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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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in Frage stehende Princip der Erbfolge anerkannt. Er war inzwischen ver¬
storben, und seine Gattin, die obengedachte Jsabella, Regentin Englands Namens
ihres minderjährigen Sohnes Eduard des Dritten, als der neue Thronwechsel
in Frankreich eintrat. Sie protestirte zur Wahrung des durch ihre Person
selbst begründeten Rechts ihres Sohnes gegen die Thronbesteigung Philipp des
Sechsten. Aber in zahlreichen inneren Verwickelungen in England selbst, und
den Verlust Guyennes fürchtend gab sie der Aufforderung Philipps nach, und
sendete ihren damals siebzehnjährigen Sohn 1329 zur Huldigung, die mit
großem Pomp in der Kathedrale zu Amiens erfolgte. So war also der Präten¬
dent selbst, durch ein feierliches Anerkenntnis; gebunden.

Aber der junge König wuchs mit dem stolzen Glauben auf, daß dennoch
ihm die Krone Frankreichs gebühre; er konnte den Gedanken nicht ertragen,
daß er der Vasall dessen sein sollte, dessen Thron man ihm stets als das recht¬
mäßige Erbe seiner Mutter, und also als den seinigen bezeichnete. Sein ritter¬
licher Geist lehnte sich gegen diesen Gedanken auf; von Frankreich herüber tönte
der Spottname: "roi trouvü", in welchem man die Nichtigkeit seiner Ansprüche
gegenüber dem "roi ätz I'iAnee" ausdrücken wollte.*)

Und es galt ein gewaltiges Wagniß. Das Haus Valois gebot über ein
mächtiges Reich, über ein Volk, das einig war in der Ueberzeugung von dem
Rechte seines Königs, das bereit war, die nothwendige Einheit der Macht seines
Thrones zu vertheidigen; es hatte so die altbegründete Stellung des capetin-
zischen Stammes gegenüber den Plantagenets für sich, die es seit anderthalb
Jahrhunderten in der untergeordneten Vasallenstellung gehalten hatte. Was
konnte das Haus Plantagenet dagegen einsetzen? Das Volk Englands in in¬
nerem Zwiespalt, in stets wiederholten Kämpfen mit Schottland; konnte man
ihm die zu erwartenden unermeßlichen Opfer zumuthen, nur um seinem König
eine zweite Krone zu gewinnen, die ihn dem Vaterlande entfremden, ja die
das noch immer verhaßte normannische Element in England nur verstärken
mußte?

So stand Eduard der Dritte zweifelnd vor einem Entschluß, der, mochte er es
ahnen oder nicht, jedenfalls von der Geschichte als einer der folgenreichsten be¬
zeichnet werden muß, den je der Herrscher eines Volkes gesaßt hat. Denn aus
diesen Moment führt die Geschichte mit vollem Rechte die tiefe Scheidung zu¬
rück, welche beide Völker seitdem in so schweren Kämpfen, in stets feindlichen
Gegensätzen einander gegenübergestellt hat. Der Kampf um die Krone Frank-



") Die mehrfach aufgestellte Behauptung, daß Dante in diesem Streite die Partei des
Hauses Plantagenet genommen, und daß sich darauf der gegen die Capetinger gerichtete Spott
im I>urgÄtorio <!. 2V- -- -- "UM VWMtu, ^Umoi t'ni ä'un Von-L^o oll l'-zri-ii" beziehe,
wird chronologisch widerlegt; aber das ist wichtig, daß man in dem Streit jener Tage diesen
Spott des Dichters gegen Philipp von Valois benrchte.
8*

in Frage stehende Princip der Erbfolge anerkannt. Er war inzwischen ver¬
storben, und seine Gattin, die obengedachte Jsabella, Regentin Englands Namens
ihres minderjährigen Sohnes Eduard des Dritten, als der neue Thronwechsel
in Frankreich eintrat. Sie protestirte zur Wahrung des durch ihre Person
selbst begründeten Rechts ihres Sohnes gegen die Thronbesteigung Philipp des
Sechsten. Aber in zahlreichen inneren Verwickelungen in England selbst, und
den Verlust Guyennes fürchtend gab sie der Aufforderung Philipps nach, und
sendete ihren damals siebzehnjährigen Sohn 1329 zur Huldigung, die mit
großem Pomp in der Kathedrale zu Amiens erfolgte. So war also der Präten¬
dent selbst, durch ein feierliches Anerkenntnis; gebunden.

Aber der junge König wuchs mit dem stolzen Glauben auf, daß dennoch
ihm die Krone Frankreichs gebühre; er konnte den Gedanken nicht ertragen,
daß er der Vasall dessen sein sollte, dessen Thron man ihm stets als das recht¬
mäßige Erbe seiner Mutter, und also als den seinigen bezeichnete. Sein ritter¬
licher Geist lehnte sich gegen diesen Gedanken auf; von Frankreich herüber tönte
der Spottname: „roi trouvü", in welchem man die Nichtigkeit seiner Ansprüche
gegenüber dem „roi ätz I'iAnee" ausdrücken wollte.*)

Und es galt ein gewaltiges Wagniß. Das Haus Valois gebot über ein
mächtiges Reich, über ein Volk, das einig war in der Ueberzeugung von dem
Rechte seines Königs, das bereit war, die nothwendige Einheit der Macht seines
Thrones zu vertheidigen; es hatte so die altbegründete Stellung des capetin-
zischen Stammes gegenüber den Plantagenets für sich, die es seit anderthalb
Jahrhunderten in der untergeordneten Vasallenstellung gehalten hatte. Was
konnte das Haus Plantagenet dagegen einsetzen? Das Volk Englands in in¬
nerem Zwiespalt, in stets wiederholten Kämpfen mit Schottland; konnte man
ihm die zu erwartenden unermeßlichen Opfer zumuthen, nur um seinem König
eine zweite Krone zu gewinnen, die ihn dem Vaterlande entfremden, ja die
das noch immer verhaßte normannische Element in England nur verstärken
mußte?

