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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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feindlichen Brüder auf dem Thurme, von denen einer den andern hinunter
stürzen will; die jüdische Mutter Vor dem Tyrannen, der ihre Kinder tötet; der
alte Förster, aus gekränkten Rechtsgefühl in blödes, finsteres Grübeln versetzt,
das sind Momente von einer Vielleicht unheimlichen, aber brennenden Farben¬
pracht. Und nicht sie allein, auch andere Situationen, die zu ihnen führen,
sind mit bewunderungswürdiger Deutlichkeit und Energie geschaut. Aber nicht
ebenso sicher der Lauf der gesammten Handlung. Fast in jedem Werke ist eine
oder mehre Stellen, wo die große Wirkung des Einzelnen durch Undeut-
lichkeit, oder Mangelhaftigkeit der Motive gestört wird. Immer sind einige
Charaktere mit wundervoller Tiefe empfunden, daneben stehen in bedeutsamer
Stellung andere, arm an Farbe und Leben. Dies sind solche Theile und Cha¬
raktere der Handlung, welche in seine fast dämonische Vilderschau nicht aufge¬
nommen waren, und die er sich mühsam durch Verständiges Denken zurichtete.
Und es ist ebenfalls bedeutsam, daß es ihm sehr schwer wurde, seine Einbil¬
dungskraft durch die Reflexion zu lenken.

Fassen wir, was hier angedeutet wurde, zusammen, so tritt uns das ori¬
ginelle Bild einer energischen Gestaltungskraft entgegen, welche deshalb nur in
einzelnen Stunden das Höchste zu leisten Vermochte, weil ihr naturgemäßes
Schaffen Vielleicht zu musikalisch, vielleicht zu malerisch, in der Hauptsache nicht
rein dramatisch war, sondern episch. Die Gattungen der Kunst haben sich längst
getrennt; jede fordert eine besondere Zucht der Phantasie, und besondere d>en
Grundbedingungen der Kunst gemäße Anschauungen. Das Schaffen dieses
Dichters aber war wie sein ganzes Wesen ähnlich der Art eines epischen
Sängers aus der Zeit, wo die Gestalten dem Dichter lebendig, mit Klang urit
Farbe, in der Dämmerung des Völkermorgens um das Haupt schwebten.

Solche Träume im Herzen lebte er still unter uns, als ein Dichter, dem
seine Zeitgenossen nicht reiche Kränze zuwarfen, und doch eine starke und ur¬
G. F. deutsche Künstlerseele.




feindlichen Brüder auf dem Thurme, von denen einer den andern hinunter
stürzen will; die jüdische Mutter Vor dem Tyrannen, der ihre Kinder tötet; der
alte Förster, aus gekränkten Rechtsgefühl in blödes, finsteres Grübeln versetzt,
das sind Momente von einer Vielleicht unheimlichen, aber brennenden Farben¬
pracht. Und nicht sie allein, auch andere Situationen, die zu ihnen führen,
sind mit bewunderungswürdiger Deutlichkeit und Energie geschaut. Aber nicht
ebenso sicher der Lauf der gesammten Handlung. Fast in jedem Werke ist eine
oder mehre Stellen, wo die große Wirkung des Einzelnen durch Undeut-
lichkeit, oder Mangelhaftigkeit der Motive gestört wird. Immer sind einige
Charaktere mit wundervoller Tiefe empfunden, daneben stehen in bedeutsamer
Stellung andere, arm an Farbe und Leben. Dies sind solche Theile und Cha¬
raktere der Handlung, welche in seine fast dämonische Vilderschau nicht aufge¬
nommen waren, und die er sich mühsam durch Verständiges Denken zurichtete.
Und es ist ebenfalls bedeutsam, daß es ihm sehr schwer wurde, seine Einbil¬
dungskraft durch die Reflexion zu lenken.

Fassen wir, was hier angedeutet wurde, zusammen, so tritt uns das ori¬
ginelle Bild einer energischen Gestaltungskraft entgegen, welche deshalb nur in
einzelnen Stunden das Höchste zu leisten Vermochte, weil ihr naturgemäßes
Schaffen Vielleicht zu musikalisch, vielleicht zu malerisch, in der Hauptsache nicht
rein dramatisch war, sondern episch. Die Gattungen der Kunst haben sich längst
getrennt; jede fordert eine besondere Zucht der Phantasie, und besondere d>en
Grundbedingungen der Kunst gemäße Anschauungen. Das Schaffen dieses
Dichters aber war wie sein ganzes Wesen ähnlich der Art eines epischen
Sängers aus der Zeit, wo die Gestalten dem Dichter lebendig, mit Klang urit
Farbe, in der Dämmerung des Völkermorgens um das Haupt schwebten.

Solche Träume im Herzen lebte er still unter uns, als ein Dichter, dem
seine Zeitgenossen nicht reiche Kränze zuwarfen, und doch eine starke und ur¬
G. F. deutsche Künstlerseele.




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[0064] feindlichen Brüder auf dem Thurme, von denen einer den andern hinunter stürzen will; die jüdische Mutter Vor dem Tyrannen, der ihre Kinder tötet; der alte Förster, aus gekränkten Rechtsgefühl in blödes, finsteres Grübeln versetzt, das sind Momente von einer Vielleicht unheimlichen, aber brennenden Farben¬ pracht. Und nicht sie allein, auch andere Situationen, die zu ihnen führen, sind mit bewunderungswürdiger Deutlichkeit und Energie geschaut. Aber nicht ebenso sicher der Lauf der gesammten Handlung. Fast in jedem Werke ist eine oder mehre Stellen, wo die große Wirkung des Einzelnen durch Undeut- lichkeit, oder Mangelhaftigkeit der Motive gestört wird. Immer sind einige Charaktere mit wundervoller Tiefe empfunden, daneben stehen in bedeutsamer Stellung andere, arm an Farbe und Leben. Dies sind solche Theile und Cha¬ raktere der Handlung, welche in seine fast dämonische Vilderschau nicht aufge¬ nommen waren, und die er sich mühsam durch Verständiges Denken zurichtete. Und es ist ebenfalls bedeutsam, daß es ihm sehr schwer wurde, seine Einbil¬ dungskraft durch die Reflexion zu lenken. Fassen wir, was hier angedeutet wurde, zusammen, so tritt uns das ori¬ ginelle Bild einer energischen Gestaltungskraft entgegen, welche deshalb nur in einzelnen Stunden das Höchste zu leisten Vermochte, weil ihr naturgemäßes Schaffen Vielleicht zu musikalisch, vielleicht zu malerisch, in der Hauptsache nicht rein dramatisch war, sondern episch. Die Gattungen der Kunst haben sich längst getrennt; jede fordert eine besondere Zucht der Phantasie, und besondere d>en Grundbedingungen der Kunst gemäße Anschauungen. Das Schaffen dieses Dichters aber war wie sein ganzes Wesen ähnlich der Art eines epischen Sängers aus der Zeit, wo die Gestalten dem Dichter lebendig, mit Klang urit Farbe, in der Dämmerung des Völkermorgens um das Haupt schwebten. Solche Träume im Herzen lebte er still unter uns, als ein Dichter, dem seine Zeitgenossen nicht reiche Kränze zuwarfen, und doch eine starke und ur¬ G. F. deutsche Künstlerseele.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/64>, abgerufen am 29.06.2024.