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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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gekrönt. Hier also war die erste Anerkennung des salischen Rechtes auf die
Thronfolge Frankreichs.

Dennoch blieb die Frage fortan nicht unbestritten; man leugnete die fort¬
dauernde Giltigkeit jenes Rechtes. Aber die allgemeine Ueberzeugung ent¬
schied, daß. wenn auch das Recht zweifelhaft sein sollte, doch die Nothwendigkeit
einer kraftvollen Einheit des Reiches in dem mehr sicheren Mannsstamme ent¬
scheiden müsse. Hier lag also schon früh die Erkenntniß einer für Frankreich
nothwendigen Centralisation der Macht zum Grunde. Froissart, der Zeit¬
genosse, sagt:


du L'öeiMt: Is roznuiue ÄL Kranes sse si nött", qu'it psut aller
ü tsmklls.

Die General-Staaten huldigten also dem Könige.

Er starb 1322. Nach demselben Princip wurden, da er nur Töchter
hinterließ, diese von seinem Bruder Karl dem Vierten, dem Schönen, aus¬
geschlossen. Auch dieser starb 1328 nur mit Hinterlassung einer Tochter.

Hier nun beginnt jene Streitfrage mit England. Sie war diese: Philipp der
Dritte hatte zwei Söhne 1) den König Philipp den Vierten und 2) Karl von
Valois. Philipp der Vierte hatte jene zuvor genannten drei Söhne, Louis
Hutin, Philipp den Fünften und Karl den Vierten, und eine Tochter Jsabella.
Diese letztere ward Eduard dem Zweiten von England vermählt, und ihr Sohn
Eduard der Dritte von England stand sonach in directer Erbfolge von Philipp
dem Vierten, dessen Enkel er war. Der gedachte zweite Sohn Philipp des
Dritten, Karl von Valois, begründete eine Seitenlinie, und jetzt war ein
Enkel von ihm, Philipp von Valois, vorhanden. Sonach standen sich beim
Tode Karls des Vierten die beiden Prätendenten gegenüber: Eduard der Dritte,
der Enkel Philipp des Vierten, aber von einer Tochter desselben, und Philipp
von Valois, der Enkel Philipp des Dritten; für jenen war die directe Linie
im Weibsstamme, für diesen die Seitenlinie, aber im Mannsstamme.

Der Streit entbrannte zuerst auf friedlichem Gebiete;") man berief sich
auf. jenen Präcedenzfall von 1317, in welchem das salische Gesetz bereits
Anerkennung gefunden habe. Die Barone und die Universität von Paris ent¬
schieden sich in diesem Sinn, und Philipp von Valois ward am 29. Mai 1328
als Philipp der Sechste zu Rheims gekrönt.

Die Könige von England waren als Herzoge von Guyenne Vasallen der
Krone Frankreichs. Als solcher war der König Eduard der Zweite bei Philipp
des Fünften Thronbesteigung 1317 zur Huldigung desselben geladen gewesen;
er hatte schriftlich seine Huldigung eingesendet, damit also das damals bereits



") Die aufgeregte Volksstimmung bezeugt HSnault dnrch die Thatsache, daß ein reicher
Bürger in Compiögne, der sich öffentlich für das Recht Eduard des Dritten erklärt hatte, von
dem Volke getödtet wurde.

gekrönt. Hier also war die erste Anerkennung des salischen Rechtes auf die
Thronfolge Frankreichs.

Dennoch blieb die Frage fortan nicht unbestritten; man leugnete die fort¬
dauernde Giltigkeit jenes Rechtes. Aber die allgemeine Ueberzeugung ent¬
schied, daß. wenn auch das Recht zweifelhaft sein sollte, doch die Nothwendigkeit
einer kraftvollen Einheit des Reiches in dem mehr sicheren Mannsstamme ent¬
scheiden müsse. Hier lag also schon früh die Erkenntniß einer für Frankreich
nothwendigen Centralisation der Macht zum Grunde. Froissart, der Zeit¬
genosse, sagt:


du L'öeiMt: Is roznuiue ÄL Kranes sse si nött«, qu'it psut aller
ü tsmklls.

Die General-Staaten huldigten also dem Könige.

Er starb 1322. Nach demselben Princip wurden, da er nur Töchter
hinterließ, diese von seinem Bruder Karl dem Vierten, dem Schönen, aus¬
geschlossen. Auch dieser starb 1328 nur mit Hinterlassung einer Tochter.

Hier nun beginnt jene Streitfrage mit England. Sie war diese: Philipp der
Dritte hatte zwei Söhne 1) den König Philipp den Vierten und 2) Karl von
Valois. Philipp der Vierte hatte jene zuvor genannten drei Söhne, Louis
Hutin, Philipp den Fünften und Karl den Vierten, und eine Tochter Jsabella.
Diese letztere ward Eduard dem Zweiten von England vermählt, und ihr Sohn
Eduard der Dritte von England stand sonach in directer Erbfolge von Philipp
dem Vierten, dessen Enkel er war. Der gedachte zweite Sohn Philipp des
Dritten, Karl von Valois, begründete eine Seitenlinie, und jetzt war ein
Enkel von ihm, Philipp von Valois, vorhanden. Sonach standen sich beim
Tode Karls des Vierten die beiden Prätendenten gegenüber: Eduard der Dritte,
der Enkel Philipp des Vierten, aber von einer Tochter desselben, und Philipp
von Valois, der Enkel Philipp des Dritten; für jenen war die directe Linie
im Weibsstamme, für diesen die Seitenlinie, aber im Mannsstamme.

Der Streit entbrannte zuerst auf friedlichem Gebiete;") man berief sich
auf. jenen Präcedenzfall von 1317, in welchem das salische Gesetz bereits
Anerkennung gefunden habe. Die Barone und die Universität von Paris ent¬
schieden sich in diesem Sinn, und Philipp von Valois ward am 29. Mai 1328
als Philipp der Sechste zu Rheims gekrönt.

Die Könige von England waren als Herzoge von Guyenne Vasallen der
Krone Frankreichs. Als solcher war der König Eduard der Zweite bei Philipp
des Fünften Thronbesteigung 1317 zur Huldigung desselben geladen gewesen;
er hatte schriftlich seine Huldigung eingesendet, damit also das damals bereits



") Die aufgeregte Volksstimmung bezeugt HSnault dnrch die Thatsache, daß ein reicher
Bürger in Compiögne, der sich öffentlich für das Recht Eduard des Dritten erklärt hatte, von
dem Volke getödtet wurde.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/66>, abgerufen am 29.09.2024.