So stand Eduard der Dritte zweifelnd vor einem Entschluß, der, mochte er es
ahnen oder nicht, jedenfalls von der Geschichte als einer der folgenreichsten be¬
zeichnet werden muß, den je der Herrscher eines Volkes gesaßt hat. Denn aus
diesen Moment führt die Geschichte mit vollem Rechte die tiefe Scheidung zu¬
rück, welche beide Völker seitdem in so schweren Kämpfen, in stets feindlichen
Gegensätzen einander gegenübergestellt hat. Der Kampf um die Krone Frank-



") Die mehrfach aufgestellte Behauptung, daß Dante in diesem Streite die Partei des
Hauses Plantagenet genommen, und daß sich darauf der gegen die Capetinger gerichtete Spott
im I>urgÄtorio <!. 2V- — — „UM VWMtu, ^Umoi t'ni ä'un Von-L^o oll l'-zri-ii" beziehe,
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Spott des Dichters gegen Philipp von Valois benrchte.
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[0067] in Frage stehende Princip der Erbfolge anerkannt. Er war inzwischen ver¬ storben, und seine Gattin, die obengedachte Jsabella, Regentin Englands Namens ihres minderjährigen Sohnes Eduard des Dritten, als der neue Thronwechsel in Frankreich eintrat. Sie protestirte zur Wahrung des durch ihre Person selbst begründeten Rechts ihres Sohnes gegen die Thronbesteigung Philipp des Sechsten. Aber in zahlreichen inneren Verwickelungen in England selbst, und den Verlust Guyennes fürchtend gab sie der Aufforderung Philipps nach, und sendete ihren damals siebzehnjährigen Sohn 1329 zur Huldigung, die mit großem Pomp in der Kathedrale zu Amiens erfolgte. So war also der Präten¬ dent selbst, durch ein feierliches Anerkenntnis; gebunden. Aber der junge König wuchs mit dem stolzen Glauben auf, daß dennoch ihm die Krone Frankreichs gebühre; er konnte den Gedanken nicht ertragen, daß er der Vasall dessen sein sollte, dessen Thron man ihm stets als das recht¬ mäßige Erbe seiner Mutter, und also als den seinigen bezeichnete. Sein ritter¬ licher Geist lehnte sich gegen diesen Gedanken auf; von Frankreich herüber tönte der Spottname: „roi trouvü", in welchem man die Nichtigkeit seiner Ansprüche gegenüber dem „roi ätz I'iAnee" ausdrücken wollte.*) Und es galt ein gewaltiges Wagniß. Das Haus Valois gebot über ein mächtiges Reich, über ein Volk, das einig war in der Ueberzeugung von dem Rechte seines Königs, das bereit war, die nothwendige Einheit der Macht seines Thrones zu vertheidigen; es hatte so die altbegründete Stellung des capetin- zischen Stammes gegenüber den Plantagenets für sich, die es seit anderthalb Jahrhunderten in der untergeordneten Vasallenstellung gehalten hatte. Was konnte das Haus Plantagenet dagegen einsetzen? Das Volk Englands in in¬ nerem Zwiespalt, in stets wiederholten Kämpfen mit Schottland; konnte man ihm die zu erwartenden unermeßlichen Opfer zumuthen, nur um seinem König eine zweite Krone zu gewinnen, die ihn dem Vaterlande entfremden, ja die das noch immer verhaßte normannische Element in England nur verstärken mußte? So stand Eduard der Dritte zweifelnd vor einem Entschluß, der, mochte er es ahnen oder nicht, jedenfalls von der Geschichte als einer der folgenreichsten be¬ zeichnet werden muß, den je der Herrscher eines Volkes gesaßt hat. Denn aus diesen Moment führt die Geschichte mit vollem Rechte die tiefe Scheidung zu¬ rück, welche beide Völker seitdem in so schweren Kämpfen, in stets feindlichen Gegensätzen einander gegenübergestellt hat. Der Kampf um die Krone Frank- ") Die mehrfach aufgestellte Behauptung, daß Dante in diesem Streite die Partei des Hauses Plantagenet genommen, und daß sich darauf der gegen die Capetinger gerichtete Spott im I>urgÄtorio <!. 2V- — — „UM VWMtu, ^Umoi t'ni ä'un Von-L^o oll l'-zri-ii" beziehe, wird chronologisch widerlegt; aber das ist wichtig, daß man in dem Streit jener Tage diesen Spott des Dichters gegen Philipp von Valois benrchte. 8*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/67>, abgerufen am 29.06.2024.