¬
zen erfocht, den Blick zuerst und dauernd über die Meere hinaus, die es bisher
in tiefer Abgeschlossenheit begrenzt hatten. Und nun jenes andre Volk, das
französische; es sah bestritten und angegriffen, was es so einmüthig gewollt und
begrüßt hatte, das Recht eines Königs aus altem ruhmvollen Geschlechte,
und grade dieses Königs, der, nach vielen so anders, den echt französischen
Geist in Ritterlichkeit, Pracht und Galanterie in edelster Erscheinung darstellte;
es sah die Furien des Krieges mehr als ein Jahrhundert hindurch in seinem
Schoße, seine Fluren zertreten, seine Städte verbrannt, sah sich niedergeworfen
in schmachvollen Niederlagen, die noch heute seinen Stolz demüthigen, von dem
Vasallen seines Königs, von dem verachteten Mischlingvolke jenseit des Meeres;
seinen König als Gefangenen in dessen Gewalt; es sah das Elend und die
Schmach so lange über seine Gauen gebreitet, daß der Fanatismus in die Brust
der niedren Magd, der Jeanne d'Arc hinabstieg und mit gläubiger Begeistrung
endlich die Fahne der Erlösung und der Befreiung in deren Hand legte. So
in dem Kampfe der Jahrhunderte haben sich decide hassen
gelernt.

Es ist wohl der Erforschung werth, wie endlich in der Brust des Königs
Eduard des Dritten die lange gehegten Zweifel und Bedenken unterdrückt sind,
und der weltgeschichtliche Entschluß, der so unermeßliche Folgen hatte, her¬
vorgerufen ist?

Ein Gedicht aus jener Zeit giebt uns die Kunde darüber.

In England lebte ein hoher französischer Flüchtling, Robert der Dritte,
Graf von Artois. Die flandrische Grafschaft Artois war von Ludwig dem
Neunten von Frankreich seinem Bruder Robert verliehen. In einem Succes¬
sionsstreite unter dessen Nachfolgern ward zu Unrecht von Philipp dem Vierten


reichS ist Jahrhunderte hindurch geführt; mächtige Siege haben das britische
Nationalgefühl jetzt zuerst gehoben und gestählt: es sah an den Erfolgen,
wessen es fähig sei; der innere Zwiespalt zwischen dem sächsischen und dem
normannischen Stamme verschwand; die Flamme des mächtigen Kampfes, der
alle Kräfte des Landes zu dem großen gemeinschaftlichen Zwecke aufbot, schmolz
beide zu einem einigen Volke zusammen. Der Haß gegen den fränkischen Geg»
ner übertrug sich auf dessen Sprache; die französische Sprache hörte am Hofe
Eduards auf Hofsprache zu sein; der König befahl nun zuerst, diese Sprache
in amtlichen Erlassen zu meiden und die Volkssprache anzunehmen; der nor-
männische Adel folgte diesem Beispiel; er sagte sich nun völlig los von seinen
in Frankreich fortlebenden Linien und ward nun echt englischer Adel; die Idiome
verschmolzen sich, es begann die englische Sprache sich entschiedener zu bilden,
und der erste Dichter in dieser Sprache, Chaucer, trat auf und ward an jenem
Hofe eben deshalb geehrt. So bildete sich ein neues Volk in stolzem Selbst¬
vertrauen und richtete von nun an mit den Siegen, die es außerhalb seiner Gren¬
zen erfocht, den Blick zuerst und dauernd über die Meere hinaus, die es bisher
in tiefer Abgeschlossenheit begrenzt hatten. Und nun jenes andre Volk, das
französische; es sah bestritten und angegriffen, was es so einmüthig gewollt und
begrüßt hatte, das Recht eines Königs aus altem ruhmvollen Geschlechte,
und grade dieses Königs, der, nach vielen so anders, den echt französischen
Geist in Ritterlichkeit, Pracht und Galanterie in edelster Erscheinung darstellte;
es sah die Furien des Krieges mehr als ein Jahrhundert hindurch in seinem
Schoße, seine Fluren zertreten, seine Städte verbrannt, sah sich niedergeworfen
in schmachvollen Niederlagen, die noch heute seinen Stolz demüthigen, von dem
Vasallen seines Königs, von dem verachteten Mischlingvolke jenseit des Meeres;
seinen König als Gefangenen in dessen Gewalt; es sah das Elend und die
Schmach so lange über seine Gauen gebreitet, daß der Fanatismus in die Brust
der niedren Magd, der Jeanne d'Arc hinabstieg und mit gläubiger Begeistrung
endlich die Fahne der Erlösung und der Befreiung in deren Hand legte. So
in dem Kampfe der Jahrhunderte haben sich decide hassen
gelernt.

Es ist wohl der Erforschung werth, wie endlich in der Brust des Königs
Eduard des Dritten die lange gehegten Zweifel und Bedenken unterdrückt sind,
und der weltgeschichtliche Entschluß, der so unermeßliche Folgen hatte, her¬
vorgerufen ist?

Ein Gedicht aus jener Zeit giebt uns die Kunde darüber.

In England lebte ein hoher französischer Flüchtling, Robert der Dritte,
Graf von Artois. Die flandrische Grafschaft Artois war von Ludwig dem
Neunten von Frankreich seinem Bruder Robert verliehen. In einem Succes¬
sionsstreite unter dessen Nachfolgern ward zu Unrecht von Philipp dem Vierten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0068" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284538"/>
          <p xml:id="ID_157" prev="#ID_156"> reichS ist Jahrhunderte hindurch geführt; mächtige Siege haben das britische<lb/>
Nationalgefühl jetzt zuerst gehoben und gestählt: es sah an den Erfolgen,<lb/>
wessen es fähig sei; der innere Zwiespalt zwischen dem sächsischen und dem<lb/>
normannischen Stamme verschwand; die Flamme des mächtigen Kampfes, der<lb/>
alle Kräfte des Landes zu dem großen gemeinschaftlichen Zwecke aufbot, schmolz<lb/>
beide zu einem einigen Volke zusammen. Der Haß gegen den fränkischen Geg»<lb/>
ner übertrug sich auf dessen Sprache; die französische Sprache hörte am Hofe<lb/>
Eduards auf Hofsprache zu sein; der König befahl nun zuerst, diese Sprache<lb/>
in amtlichen Erlassen zu meiden und die Volkssprache anzunehmen; der nor-<lb/>
männische Adel folgte diesem Beispiel; er sagte sich nun völlig los von seinen<lb/>
in Frankreich fortlebenden Linien und ward nun echt englischer Adel; die Idiome<lb/>
verschmolzen sich, es begann die englische Sprache sich entschiedener zu bilden,<lb/>
und der erste Dichter in dieser Sprache, Chaucer, trat auf und ward an jenem<lb/>
Hofe eben deshalb geehrt. So bildete sich ein neues Volk in stolzem Selbst¬<lb/>
vertrauen und richtete von nun an mit den Siegen, die es außerhalb seiner Gren¬<lb/>
zen erfocht, den Blick zuerst und dauernd über die Meere hinaus, die es bisher<lb/>
in tiefer Abgeschlossenheit begrenzt hatten. Und nun jenes andre Volk, das<lb/>
französische; es sah bestritten und angegriffen, was es so einmüthig gewollt und<lb/>
begrüßt hatte, das Recht eines Königs aus altem ruhmvollen Geschlechte,<lb/>
und grade dieses Königs, der, nach vielen so anders, den echt französischen<lb/>
Geist in Ritterlichkeit, Pracht und Galanterie in edelster Erscheinung darstellte;<lb/>
es sah die Furien des Krieges mehr als ein Jahrhundert hindurch in seinem<lb/>
Schoße, seine Fluren zertreten, seine Städte verbrannt, sah sich niedergeworfen<lb/>
in schmachvollen Niederlagen, die noch heute seinen Stolz demüthigen, von dem<lb/>
Vasallen seines Königs, von dem verachteten Mischlingvolke jenseit des Meeres;<lb/>
seinen König als Gefangenen in dessen Gewalt; es sah das Elend und die<lb/>
Schmach so lange über seine Gauen gebreitet, daß der Fanatismus in die Brust<lb/>
der niedren Magd, der Jeanne d'Arc hinabstieg und mit gläubiger Begeistrung<lb/>
endlich die Fahne der Erlösung und der Befreiung in deren Hand legte. So<lb/>
in dem Kampfe der Jahrhunderte haben sich decide hassen<lb/>
gelernt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_158"> Es ist wohl der Erforschung werth, wie endlich in der Brust des Königs<lb/>
Eduard des Dritten die lange gehegten Zweifel und Bedenken unterdrückt sind,<lb/>
und der weltgeschichtliche Entschluß, der so unermeßliche Folgen hatte, her¬<lb/>
vorgerufen ist?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_159"> Ein Gedicht aus jener Zeit giebt uns die Kunde darüber.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_160" next="#ID_161"> In England lebte ein hoher französischer Flüchtling, Robert der Dritte,<lb/>
Graf von Artois. Die flandrische Grafschaft Artois war von Ludwig dem<lb/>
Neunten von Frankreich seinem Bruder Robert verliehen. In einem Succes¬<lb/>
sionsstreite unter dessen Nachfolgern ward zu Unrecht von Philipp dem Vierten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0068] reichS ist Jahrhunderte hindurch geführt; mächtige Siege haben das britische Nationalgefühl jetzt zuerst gehoben und gestählt: es sah an den Erfolgen, wessen es fähig sei; der innere Zwiespalt zwischen dem sächsischen und dem normannischen Stamme verschwand; die Flamme des mächtigen Kampfes, der alle Kräfte des Landes zu dem großen gemeinschaftlichen Zwecke aufbot, schmolz beide zu einem einigen Volke zusammen. Der Haß gegen den fränkischen Geg» ner übertrug sich auf dessen Sprache; die französische Sprache hörte am Hofe Eduards auf Hofsprache zu sein; der König befahl nun zuerst, diese Sprache in amtlichen Erlassen zu meiden und die Volkssprache anzunehmen; der nor- männische Adel folgte diesem Beispiel; er sagte sich nun völlig los von seinen in Frankreich fortlebenden Linien und ward nun echt englischer Adel; die Idiome verschmolzen sich, es begann die englische Sprache sich entschiedener zu bilden, und der erste Dichter in dieser Sprache, Chaucer, trat auf und ward an jenem Hofe eben deshalb geehrt. So bildete sich ein neues Volk in stolzem Selbst¬ vertrauen und richtete von nun an mit den Siegen, die es außerhalb seiner Gren¬ zen erfocht, den Blick zuerst und dauernd über die Meere hinaus, die es bisher in tiefer Abgeschlossenheit begrenzt hatten. Und nun jenes andre Volk, das französische; es sah bestritten und angegriffen, was es so einmüthig gewollt und begrüßt hatte, das Recht eines Königs aus altem ruhmvollen Geschlechte, und grade dieses Königs, der, nach vielen so anders, den echt französischen Geist in Ritterlichkeit, Pracht und Galanterie in edelster Erscheinung darstellte; es sah die Furien des Krieges mehr als ein Jahrhundert hindurch in seinem Schoße, seine Fluren zertreten, seine Städte verbrannt, sah sich niedergeworfen in schmachvollen Niederlagen, die noch heute seinen Stolz demüthigen, von dem Vasallen seines Königs, von dem verachteten Mischlingvolke jenseit des Meeres; seinen König als Gefangenen in dessen Gewalt; es sah das Elend und die Schmach so lange über seine Gauen gebreitet, daß der Fanatismus in die Brust der niedren Magd, der Jeanne d'Arc hinabstieg und mit gläubiger Begeistrung endlich die Fahne der Erlösung und der Befreiung in deren Hand legte. So in dem Kampfe der Jahrhunderte haben sich decide hassen gelernt. Es ist wohl der Erforschung werth, wie endlich in der Brust des Königs Eduard des Dritten die lange gehegten Zweifel und Bedenken unterdrückt sind, und der weltgeschichtliche Entschluß, der so unermeßliche Folgen hatte, her¬ vorgerufen ist? Ein Gedicht aus jener Zeit giebt uns die Kunde darüber. In England lebte ein hoher französischer Flüchtling, Robert der Dritte, Graf von Artois. Die flandrische Grafschaft Artois war von Ludwig dem Neunten von Frankreich seinem Bruder Robert verliehen. In einem Succes¬ sionsstreite unter dessen Nachfolgern ward zu Unrecht von Philipp dem Vierten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/68
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/68>, abgerufen am 29.06.2024.